"Du fliegst wie ein Adler!"
9. Die „Wende“ und das Ende
9.1. Meine letzten Sprünge
Zum letzten Jahrestag der DDR
Am 07.10.1089 springe ich das letzte Mal an das Königsufer in Dresden: aus 1.200 m mit dem RL-10/2. Der Anflug ist wieder bei Westwind, abgesprungen mit sofortiger Öffnung als letzter einer 11er Gruppe übern Gleisdreieck am Bahnhof Mitte.
07.10.1989, das ist der 40.Jahrestag der DDR. Relativ trübes Wetter und kaum Zuschauer. Das stört uns erst mal nicht. Wir sind froh, wiedermal über Dresden springen zu können. Am Königsufer ist ein Partyzelt aufgestellt, denn der Anlass für das Springen ist die Auszeichnung unserer GO Fallschirmsport Robotron mit dem Ehrennamen „Valeri Bykowski“. Eigentlich wollten wir um den Ehrennamen „Sigmund Jähn“ kämpfen, aber die Oberen entschieden, dass es schon zu viele Sigmund Jähn-Kollektive gäbe. Sigmund Jähn war sowieso nicht für den ganzen Rummel um seine Person. Valeri Bykowski war der Kommandant von Sigmund Jähn in der Raumkapsel Sojus 31. Schließlich musste er als Kosmonaut auch ein paarmal springen.
Die Auszeichnung nehmen vor:
– das Kosmonauten-Double von Sigmund Jähn – Eberhard Köllner – seit ein paar Jahren als Oberst Leiter fliegerische Ausbildung beim Zentralvorstand der GST und Fliegerkamerad aus meinen Tagen auf der Jak-18A in Brandenburg-Briest,
– Egon Saske, meine Ablösung als FDJ-Sekretär an der Ingenieurschule und jetzt Vorsitzender des GST-Bezirksvorstandes Dresden und
– Heinz Winter, jetzt Leiter fliegerische Ausbildung der Bezierksverwaltung Dresden, der mich immer noch seit der Sache mit der Leuchtpistole an der Olba auf dem Kicker hat.
Es gibt Sekt und ein paar Bemmchen. Aber so eine richtige Feierstimmung kommt wohl nicht auf. In der Stadt brodelt es. Am nächsten Tag kommt es zu der großen Demonstration auf der Pragerstraße, die letztlich mit das Ende der DDR einleitet. Später erzählt man sich, die Staatsführung habe am 07. Oktober über Dresden Fallschirmjäger abgesetzt, um die Demonstrationen zu verhindern.
Bild 1 – Eberhard Köllner, Valeri Bykowski und Sigmund Jähn.
Video 1 –Dresden 04./05.10.1989 Einsatz der Volkspolizei am Hauptbahnhof.
(Bild- & Videoquellen: Bild 1 Verlag für Agitations- und Anschauungsmittel Berlin, Video 1 www.youtube.com)
Erster Gesamtdeutscher Flugtag in Pirna
12./13.05.1990 organisiert unser letzter OI Peter Dank den ersten Gesamtdeutschen Flugtag. Partner ist die Concorde Flug GmbH Landshut und der Bezirksflugplatz Pirna. Die Verbindung kam wohl über den Onkel unserer Kameradin Claudia Kaden zustande. Alles was sich in der Luft bewegen kann, sammelt sich auf den Flugplatz Pirna. Von unserer Seite die Wilgas und jede Menge Segelflugzeuge. Von westdeutscher Seite mehrere Hochdecker Cessna F172 M „Skyhawk“, ein zweimotoriger Tiefdecker Cessna 414A „Chancellor“, eine De Havilland DH-104 (ein Verkehrsflugzeug für 19 Personen), die auf Grund ihres Startgewichtes gerade so auf der Grasnarbe von Pratschwitz starten und landen kann, zwei Hubschrauber Bell 206 L-3 und Alouette II sowie 3 Heißluftballone.
Ich werde zum „Pressesprecher“ des Flugtages ernannt und organisiere mit Peter Dank eine „Pressekonferenz“ im Seminarraum meiner Arbeitsstelle ZFA im „Blauen Haus“ in Dresden – mit viel Bemmchen und alkoholfreien Getränken aus unserer Kantine – und sehr, sehr wenigen Pressevertretern. Trotz der Pleite mit der Presse sind an beiden Wochenendtagen Zehntausende von Zuschauern am Platz. Die Pirnaer organisieren Versorgungskioske, das DRK und Toilettenwagen – und einen Losverkauf. Dort kann man Freiflüge für die anwesenden Luftfahrtzeuge gewinnen. Das lockt die Massen.
Sonnabendvormittag habe ich zu tun. Ein Trupp Naturschützer protestiert gegen den Fluglärm. Der Sicherheitschef der Veranstaltung Werner Schmidt verweist die Leute an mich als „Pressesprecher“ und ich darf mir zwei Stunden ihre Beschwerden anhören. Im Kern geht es darum, dass auf der Elbinsel in Pillnitz jetzt im Mai die Fischreiher und Kormorane brüten, die bei jedem Start verschreckt ihren Arsch heben und die Eier kalt werden lassen. Und dass bei den Rundflügen über der Sächsischen Schweiz die Wanderfalken gefährdet sind. Ich halte dagegen, da es eine Mindestflughöhe gäbe, die die Piloten nicht unterschreiten dürfen. Dabei konnte man schon von Platz aus sehen, dass einige Piloten im Elbtal Tiefflug machen. Wer soll das in der untergehenden DDR noch kontrollieren oder ahnden?
Mittags verkündet der Veranstaltungssprecher, dass alle Paare, die heute ihren Hochzeitstag haben, eine kostenlose Ballonfahrt machen können. Mein Patenkind Claudia Bartsch, die Tochter meines besten Freundes, heiratet heute und ich hätte erst am Abend zu der Feier kommen können. Beim Veranstalter sichere ich mir eine Ballonfahrt und rase mit dem Trabi nach Radebeul in den „Heiteren Blick“. Die Hochzeitsgesellschaft verdaut noch das Mittagessen und das junge Paar kommt gerade vom Fototermin. Ich frage das Brautpaar, ob sie eine Hochzeitsreise in den (siebten) Himmel machen wollen. Dann erkläre ich der verblüfften Verwandtschaft, dass ich nach alter slowakischer Sitte jetzt die Braut entführen werde. Und so rasen wir – ich im Trabi mit Waltraut und Lothar im weißen Wartburg mit Brautstrauß auf der Motorhaube mit dem Brautpaar und seinem Sohn Falko auf den Flugplatz. Dort fahren wir „Parade“ vor Zehntausenden Zuschauern.
Zwei Ballone werden startfertig gemacht. Claudia hat ein wunderschönes Brautkleid mit Reifrock. Als sie in den Ballon steigen will, kippte der Reifrock hinten bis an den Rücken hoch und alle klatschen Beifall zu ihrer hübschen Reizwäsche. Letztlich muss sie mit 4 Mann in den Ballonkorb gehoben werden. Außer dem Ballonpiloten und dem schmalen Ehemann ist kein Platz mehr im Korb. Ich erkläre dem Piloten des zweiten Ballons, dass ich gern mein Patenkind auf dieser Fahrt begleiden möchte. Waltraut ist sauer, dass sie nicht mitfahren kann.
Wir haben einen sehr schwachen Nordwind. Der treibt uns ganz langsam über die Wesenitz und entlang der Neubauviertel von Pirna-Copitz über die Elbe. Eine sagenhaft wunderschöne Fahrt, das sanfte Schweben mit Blick auf Pirna und die Sächsische Schweiz, wenn das „Brüllen“ des Brenners die Ruhe nicht stören würde. Ich knipse wie ein Weltmeister, leider ist vor der Elbe schon der Film alle. So ein Mist.
Der Pilot hat wohl das abendliche „Saufen“ über dem Wasser nicht beachtet, denn es geht sehr schnell abwärts. Ehe der Brenner die Luft im Ballon wieder erwärmt und der Ballon träge aufsteigt, hätten wir fast Wasserberührung gehabt. Die Piloten wollten eigentlich gleich auf der anderen Seite der Elbe landen, aber da gibt es keine geeignete Landefläche. Die beiden Ballonbegleitfahrzeuge – in deren Schlepp Lothar mit Wartburg und Falko und Waltraut in dem Trabi – sind schon auf der B 172 in Richtung Heidenau unterwegs.
Ich zeige meinem Ballonfahrer die Straße auf der Höhe von Pirna nach Großsedlitz. Wenn wir davor auf dem Acker landen, kommen die Begleitfahrzeuge gut an die Ballone ran. Also wird der andere Pilot per Funk informiert und die Begleitfahrzeuge umdirigiert. Und wir fahren über die Kunstseide und den Elbhang hoch und über die Äcker. Rechts wunderschön der Barockgarten Großsedlitz. Bei dem schwachen Wind gelingt offenbar eine meisterliche Landung, denn der Korb kippt nicht um.
Anschließend gibt es an der Straße die traditionelle Ballonfahrertaufe. Dazu müssen das Brautpaar und ich niederknien. Mit einem Feuerzeug wird ein Büschel Kopfhaare angesengt und mit Sekt gelöscht. Das soll wohl ein Opfer an irgendwelchen Ballongöttern des Feuers, des Wassers und des Windes sein. Und im Nu von beiden Seiten ein riesiger Stau auf der schmalen Landstraße. Alle wollen die Landung der Ballone und die Taufzeremonie sehen. Spätabend kommen wir wieder in Radebeul an. Die Hochzeitsgesellschaft ist mehr als sauer. Aber für das Brautpaar und für mich war das ein unvergessliches Erlebnis.
Am nächsten Tag erhalte ich meine Taufurkunde und Waltraut einen Flug im Cockpit der Bell 206 L-3. Zwischen den Beinen konnte sie gerade runter auf die Erde blicken. So richtig hat ihr deshalb der Flug nicht gefallen.
Bild 2 – Das Brautpaar Claudia und Jens vor der Ballonfahrt.
Bild 3 – Die Taufurkunde des Verfassers.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Waltrauts Ballonfahrt holen wir 10 Jahre später am 26.08.2000 nach, als Geschenk zu meinem 60. Geburtstag. Vom Dresdner Elbufer bis hinter Meißen auf der Höhe. Sagenhaft wunderschön. Nun sind wir „Erzherzog Heinz zum japanischen Palais, sächsischer Ballonritter über dem Spaargebirge, Schwertergraf zu Meißen“ und „Fürstin Waltraut von der Augustusbrücke, ballonfahrende Hofdame zu Schloss Wackerbarth, Burgfrau der Albrechtsburg Meißen“.
Aber zurück zum Fallschirmspringen.
Sprung-Wochenenden in Pirna und Riesa 1990
Eine der Landshuter Cessna ist wohl in Pirna geblieben. Der Flugplatzleiter Gerd Rosso hat die Flugberechtigung für dieses Flugzeug erworben. Dadurch können wir am 25./26.05.1990 in Pirna springen: vier Sprünge aus der Cessna mit dem vertrauten RL 10/2. Es folgen am 11./12.08.1990 in Riesa-Göhlis sieben Sprünge aus der An-2 mit dem RL10/2, darunter einen 20 Sekunden-Verzögerungssprung.
Beinahe-Sprung auf dem Truppenübungsplatz Königsbrück
Zurück in das Jahr 1969: In Vorbereitung auf den Flugtag in Canitz am 21.06.1969 führt eine Gruppe sowjetischer Fallschirmspringer vom Fallschirmdienst des sowjetischen Militärflugplatzes in Großenhain mit ihrer eigenen An-2 Sprungbetrieb bei uns in Riesa-Göhlis durch. Wobei sich der Kommandeur mit einem Hubschrauber Mi-4 einfliegen lässt. Was mich wundert, ist das völlig „unsozialistische“ Gebaren dieses Offiziers. Als er nach dem Sprung landet, lässt er seine ganze Ausrüstung an der Stelle liegen. Ein Muschkote rennt hin, holt das ganze Zeug und packt ihm seinen Fallschirm. Und der Offizier raucht daneben wie ein Schlot. Rauchen in der Packzone, das gibt es bei uns nun gar nicht. Dann lässt er sich von einem Soldaten wieder die Ausrüstung anlegen und macht dabei keinen Handgriff. Am liebsten hätte er sich wohl in die Maschine tragen lassen. Wenigstens kann eine Gruppe von uns an diesem Tage aus der sowjetischen An-2 springen.
Auch zu dem missglückten Flugtag am 09.06.1974, bei dem Detlev Hoffmann tödlich verunglückt, ist eine Gruppe sowjetischer Fallschirmspringer vom Fallschirmdienst aus Großenhain mit ihrer An-2 am Platz. Es hat immer wieder vor allem seitens der Segelflieger in Canitz Kontaktversuche zum sowjetischen Militärflugplatz Großenhain gegeben, in der Hoffnung, dadurch die Flugsperren zu mildern.
1990 gibt es von uns aus einen erneuten Kontakt zum Fallschirmdienst in Großenhain. Durch seinen dreijährigen Aufenthalt in der Sowjetunion spricht Fallschirmsprunglehrer Rainer Weber perfekt Russisch. Irgendwie hat er die Telefonnummer von dem verantwortlichen Offizier und der lädt uns ganz unorthodox in seine Wohnung in dem Neubauviertel am Dresdner Jägerpark ein, wo viele sowjetische Offiziere wohnen (u.a. auch Putin, als er beim KGB in Dresden war). Wo gab´s denn früher sowas. Bisher waren selbst sowjetischen Offizieren private Kontakte strikt verboten. Aber auch bei den sowjetischen Genossen geht es jetzt schon Drunter und Drüber. Jedenfalls macht uns der Offizier ein Angebot (gegen ein geringes Entgelt?), dass wir auf dem Truppenübungsplatz Königsbrück einen Sprung aus dem Hubschrauber Mi-8 machen könnten. Und er beschreibt uns, wie wir an den Startplatz des Hubschraubers kommen. Nicht durch die offizielle Einfahrt am „Neuen Lager“, dem Kasernenkomplex der 11. Sowjetischen Gardepanzerdivision, sondern über eine „illegale“ Einfahrt irgendwo hinter Kroppen mitten im Busch.
Der gesamte Truppenübungsplatz ist ja militärisches Sperrgebiet und das Betreten strengstens verboten. Durch Schranken, Baumsperren, große Betonblöcke, Findlinge und Gräben rings um das riesige Gelände wird das illegale Einfahren von Pilzsammlern in das munitionsverseuchte Gebiet verhindert. Aber mehr noch soll damit verhindert werden, dass sowjetische Soldaten mit ihren Fahrzeugen illegale Spritztouren außerhalb des Truppenübungsplatzes unternehmen. Aber die findigen sowjetischen Genossen haben sich eine „illegale“ Ausfahrt geschaffen.
Wir sind 12-14 Kameraden und fahren mit unserer gesamten Ausrüstung mit dem W50 von Riesa-Göhlis los. Mit von der Partie sind 4 westdeutsche Fallschirmspringer mit ihrer Ausrüstung. Ich weiß nicht, wer die von uns mit eingeladen hat. Jetzt ist ja alles möglich. Wir finden auch die „illegale“ Einfahrt auf den Truppenübungsplatz, aber nicht den Landeplatz des Hubschraubers. Wir hören auch keinen, der von Großenhain rüber geflogen kommen müsste. Und so irren wir über den Truppenübungsplatz, verfahren uns im Wald, fahren über offenes Gelände, kein Hubschraube und keiner da, den man frage könnte. Und keine Telefonzelle, wo man den sowjetischen Offizier hätte anrufen können (Handys gab´s ja noch nicht).
Auf einem offenen Übungsgelände sehen wir von weiten, einen ganzen Trupp Panzer auf uns rollen. Wir haben schon Angst, dass sie uns als Ziel für ihr Übungsschießen ausgemacht haben. Bloß gut, dass die nicht geschossen haben. Wir finden schließlich Fahrspuren von Lkws, die in das Kasernengelände der Panzerschule Röhrsdorf führen. Wir fahren zwar in einem grünen Militärfahrzeug, aber einen W50 gab es in der ganzen Sowjetarmee nicht. Uns folgen neugierige Blicke, bis wir an dem verschlossenen Eingangstor anhalten müssen. Es bedarf großer Überredungskunst von Rainer Weber und einige Telefongespräche, damit wir das Objekt verlassen können. Wir sind heilfroh, als wir endlich raus sind. Ich weiß nicht, was passiert wär, wenn die unsere Ausweise hätten sehen wollen und dabei vier bundesdeutsche Fallschirmspringer entdeckt hätten. Die hätten uns doch glatt als Spione festgenommen.
Nun sind wir Bundesrepublik
Seit dem 03.10.1990 gibt es die DDR nicht mehr. Damit verliert auch unsere bisherige DDR-Fallschirmsprungerlaubnis ihre Gültigkeit. Wenn ich weiter springen will, brauchte ich eine bundesdeutsche Lizenz. Dazu ist aber ein Fliegerärztliches Tauglichkeitszeugnis nach den Richtlinien des Bundesministers für Verkehr zur „Feststellung der Tauglichkeit des Luftfahrtpersonals“ erforderlich. Das stellt mir Dr. Hora in Dresden als Leiter einer „Direktionsgutachterkommission“ aus. (Übrigens ist seine Tochter jetzt unsere Hausärztin und war sehr erfreut, als sie die Unterschrift ihres Vaters auf meinem Tauglichkeitszeugnis sieht.)
Außerdem muss ich zwei Überprüfungssprünge mit 10 Sekunden Verzögerung nachweisen. Das erfolgt am 11.04.1992 auf dem Flugplatz Riesa-Göhlis. Mit einem völlig unbekannten Schirm, einem bundesdeutschen Gleitfallschirm „Vector“ für Sprungschüler. Den hat mir Heidrun Dank gepackt. Jetzt befindet sich der Rettungsfallschirm mit auf den Rücken, vorne also kein BE mehr. Ich fühle mich vorn richtig nackt. Wo soll man Stoppuhr und Höhenmesser anbringen, die bisher gut sichtbar vorn auf den bisherigen Rettungsfallschirm lagen? Und kein Sprungautomat KAP-3, sondern irgendein klitzekleines Ding, so groß wie ein USB-Stick, von dem ich nicht weiß, wie und ob er funktioniert. Na wenigstens bin ich vor zwei Jahren schon mal aus der Cessna gesprungen. Der Abgang ist ein bisschen wie L-60, nur mit 140 -160 km/h etwas stürmischer.
Peter Dank hatte inzwischen seinem Tandem-Master gemacht und Waltraut will zu ihrem 50. Geburtstag einen solchen Sprung wagen. An diesem Sprungbetriebstag klappt es. Nach einer kurzen Einweisung steigt Waltraut in der Abenddämmerung mit der Cessna auf 4.000 m und macht mit Peter einen Tandemsprung. Und Heidi Dank filmt das Ganze mit der Videokamera. Aus 4.000 m – so hoch bin ich die ganzen 30 Jahre nie gekommen.
Im Ergebnis meiner beiden Überprüfungssprünge erhalte ich 21.04.1992 den bundesdeutschen Luftfahrerschein für Fallschirmspringer Nr. SN-551. Wenn ich weiter springen will, muss ich jetzt noch eine personengebundene Haftpflichtversicherung abschließen. Die kostet 50 DM pro Halbjahr.
Helenensee 1992
Jetzt ist alles möglich. Fallschirmsprunglehrer Klaus Pätzolt, der schon eine Weile in Berlin lebt, organisiert von dort aus Anfang August 1992 ein Sprungwochenende mit Familie am Helenensee bei Frankfurt/Oder und chartert von irgendwo eine Cessna. Der Helenensee ist das Naherholungsgebiet der Frankfurter und Eisenhüttenstädter mit herrlichem Sandstrand und einen Campingplatz. Dort schlagen wir unsere Zelte auf. Anreise erfolgt mit eigenem Pkw, die Schirme nehmen wir aus Riesa-Göhlis mit.
An diesem Wochenende ist wohl Strandfest am Helenensee und wir mit unseren Fallschirmen sollten sowas wie eine Attraktion sein. Gestartet wird von einer kleinen Ödfläche irgendwo in der Nähe von Lossow. Alle Sprünge erfolgen aus 1.200 m, am ersten Tag mit dem RL-10 an dem Strand, den zweiten Sprung mit dem RS-8 ins Wasser und am Sonntag mit dem RL-10 erst an den Strand sowie dann damit ins Wasser.
Bei den Strandsprüngen habe ich den Fotoapparat mit und knipse wie verrückt aus dem Flugzeug. Am Schirm nicht mehr, da habe ich zu tun, den schmalen Strand zu erwischen. Ringsherum ist nur Wald und Wasser. Herrlich, mal wieder woanders zu springen und die Gemeinschaft unserer Truppe bei Grillen und Lagerfeuer zu genießen. An der Helene kostet das Fallschirmspringen wohl schon Geld. Laut einer Quittung vom 02.08.1992 habe ich für einen Sprung aus 1.200 m 16 DM bezahlt. Die anderen Sprünge hat vielleicht der Veranstalter gesponsert.
Bild 4 – Blick ins Cockpit der Cessna 205.
Bild 5 – Über den Helenensee.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Erste Sächsische Staatsmeisterschaften in Fallschirmspringen in Riesa
Peter Dank, nunmehr Vorsitzender des Dresdner Fallschirmsportvereines, organisiert in Riesa am 26./27.09.1992 die 1. (und einzige) Sächsische Staatsmeisterschaften in Fallschirmspringen. Alle, die nun eine bundesdeutsche Lizenz haben, sind am Start. Dort treffe ich auch viele alte Kameraden aus dem ehemaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt (nunmehr Chemnitz) aus unserer Zeit in Jahnsdorf. Gestartet wird in Riesa-Göhlis, gesprungen aus der Cessna. Es gibt nur die Disziplin Einzel-Zielspringen aus 1.000 m. Ziel ist eine sechseckige Sprungmatte im „Stadion der Jugend“ in Riesa. An beiden Tagen mache ich je 3 Sprünge. Ich laufe als „Sprung-Opa“ mit meinem RL-10 mehr oder weniger außer Konkurrenz.
Zwei Jahrzehnte bin ich über Riesa geflogen. Bisher konnte ich das Erlebnis – Riesa von oben – nur im Gedächtnis speichern. Private Luftaufnahmen waren in der DDR strengstens verboten. Jetzt nehme ich den Fotoapparat mit und schieße am Schirm jede Menge Bilder.
Der schönste Sprung ist der dritte am Sonnabend. Peter hat mich als letzter im letzten Start eingeteilt. Es dämmert bereits und es ist fast windstill. Die lieben Kameraden haben extra für den Sprung-Opa einen alten 15 cm-Nuller ausgelegt (der aktuelle betrug ja nun 5 cm im Durchmesser). Ich traf sogar diesen Nuller. Und die Kameraden gratulieren mir mit einem Blumenstrauß zu meinem 1.000 Sprung.
Bild 6 – Blick ins Station der Jugend in Riesa.
Bild 7 – Wird es vielleicht ein „Nuller“?
Bild 8/9 – Der 1000. Sprung des Autors.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Unser Quartier ist die Jugendherberge in der Windmühle in Strehla. Da wird mein 1.000 ausgiebig mit Steak und Bratwurst vom Grill und viel Bier gefeiert. Der Sekt fließt in Strömen. Mein 1.000er ist mir eine ganze Kiste davon wert. Wir singen die alten Lieder und genießen unsere Fallschirmspringerkameradschaft. Aber: „Alles vorbei – Tom Dooley“.
Am 20.06.1993 mache ich in Pirna-Pratschwitz mit 53 Jahren den letzten Sprung. Es ist nach 33 Jahren Fallschirmspringen der 1.004 Sprung. Abschied vom Fallschirmsport mit einem Vektor aus der Cessna – 1.200 m mit automatischer Öffnung. Ich hatte wohl die Absicht noch weiter zu springen, denn ich lasse mir im Februar 1994 von Dr. Hora erneut die Tauglichkeit bestätigen. Danach hätte ich nicht mehr zum Arzt gemusst, wenn ich jedes Jahr die für die Verlängerung der bundesdeutschen Lizenz erforderlichen Sprünge nachweisen kann. Das kann ich nicht. Existenzsicherung geht vor. Wenigstens habe ich die 1.000 noch vollgemacht.
Damit ist mein bundesdeutscher Luftfahrerschein für Fallschirmspringer Nr. SN-551 seit dem 14.02.1994 ungültig.
9.2. Der Fallschirmsport zum Ende der DDR
Anfang 1990 wird die GST in einen Dachverband für technische Sportverbände umgestaltet, der im April 1990 als „Gesellschaft für Sport und Technik – Vereinigung technischer Sportverbände“ in das Vereinigungsregister der DDR eingetragen und später als „Bund technischer Sportverbände e.V.“ (BTSV) in das bundesdeutsche Vereinsregister übernommen wird. Der neue Flug- und Fallschirmsportverband ist Teilverband des BTSV. Mit Gründung der Luftsport-Landesverbände im November 1990 beschließt der BTSV seine Auflösung. Die bestehenden Sektionen und Grundorganisationen im GST-Flugsport müssen sich nun als Vereine neu etablieren und Mitglied in den neugegründeten Luftsportverbänden der neuen Bundesländer werden. Diese wiederum werden 01.01.1991 Mitglied des Deutschen Aeroclubs (DAeC).
Eine „Unabhängige Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ (UKPV) ist vom 1. Juni 1990 bis 15. Dezember 2006 für die Ermittlung der Vermögen von Parteien und Massenorganisationen der DDR im In- und Ausland zuständig. Darunter zählt auch als Massenorganisation der DDR die Gesellschaft für Sport und Technik.
Die GST besitzt zur Wende 442 Segelflugzeuge, 163 Motorflugzeuge (davon 13 An-2, 25 Trener, 55 Z-42, 70 Wilga) und 2.000 Sport- und Rettungsfallschirme. Flugzeuge und Fallschirme werden erstmal den neu gegründeten Vereinen unentgeltlich zur Nutzung übergeben. Der Anspruch der Vereine auf das ehemalige GST-Fluggerät wird damit begründet, dass es als „Volkseigentum“ gilt, für den Luftsport ausgelegt ist und in jahrelanger Wartung und Pflege erhalten wurde.
Das Vermögen der GST und ihres Nachfolgeverbandes BTSV wird nach § 20b des Parteiengesetzes der DDR und später mit dem Einigungsvertrag von der Treuhandanstalt abgewickelt. Erst dachte man, die Treuhand sei nur für die Eigentumsüberführung der volkseigenen Betriebe zuständig, aber mit der Bildung einer Abteilung für Sondervermögen steht auch die Abwicklung der ehemaligen GST auf der Tagesordnung, um deren Vermögen mit finanziellem Gewinn in eine andere Eigentumsform zu überführen.
Dazu wird der Wert für jedes einzelne Motorflugzeug und die Segelflugzeuge durch eine Firma aus Bremen ermittelt. Der errechnete Verkehrswert beläuft sich auf rund 11 Millionen DM. Eine erstaunlich niedrige Bewertung, da das Gerät relativ neu ist. Jetzt sollen die ostdeutschen Vereine ihre eigenen Flugzeuge und Fallschirme von der Treuhand kaufen. Die Vereine weigern sich. Es war ja ihr Volkseigentum, außerdem haben sie gar kein Geld.
Der Kampf dauert vier Jahre. Am 23.02.1994 übergibt die Treuhand die Flugzeuge und über 2.000 Fallschirme unentgeltlich an den Deutschen Aeroklub und dieser am gleichen Tag an die ostdeutschen Landesverbände. Tage darauf erfolgt die Verteilung an die Flugsportvereine – mit der Einschränkung, dass die Flugzeuge innerhalb der nächsten 12 Jahre nicht verkauft werden dürfen. Für die Fallschirme als „kurzlebiges Sportgerät“ gilt diese Sperrfrist nicht.
Bild 10 – DAeC-Präsident Klaus Scheer bei der Vertragsunterzeichnung zur Übergabe der ehemaligen GST-Flugzeuge an die Landesverbände; Dr. Diersdorf – Direktor der Abteilung Sondervermögen der Treuhandanstalt – hat bereits unterschrieben.
Bild 11 – Weitergabe der übergebenen Flugzeuge an die Präsidenten der Bundesländer – hier Heinz Krieger, der den Vertrag für den LV Mecklenburg-Vorpommern unterzeichnet.
(Bildquellen: „Umbruch – Eine Chronik 1989 bis 2007“ von Horst Brändel)
9.3. Von der GST- Grundorganisation Fallschirmsport zum Dresdner Fallschirmsportverein
Wenn wir unsere Fallschirme und Ausrüstungen behalten wollen, müssen wir auch einen Verein gründen, den Dresdner Fallschirmsportverein e.V.. Das ist gar nicht so einfach, denn viel der ehemals aktiven Fallschirmsprunglehrer und Fallschirmspringer geben mit der Wende auf, werden arbeitslos oder wanderten auf der Suche nach Arbeit ab. Die Sicherung der eigenen Existenz hat Vorrang vor dem geliebten Sport. So sieht es auch bei mir aus, denn mein Institut wird abgewickelt und ich werde arbeitslos.
Meine letzte Aktivität ist zusammen mit Fallschirmsprunglehrerin Anne Müller die Ausarbeitung des Statuts des Vereines als Voraussetzung für die Eintragung in das Vereinsregister und die Anerkennung als gemeinnütziger Verein. Ich hatte so gut wie keine Ahnung und besuche deshalb extra ein ganztägiges Seminar über Vereinsgründungen.
Das sich der Dresdner Fallschirmsport über die Wende rettet, ist vor allem das Verdienst von Peter Dank. Aber das Kapitel Dresdner Fallschirmsportverein nach der Wende sollen andere schreiben, da bin ich raus.
Mit der Auflösung der GST werden auch deren hauptamtliche Funktionäre arbeitslos. Das betrifft auch unseren letzten Oberinstrukteur Peter Dank und den Flugplatzleiter von Pirna Gerd Rosso. Beide wickeln in Form einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zwei Jahre lang das ehemalige Bezirksausbildungszentrum Riesa-Göhlis ab. Peter ist es zu verdanken, dass die An-2 mit der Kennung DDR-WJM nach bundesdeutschem Luftrecht in die D-FWJM umgewandelt und dem Dresdner Fallschirmsportverein (DFSV) zur Nutzung übergeben wird. Übrigens die einzige von den 13 An-2 der GST, die einen Fallschirmsportverein direkt übergeben wird. Die anderen wandern in die Hände von Motorflugvereinen. Allerdings übersteigen Betriebs- und Wartungskosten der An-2 das finanzielle Leistungsvermögen eines neugegründeten, armen Vereins von ca. 30 Mitgliedern, so dass sie sehr schnell gegen eine Cessna verleast wird.
Außerdem erhält der DFSV 10 Gleitfallschirme und 16 Rundkappenfallschirme (RS-8 und RS-4/3C). Die Rundkappen werden aber an die Vereine in Jahnsdorf und Neuhausen verkauft. Dafür kauft sich der Verein einen Tandemschirm und den Schülergleitfallschirm Vector. Damit ist der DFSV der erste, der seine Anfängerausbildung mit Gleitfallschirmen durchführt.
Die GST nutzte zur Wende 37 Flugplätze. Diese Zahl erhöht sich im letzten Jahr der DDR auf 72, weil die neuen Flugsportvereine die 1979 durch die „Zentralisierung“ geschlossenen Flugplätze wieder in Besitz nehmen. Die Flugplätze sollen durch das Direktorrat Kommunalvermögen der Treuhand fast ausschließlich an die Kommunen verkauft werden. Bei Flugplätzen mit gewerblicher Nutzung bestimmt die Treuhand in der Regel einen für die Kommunen erträglichen Preis. Die anteilige Nutzung durch Flugsportvereine wirkt preissenkend. Bei ausschließlicher luftsportlicher Nutzung geht der Platz kostenfrei an die Kommune.
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In den Zuordnungsbescheiden wird anfangs eine Begünstigung der Vereine auf 15 Jahre festgeschrieben, später erreicht der Verhandlungsdruck des DAeC eine Frist von 25 Jahren. Für diese Zeit können die Vereine die Plätze kostenfrei nutzen. Bis 1994 werden den Kommunen 54 Flugplätze zugeordnet. In den folgenden Jahren geht es meist um Plätze mit unschlüssigem Nutzungskonzept, Blockaden von Alteigentümern, Widerstand von Umweltaktivisten oder politischem Streit in den Kommunen. Bis 1998 sind alle zur Kommunalisierung beantragten 71 Flugplätze übereignet.
Anfang der 90er Jahre geht unser Flugplatz Riesa-Göhlis nach einem Stadtratsbeschluss in den Besitz der neugegründeten Stadtwerke über. In deren Regie erfolgt der Ausbau zu einem modernen Verkehrslandeplatz mit einer 1.000 m asphaltierten Start- und Landebahn. Die Stadtwerke halten sich nicht an die im Zuordnungsbescheid festgelegte kostenlose Nutzung durch die Luftsportvereine. Sie verlangen vom DFSV für die Nutzung einiger Räume im Objekt eine Monatsmiete von 700 DM. Auch hier ist der Verein finanziell überfordert, sodass sich der DFSV gezwungen sieht, erst nach Großenhain und später nach Bautzen-Litten „auszuwandern“. Das bedeutet das Ende einer fast 40-jährigen Fallschirmsporttradition in Riesa.
Später übernimmt die Nutzung des Flugplatzes eine Betreibergesellschaft aus Unternehmen, die sich am Flugplatz angesiedelt hatten. 2015 geht diese in Konkurs, weil die Stadtwerke die bisherigen jährlichen Zuschüsse nicht mehr zahlen darf. Laut dem sächsischen Rechnungshof seien diese Zuschüsse nicht mit EU-Recht vereinbar. Der Flugbetrieb wird zeitweilig eingestellt.
Bild 12 – Der Flugplatz Riesa-Göhlis (ICAO-Code: EDAU) ist ein etwa zwei Kilometer östlich des Stadtzentrums von Riesa gelegener Verkehrslandeplatz.
Er verfügt über eine 1000 m lange Asphaltbahn und eine 600 m lange Grasbahn. Beide Bahnen haben eine Ausrichtung von 300°/120° und liegen direkt hintereinander.
(Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Flugplatz_Riesa-Göhlis)
9.4. Nun ist wirklich alles anders
Nun ist der Himmel frei und für jeden zugänglich, wenn man die Zeit und das nötige Geld hat. Fliegen mit Motorflugzeug, Hubschrauber, Ultraleicht, Drachen mit und ohne Motor, Fallschirmspringen aus allen Höhen und in der ganzen Welt, Gleitschirmfliegen mit und ohne Motor, Ballonfahren, keine Flugsperren mehr, die NVA-Luftstreitkräfte aufgelöst, die russischen Flieger heimgekehrt.
Utz Elsner aus unserer Grundorganisation macht den Wechsel vom Fallschirmspringer zum Motorflieger. Fallschirmsprunglehrer Rainer Weber findet Arbeit in der Schweiz, legt sich einen Gleitschirm zu und fliegt damit in den Alpen. Und meine ehemaligen Kameraden springen wegen des immer schönen Wetters in den USA oder in Portugal, aber auch in der Ukraine, denn dort ist das Hobby noch erschwinglich.
Und was jetzt alles beim Fallschirmspringen gemacht wird. Simples Zielspringen und Verzögerungsspringen sind passé. Dutzende Formationsspringer bilden Sterne im freien Fall. Peter Dank und Ralf Homuth springen 1999 in Riesa-Göhlis mit 120 Fallschirmspringern aus dem größten Hubschrauber der Welt, einer russischen Mi-26. Es sollte ein 80er Stern als deutscher Rekord werden. Dann gibt es die Kappenformationen, wo sich bis zu über 20 Fallschirmspringer als riesigen Stapel übereinander verhaken. Fallschirmsprunglehrerin Claudia Kaden leistet sich einen Parabellflug mit einer Boeing in den USA, weil sie wissen will, wie sich Kosmonauten in der Schwerelosigkeit fühlen.
Die Ausbildung zum Fallschirmspringer kann man heute mit AFF (Accelerated Free Fall = beschleunigte Freifallausbildung) beginnen. Nach 2 Tagen theoretischer und bodenpraktischer Ausbildung erfolgt der 1. Sprung aus 4.000 m mit etwas mehr als 50 Sekunden Verzögerung. Zwei AFF-Lehrer nehmen den Schüler im freien Fall in die Mitte und überwachen seine Schirmöffnung. Anschließend werden Kappenflug und Landung per Funk vom Boden aus begleitet.
Fast könnte man neidisch werden. Aber nein: Motorfliegen bei der GST und der Armee und Fallschirmspringen, das war meine Zeit, meine Jugend, mein Leben, auf das ich stolz bin. Fliegen und Fallschirmspringen war das Beste, was mir passieren konnte. Wobei „passiert“ ist nicht der richtige Ausdruck, denn es ist ja nicht mit mir passiert, sondern ich habe es bewusst gewollt und aktiv betrieben – allen Widrigkeiten zum Trotz.
Was ist davon geblieben? Stolz, wertvolle Erinnerungen an Erlebnisse und Personen, immer noch herzliche Beziehung zu ehemaligen Kameraden, 1.000 Fotos auf dem Computer, ein Haufen Papier, Unterrichtsmaterialien, Urkunden, Auszeichnungen, Abzeichen und eine gequetschte Bandscheibe. Fallschirmspringen war für mich Selbstbestätigung, körperliche Anstrengung, Überwindung des inneren Schweinehunds, Leidenschaft, Begeisterung, gesellschaftlicher Auftrag, Kameradschaft, Abenteuer, manchmal auch Romantik. 30 Jahre habe ich durchgehalten, trotz zweier Fernstudien und einer außerplanmäßigen Aspirantur, trotz aller Widrigkeiten in Beruf und Ehe – oder vielleicht gerade deswegen. Ich bin stolz auf meine 1.000 Sprünge. Stolz – 30 Jahre der Fallschirmsportgeschichte in der DDR miterlebt und besonders in Dresden aktiv mitgestaltet zu haben. Stolz – das ich 30 interessante Jahre der Entwicklung der Fallschirmtechnik in der DDR mitmachen konnte. Stolz auch – 30 Jahre mit der Ausbildung von zukünftigen Fallschirmjägern zur Landesverteidigung, der „Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Schreckens“ – letztlich zum Frieden beigetragen zu haben.
Der Stolz des Lehrers ist aber besonders der Erfolg seiner Schüler. Deshalb bin ich noch mehr stolz darauf, mit beigetragen zu haben, dass hunderte Jugendliche die Faszination des Fallschirmspringens, das Schweben am Schirm und den „Freien Fall“ erleben konnten. Besonders stolz bin ich auf diejenigen, die länger dabeigeblieben sind, sportliche Erfolge erzielt haben, Fallschirmsprunglehrer wurden und die heute sogar noch springen.
Fallschirmspringen war ein unverzichtbarer Bestandteil meines Lebens, den ich nie missen möchte. Es war mehr als nur ein „Hobby“. Heute vermisse ich unsere damalige Kameradschaft und den Gemeinschaftssinn, der Wille zu sportlichen Herausforderungen, zu Abenteuer und Romantik. Bietet der Fallschirmsport das noch heute – oder ist alles nur noch Technik, Individualismus und Kommerz?