"Du fliegst wie ein Adler!"

7. Sicherheit im Fallschirmsport und Unfälle

Ich wurde immer gefragt, ob Fallschirmspringen nicht gefährlich sei. Meine Standardantwort war: „Das gefährlichste am Fallschirmspringen ist der Weg zum Flugplatz, da kann man nämlich überfahren werden“ – oder „Wir haben in einem Jahr im DDR-Fallschirmsport weniger Knochenbrüche als die Oberliga an einem Spieltag“. Und mein Spruch gegen Flugangst: „Flugzeugabstürze sind sooooo selten, dass man stolz sein kann, dabei gewesen zu sein!“

7.1. Was ist ein besonderes Vorkommnis?

– Unfälle von Personen (später wird das präzisiert: ab 3 Tage Krankschreibung),
– Schadensfälle,
– Störungen des ordnungsgemäßen Ablaufs beim Sprungbetrieb,
– Ansätze für besondere Vorkommnisse (ab 1980)

Die ersten beiden besonderen Vorkommnisse erlebe ich gleich zum ersten Lehrgang im April 1961: Karin Latuske – PD-47 – An-2 – 700 m mit automatischer Öffnung – einer ihrer ersten Sprünge. Karin strampelt beim Öffnungsvorgang. Eine dünne Fangleine des Hilfsschirmes verhakt sich in die Haken eines Sprungschuhs. Dadurch können die Fangleinen nicht ausschlaufen und der Hilfsschirm nicht den Verzögerungssack abstreifen. Sie fällt mit dem „Pissbogen“ und versuchte wohl durch Strampeln, den Hilfsschirm freizukriegen. Das gelingt nicht. Und sie fällt und fällt… und verschwindet fast hinter dem Wald vorm Burgsberg. Kurz davor kommt der weiße Rettungsfallschirm. Wir rennen alle hin. Da steht sie auf dem frisch gepflügten Acker. Bis auf dem Schreck, nichts passiert. Geschätzte Öffnungshöhe 40-50 m. Hätte sie Bruchteile von Sekunden später den Rettungsfallschirm geöffnet, wäre es zu spät gewesen. Sie springt dann in Halle weiter und wird 1964 in Karl-Marx-Stadt DDR-Meisterin im Zielspringen.

Schlussfolgerungen

1. Verstärktes Abgangstraining – konsequente Pakethaltung (Füße und Knie zusammen) – nicht strampeln. Obwohl ich aus eigenem Erleben weiß, wie schwierig das ist, nicht zu strampeln.
2. Die Haken an den Sprungschuhen werden entfernt und die Schnürsenkel bis in die letzte Reihe durch die Ösen gezogen.
3. Der bisherige Hilfsschirm mit seinen 12 dünnen Fangleinen wird später ersetzt durch die sogenannte Meduse „Optimus“ mit einer einzigen Verbindungsleine. Aber auch mit der Meduse muss erst noch Erfahrung gesammelt werden. Ist die Verbindungsleine zu kurz und der Federmechanismus zu schwach, kann die Meduse im Windschatten des Springes bleiben und den Verzögerungssack nicht strecken. Ist die Verbindungsleine zu lang, besteht wieder die Gefahr, dass sich die Meduse bei Kopf- oder Rückenlage, im Überschlag oder Strampeln in den Beinen verfängt.

Unser ältester Fallschirmspringer, der Schneidermeister Paul Dornig aus Bautzen strampelt bei einem 10“-Verzögerungssprung in einer steilen Kopflage, so dass sich das gesamte Fangleinenbündel um einen Fuß wickelt. Der Schirm entfaltete sich zwar, aber der gesamte Entfaltungsstoß geht nur über ein Bein. Der Oberschenkel wird aus dem Hüftgelenk gerissen. Dornig hängt mit dem fast abgerissenen Bein die ganze Zeit noch in den Fangleinen. Die Ärzte können zwar das Bein retten, aber er kann nie wieder richtig laufen – geschweige springen.

7.2. Die jährlichen Unfallauswertungen

Die nachfolgenden Zahlenangaben stammen aus der Unfallauswertung im Rahmen der jährlichen Lehrerlehrgänge (handschriftliche Aufzeichnungen aus meinem Arbeitsbuch). Sie mögen in ihrer Aufzählung etwas ermüdend sein. Ich will aber, dass die Daten nicht verloren gehen. Die jährliche Unfallauswertung war immer eine Quelle für das eigene Verhalten, für die Veränderung der Methodik der Fallschirmsprungausbildung, für Schwerpunkte in unserer Arbeit als FS-Lehrer und auch für technische Veränderungen und Weiterentwicklung der Technik durch das Fallschirmwerk Seifhennersdorf. Die Anzahl der Vorkommnisse muss man immer in Verbindung mit den jährlichen Sprungzahlen sehen.

1970
– 24.000 Sprünge gesamt, davon 27 Vorkommnisse (0,11 %),
– beim 1. Sprung: 6, beim 2. – 10. Sprung: 7, beim 11. – 20. Sprung: 2, über 20 Sprünge: 4, Lizenzspringer: 8

1972
– 14 Unfälle, 30 Störungen,
– Schüler bis 25 Sprünge: vor allem Landefehler,‘
– Lizenzspringer bis 125 Sprünge: Mangelnde Einweisung durch Lehrer für neue Typen und Übungen, geringe Achtung gegenüber den wenigen Anweisungen der Lehrer,
– Bezirke ohne Vorkommnisse: Magdeburg, Gera, Dresden

1975
– Unfälle: 11 (Dresden 1), davon tödlich: 2 (Leipzig und Neuhausen),
– Störungen: 7,
– Ursachen mangelnde Sprungvorbereitung, Überschätzung des eigenen Leistungsvermögens und Routine bei Lizenzinhabern

Bei dem tödlichen Unfall in Neuhausen hatte sich beim RL-8 der Optimus in einen Spanngummi verhakt. Der Verzögerungssack konnte nicht abstreift werden und bildete einen „Pissbogen“. Statt den Sprungfallschirm zu trennen, öffnete der Springer den Rettungsfallschirm zusätzlich. Dieser verfing sich in den Bogen und öffnete sich nicht. Schlussfolgerung: Die Haken der Spanngummis wurden verändert und nach dem Einhacken so umgebogen, das ein Hängenbleiben nicht mehr möglich war.

1976
– 23 besondere Vorkommnisse (Dresden 2), davon 9 Unfälle (2 tödlich – Berlin und Neuhausen), 13  Störungen und 1 Schadensfall

1977
– 22 besondere Vorkommnisse (Dresden 0), davon 5 Unfälle, 15 Störungen und 2 Schadensfälle,
  Disziplinverstoß eines Lehrers: Risiko bei der Landung,
  Fehler durch Schüler: Fehler beim Steuern (9. Sprung) – Außenlandung – Bruch des Schultergelenkes,
  Fehler durch Springer: Schlechte Öffnungslage, dadurch ein Gurt zwischen die Beine – RS-8 im Slip – bis 200 m versucht, das Bein rauszubekommen, Rettungsfallschirm
  nicht zusätzlich geöffnet.
– Deformation der Kappe bei RL-8 durch falsches Einschlaufen der elastischen Verbindungsleine – 2 Stempel in den Erlaubnisschein,
– Gruppenzielsprung UT-15, Springer landet auf seinen gerade gelandeten Vordermann – Unterschenkelfraktur des Obermanns (Fehler durch Lehrer Landeplatz: keine Warnrufe, Fehler durch Untermann: Sandkasten schnellstens verlassen, Fehler Obermann: Keine Sicherheitslandung),
– 72 Sprünge – Einweisungssprung RL-8 – Feinannäherung mit Vollgas – Beine zu weit nach vorn – Arschlandung – Lendenwirbelbruch – Querschnittslähmung,
– Seitlich versetzter Anflug auf Nuller – linkes Bein seitlich ausgestreckt und rechtes Bein angehockt – Bruch des rechten Beines,
– Trennung vom RL-10 – normale Landung mit Rettungsfallschirm, Ursache. Defekte Gummischlaufe verhinderte vollständige Öffnung
  Technischer Mangel:  Figurensprung mit RL-8 – Schlaufe im Aufzugskabel, Schirm ließ sich nicht öffnen.

1978
– 35.472 Sprünge gesamt, davon 21 besondere Vorkommnisse (0,06 %),
– 10 Unfälle, 6 Störungen und 5 Schadensfälle,

1982
– 31.117 Sprünge gesamt,
– 23 Unfälle (0,07 %), davon 1 Todesfall,
– 31 Ansätze zu besonderen Vorkommnis,
– 1 Störung

Die Störung betraf eine Hochspannungsleitung. Ursache war das Nichtbeachtung des Wetters, Absetz- und Steuerfehler. Diese Störung ist mir in Erinnerung geblieben. Die Springerin wurde mit dem RS-8 in Halle-Oppin abgetrieben und landete mit dem Schirm in einer 10 kV-Hochspannungsleitung. Durch Erdschluss schoss ein Stromstoß durch ihren Körper. Ihre Dederonunterwäsche schmolz und verursachte üble Verbrennungen. 3 Tage Stromausfall brachte der umliegenden Landwirtschaft erhebliche wirtschaftliche Schäden. Spaßeshalber haben wir gefragt, ob wir als Lehrer auch noch kontrollieren sollen, was für Unterwäsche unsere Sprungschülerinnen tragen.

1983
– 39.067 Sprünge gesamt,
– 11 Unfälle (Todesfall: 1, Fraktur Beine: 7, Fraktur der Wirbelsäule: 1, Bänderrisse: 2),
  Ursachen der Unfälle: mangelnde Kenntnisse: 3, Landefehler: 5, Disziplinverstöße: 3,
– 29 Ansätze zu besonderen Vorkommnis (7 Prellungen, 8 Trennungen, 5 Notöffnungen, 2 Absetzfehler, 2 Steuerfehler, 3 technische Mängel, 1 fehlerhafte zusätzliche Öffnung),
– Verursacher: 8 FS-Lehrer, 13 Springer, 19 Schüler,
– Häufigkeit: Mai/August, Beginn und Ende der Lehrgänge, erster und letzter Sprung am Tag,
– Schlussfolgerung: 2 – 3 Lehrgänge pro Jahr reichen nicht zum Erhalt der Qualifikation der Lehrer.

1984
– 9 Unfälle (Todesfall: 2, Fraktur Beine: 9, Fraktur Wirbelsäule: 1, Beckenbruch: 1, Bänderrisse: 1),
– 13 Ansätze zu besonderen Vorkommnis (3 leichte Verletzungen, 1 Prellung, 8 Trennungen, 3 Notöffnungen,
– Verursacher: 9 FS-Lehrer, 4 Springer, 12 Schüler

1987
– 9 Unfälle (Fraktur Beine: 7, Bänderrisse: 2),
– 13 Ansätze zu besonderen Vorkommnis (10 leichte Verletzungen, 3 Trennungen),
– Verursacher: 4 FS-Lehrer, 7 Springer, 17 Schüler,
– Ursachen: insgesamt 12 Landefehler

1988
– 9 Unfälle (Fraktur Beine: 9),
– 11 Ansätze zu besonderen Vorkommnis,
– Verursacher: 5 FS-Lehrer, 6 Springer, 10 Schüler

7.3. Unfälle mit dem Absetzflugzeug L-60

Das Problem mit dem Umsetzen – Havarie in Leipzig

Die L-60 ist als 4-sitziges Verbindungsflugzeug entwickelt worden. Beim Absetzen von Fallschirmspringern muss der rechte vordere Sitz und die rechte Tür ausgebaut werden. Sie fasst nur 3 Springer. Statt der Tür versperrt ein Stahlseil den Ausstieg. Das wird beim Start auf der rechten Seite mit einem Karabinerhacken in einer Öse eingehängt und erst beim Absetzen gelöst.

Der erste Springer sitzt rechts neben dem Piloten auf dem Kabinenboden – mit dem Rücken zur Flugrichtung. Die beiden anderen Springer zwängen sich – jeweils mit ihren Brust- und Rückenfallschirm beladen – auf die hintere schmale Rückbank. Wenn der Pilot keine Absetzberechtigung hat, muss als letzter Springer ein FS-Lehrer mitfliegen. Für ihn ist die Bestimmung des Absetzpunktes schwierig, weil er so gut wie keine Draufsicht hat.

Bild 1 – Das Absetzflugzeug L-60.
Bild 2 – Mühsames „Einfädeln“ von 3 Springern.
Bild 3 – Der 1. Springer sitzt entgegengesetzt zur Flugrichtung auf den Kabinenboden.

(Bildquellen: Bild 1 Jugend & Technik 12´1961, Bild 2 / 3 Heinz Großer)

In 250 m Höhe hängt der Pilot die Aufzugsleine in einen Ring am Pilotensitz ein. Nachdem der erste Springer die Maschine verlassen hat, muss sich der 2. Springer auf den Platz des 1. Springers „umsetzten“. Das ist mit den beiden Schirmen eine schwierige Prozedur. Bisher war es üblich, sich mit dem Oberkörper aus den Ausstieg zu lehnen – ohne schon rauszufallen und ohne mit dem Rückenfallschirm den Piloten gar zu sehr zu behindern. Dann wird dessen Aufzugsleine eingehängt. Der 3. Springer oder Absetzer rutscht auf den Platz des 2. Springers.

Üblicherweise befand sich der Aufzugsgriff des Sprungfallschirmes auf der linken Seite des Gurtzeuges, damit man mit dem stärkeren rechten Arm den Griff betätigen konnte. Deshalb haben die Brustfallschirme PZ-47, PS-41a und BE-3 anfangs den Griff auch auf der rechten Seite des Verpackungsranzens, damit man den Griff des Rettungsfallschirm ebenfalls mit der rechten Hand ziehen kann.

Wir haben uns aber beizeiten angewöhnt, den Griff des Sprungfallschirmes mit der linken Hand zu ziehen, indem wir den Daumen der linken Hand in den Griff einhacken und kräftig nach vorn ziehen. So konnten auch Linkshänder den Sprungfallschirm öffnen. Beim Rettungsfallschirm funktioniert das nicht. Mit kann schlecht über Kreuz mit der linken Hand rechts den Griff ziehen. Und der Griff rechts hat für die L-60 fatale Folgen. Beim Umsetzen konnte es passieren, dass der Griff des Rettungsfallschirms an der Öse für das Stahlseil hängenbleibt, die Kappe herausfällt und durch den Luftstrom erfasst über das Leitwerk gezerrt wird.

Und das ist 1967 in Leipzig wirklich passiert. Das Leitwerk der L-60 wird abgerissen, die Maschine stürze ab – Totalschaden. In der Broschüre der Staatlichen Luftfahrtinspektion der DDR „Auswertung von besonderen Vorkommnissen im Flugsport des Jahres 1968“ wird der Unfall von Leipzig nicht ausgewertet, sondern nur einleitend erwähnt, „dass während des Fallschirmsprungbetriebes ein Fallschirmsprungschüler und ein Flugzeugführer beim Absetzen von Fallschirmsprungschülern tödlich verletzt wurde.

Beinah Havarie in Klix

In Auswertung dieser Havarie wird mit dem Umbau der BE-3 mit dem Griff oben begonnen, sodass der Rettungsfallschirm mit der linken oder rechten Hand betätigt werden kann und nicht mehr die Gefahr des Hängenbleibens des seitlichen Griffes in der L-60 besteht. Und es gab die Weisung, dass aus der L-60 nur noch mit umgebauten BE-3 (Griff oben) gesprungen werden darf. Der Umbau dauerte seine Zeit, deshalb führen wir im Juli 1967 in Klix einen L-60-Lehrgang durch, wo noch einige nicht umgebauten BE-3 eingesetzt werden. Wir haben deshalb die Order ausgegeben, dass die Springer sich mit dem Gesicht und damit dem Rettungsfallschirm zum Piloten zu umsetzen sollen. Das sah zwar noch gefährlicher aus, weil ja dabei der ganze Rückenfallschirm schon draußen hing. Aber so konnte beim Drehen nichts hängenbleiben, außer dass man vielleicht eher rausfallen kann. Und als 3. Springer sollte immer ein FS-Lehrer dabei sein.

In einem Start bin ich der Absetzer. Vor mir als 2. Sprungschüler Hermann Diewock. Ich denk, ich sehe nicht recht, Triefsack Diewock setzt sich falsch rum um. Prompt bleibt der seitliche Griff an der Öse hängen und die Klappen des BE-3 öffnen sich. Als ich die weiße Wäsche sehe, stoße ich Diewock blitzschnell aus der Maschine. Zu unser aller Glück hat Diewock noch seine linke Hand auf dem Wäschepaket, sodass sich der Rettungsfallschirm erst unter und hinter der Maschine öffnet. Nichts passiert.

Ich bin von dem Vorgang so geschockt, dass ich nach heftiger Auseinandersetzung Diewock des Lehrgangs verwies und ihn am liebsten aus dem Fallschirmsport geschmissen hätte. Ob der Vorfall vom OI als besonderes Vorkommnis nach oben gemeldet wurde, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wurde das ganze unter den Teppich gekehrt. Diewock hätte ja mit dem alten BE-3 gar nicht springen dürfen. Irgendwann taucht Diewock wieder auf den Flugplatz auf, 1974 ist er in meinem A-Lehrerlehrgang in Schönhagen, macht eine Jahr später seinen B-Lehrer, erwirbt sämtliche Berechtigungen als Fallschirmwart und ist später von 1976 – 1979 der hauptamtliche Fallschirmwart am BAZ Riesa. Aber ich so richtig vertrauen könnte ich ihm nie.

Das ist übrigens das einzige Mal, dass ich jemand aus der Maschine gestoßen habe. Ich hatte auch nie eine echte Sprungverweigerung. Es hat zwar immer ein paar Ängstliche und Zögernde gegeben – das ist normal. Aber letztlich sind alle von selbst abgesprungen – mit einem auffordernden Klaps auf die Schulter. Man tat gut daran, die Sprungschüler beim Flug ständig zu beobachten, in welcher psychischen Verfassung sie sind und wie sie den ungewohnten Flug vertragen. Gekotzt hat bei mir auch keine oder keiner. Manche Sprungschüler haben vorsorglich eine Tüte eingesteckt. Es soll auch Schüler geben haben, die in den eigenen Sturzhelm gekotzt haben, aber bei mir nicht. Selbstverständlich durfte der Betreffende nicht springen und der Absetzer musste mit ihm wieder runter.

Einmal habe ich ein ach so junges Mädchen in der Gruppe, die war kreidebleich und zitterte wie Espenlaub. Aber sie wollte unbedingt springen. Da habe ich sie gesperrt und bin wieder mit ihr runter. Das war mir zu unsicher – Safety first.

Havarie in Anklam 

Zurück zur L-60 mit der verdammten Öse am Ausstieg. Am 30.05.1968 passierte es wieder – in Anklam. FS-Lehrer Peter Garbe schildert das als Augenzeuge wie folgt (von mir leicht gekürzt):
„FS-Lehrer Klaus Helms startete mit seinen beiden Schülern, Absetzhöhe wahrscheinlich 1.000 m. Der erste Springer kam, der Schirm ging auf. In Ordnung! Da plötzlich beim zweiten Anflug kam ein Schirm raus und fegte in das Höhenleitwerk. Innerhalb einer Sekunde wurde aus der Normalität der Notstand, nach einigen weiteren Sekunden die Katastrophe. Sofort ging die Maschine auf den Kopf, das Triebwerk heulte auf und die L- 60 raste mit ständig wachsender Geschwindigkeit der Erde entgegen. Plötzlich bogen sich die Tragflächen nach oben und klappten an den Rumpf. Da – schon in Bodennähe – löste sich ein Körper von der Maschine, bevor er und die Maschine hinter den Bäumen verschwanden, blitzte noch etwas weiß auf. Dann ein dumpfer Aufschlag, danach Stille – Totenstille. Das Ganze hatte keine 30 Sekunden gedauert“.

„Unsere Erstarrung dauerte ebenfalls nur Sekunden, dann sprangen wir in Pauls Wagen und rasten zur Absturzstelle, die etwa 1 km nördlich des Platzes auf einem Acker liegen musste. Dort erwartete uns erst mal eine gute Nachricht. Klaus Helms kam uns heil und unversehrt entgegen. Einen Schock hatte er nicht, war also im wörtlichen Sinne „unerschrocken“, zeigte nur mit einer traurigen Geste in Richtung des Wracks. Was wir dort sahen, war wirklich schrecklich. Die Maschine war mit 300 vielleicht auch 400 km/h unangespitzt eingeschlagen, erstaunlicherweise aber nicht in Brand geraten.“

Nach den Aussagen von Klaus Helms:
„Als er den 2. Springer zum Fertigmachen aufforderte, saß dieser ziemlich blass in seiner Ecke. Plötzlich schoss sein Ersatzgerät raus, mit den bekannten Folgen. Klaus versuchte ihn aus der Maschine zu bugsieren, was ihm aber nicht gelang. Er stieg über ihn hinweg auf den Tritt und versuchte mit dem Kappmesser die Gurtenden zu durchtrennen. Ob er in Bodennähe gesprungen ist oder der Fahrtwind ihn einfach weggerissen hatte, konnte er hinterher nicht mehr sagen. Als er den Boden ganz, ganz dicht vor sich sah, öffnete er das Ersatzgerät, nicht den länger öffnenden Sprungschirm. Das rettete ihm das Leben. Die Öffnungshöhe lag sicher weit unter 50 m, vielleicht waren es auch nur 20 oder 10 m. Bevor seine Füße den Boden berührten, war der Schirm auf jeden Fall offen. Mit dem RL hätte das nicht mehr geklappt. Pilot Karl Rietz merkte wohl sofort, dass nichts mehr zu retten war (was das Flugzeug betraf). Er warf seine Tür ab und schrie: „Springt, springt!“, sprang selbst aber nicht. Dann war es für ihn zu spät.“

Der Sprungleiter Paul Trautner und der Absetzer Klaus Helms wurden ½ Jahr später vor dem Bezirksgericht in Neubrandenburg wegen „Gefährdung des Luftverkehrs mit Todesfolge“ angeklagt und letztlich freigesprochen.

Ich habe meinen letzten Sprung aus der L-60 am 11.05.1968 mit dem RL-3/5 aus 1.200 m gemacht – als 2er-Gruppe. Nach der Katastrophe von Anklam wurde die L-60 nicht mehr als Absetzflugzeug eingesetzt.

7.4. Meine eigenen Unfälle

Kreuzbein und Daumen 

Wochenendlehrgang in Riesa am 17./18.05.1969: 1. Sprung am Sonnabendvormittag (mein 207.Sprung): 10“ Verzögerung mit RL-3/2. Landung mit Wind und Vollbremsung auf feuchtem hohem Gras. Beine zu weit nach vorn – weggerutscht – Arschlandung. Die Hände durch die Vollbremsung weit unten und mit den Händen abgestützt. Der Arsch tat weh – und der rechte Daumen auch. Trotzdem an diesen Tag noch einen und am Sonntag weitere 3 Sprünge gemacht – alle im Sandkasten. Am nächsten Tag auf Arbeit – mein 29. Geburtstag – tut mir der Arsch so weh, dass ich nicht mehr sitzen kann. Mit der rechten Hand schreiben geht auch nicht. Also bin ich am Dienstag zum Arzt. Diagnose nach dem Röntgen: Bruch eines Kreuzbeinwirbels. Das ist mit dem Steißbein das letzte Überbleibsel vom Schwanz des Affen nach seiner Menschwerdung – eigentlich ohne tragende Funktion. Meinung der Ärztin: „Das tut zwar weh, aber da hinten kann man schlecht gipsen. Sie müssen halt ruhen, bis der Knochen wieder verheilt ist.“

Und weil der Daumen der rechten Hand auch sehr wehtut, lasse ich ihn anschließend gleich mit röntgen. Auch angebrochen. Der bereitet der Ärztin weitaus größere Sorgen. Er wird schmerzhaft gerichtet und mit einer sogenannten Wöhlerschiene und viel Mull fixiert – auch kein Gips. Und Krankschreibung bis 15.06.1969. Das ist mir ganz recht, habe ich doch Mitte Juni Abgabetermin für den Großen Beleg im Rahmen meines Fernstudiums an der TU Dresden. Nur wurde das Schriftbild des mit meiner Reiseschreibmaschine fertiggestellten Beleges etwas ungleichmäßig. Die mit der rechten Hand angeschlagenen Buchstaben sind deutlich schwärzer. Das Gewicht der Wöhlerschiene erzeugte einen härteren Anschlag.

Nach den 3 Wochen Krankschreibung soll ich zur Nachkontrolle. Meine rechte Hand stank ganz fürchterlich. Ich konnte ja die ganze Zeit die Hand nicht waschen. Also habe ich vorher die Wöhlerschiene abgemacht und mit samt den ganzen schmutzigen Mullbinden in den Müll geschmissen. Und die Hand richtig gewaschen. Die Ärztin ist bald zur Sau geworden. Was mir einfallen würde, den Verband selber zu entfernen. Man sollte mir das ganze Krankengeld streichen. Das Schlimmste war, das ich die Wöhlerschiene weggeschmissen hatte. Die war wahrscheinlich Mangelware und wurde schon für den nächsten gebraucht. Also habe ich die Wöhlerschiene zuhause aus dem Müll geklaubt und das dreckige, stinkende Ding reumütig zur Ärztin geschafft.

Eine Woche später mache ich mit Alfred Dathe auf einer Flugschau in Riesa-Canitz meinen ersten Doppelsprung.

Mittelfuß

Den zweiten Unfall habe ich am 28.08.1972 zum Probespringen auf den Elbwiesen für die 3 Wochen später stattfindende Flugschau anlässlich des V. Kongresses der GST (siehe Abschnitt 3.07). Der 317. Sprung – 1.000 m – der 4. Sprung mit dem PTCH-8. Auf den Elbwiesen steht noch hohes Gras und was vorher keiner vermuten konnte, auf der Wiese gab es tiefe Fahrspuren, die irgendein Lkw mal bei Regenwetter in den schlammigen Untergrund gedrückt hat. Die waren inzwischen knochenhart und zugewachsen. Und in so eine Rille bin ich aufgekommen und mit dem linken Fuß umgeknickt. Das tat furchtbar weh – verstaucht oder gebrochen? Ich konnte kaum stehen, geschweige denn laufen. Dabei durfte doch bei diesem „Test“ nichts passieren. Also setze ich mich wieder hin und sage meinen Kameraden Bescheid. Die packen mein Zeug mit weg. Meine Tochter Angela holt unsere Räder und ich habe mich schnell verdrückt. Radfahren ging halbwegs, wenn man nur mit dem rechten Bein tritt.

Wir wohnten damals auf der Großenhainer Straße. An irgendeiner Kreuzung muss Angela plötzlich bremsen. Ich auch. Um ihr nicht hinten rein zu fahren. Und steige natürlich prompt mit dem linken Bein ab. Wahrscheinlich habe ich mir dort es den Fuß richtig gebrochen. Mit dem Rad zur Chirurgie am Neustädter Bahnhof. Geröntgt – Fraktur des linken Mittelfußes – Gips bis hoch an Knie. Mit dem Krankenwagen nach Hause und Angela dürfte dann noch mein Fahrrad von der Chirurgie holen. 5 Wochen Krankschreibung bis 06.10.1972.

Als Fallschirmspringer müssen wir alle zwei Jahre zur SMK – zur Segelflugmedizinischen Kontrolle. Mit der nächsten turnusmäßigen Kontrolle wäre ich im November 1972 dran gewesen. Ich will  aber dort nicht so kurz nach meinen Unfall antreten. Bisher bin ich immer in Dresden gewesen, diesmal bin ich im Februar 1973 zu Dr. Nikolai nach Riesa. Von dem wussten wir, dass er sehr „kulant“ unsere Tauglichkeit bescheinigt. Im März springe ich dann wieder.

Wirbelsäule

Mein 3. Unfall ist weitaus schwerwiegender: Dienstag, den 1. Mai 1979, 07:55 Uhr. Das Wochenende vorher habe ich 5 Sprünge mit dem RL-8 gemacht. Der letzte am Sonntag ist der 500. Sprung. Montag bin ich arbeiten, abends ist Klassentreffen der Grundschule Niederlößnitz in der „Lößnitzperle“ in Radebeul. Das erste nach vielen, vielen Jahren. Das wollte ich mit meinem Schulfreund Lothar nicht verpassen. Ich übernachte bei ihm in Coswig und fahre und bin am 1. Mai früh wieder nach Riesa-Göhlis. Nach einem Trainingssprung auf dem Flugplatz ist zum Abschluss der Demonstration zum 1. Mai wieder ein Vorführungssprung an den Elbwiesen in Dresden geplant.

Ich bin bei dem Trainingssprung etwas zu kurz und lasse den RL-8 voll laufen, um noch in den Sandkasten zu kommen. Die Beine waren zwar – weit vorgesteckt – noch im Sandkasten, aber mit dem Arsch bin ich auf die „Betonkante“ aufgeschlagen. Was ist die „Betonkante“? Außerhalb des Sandkastens ist Wiese auf einem lehmigen Untergrund. Beim Verlassen des Sandkastens in Richtung Packzone werden immer mit dem Sprungschuhen und durch den aufgenommenen Schirm Millionen von Sandkörnern auf den Sandkastenrand geschleppt. Dieser Sand hat sich im Laufe der Jahre mit dem Lehm zu einem superharten Rand verfestigt – die „Betonkante“. Jeder wusste das – auch ich. Anstatt eine Sicherheitslandung auf der Wiese zu machen – es ging ja um nichts – habe ich im falschen Ehrgeiz versucht, noch den Sandkasten zu erreichen und schlug mit dem Arsch auf die Betonkante auf. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckt den ganzen Körper und ich bleibe bewegungslos liegen.

FS-Lehrer Klaus Kühn war als Hauptmann Feldcher bei der NVA und deshalb natürlich, wenn er am Platz war, immer unser Gesundheitshelfer. Der ist als erster bei mir. „Ich glaube, ich habe mir die Wirbelsäule gebrochen.“ „Bleib so flach liegen. Beweg dich nicht.“ Als erstes zieht er mir die Sprungschuhe aus und krabbelte mich an der Fußsohle. „Spürst Du was?“ „Ja, das kitzelt.“ „Gottseidank!“ Der Schirm wird mit den Schnelltrennern gelöst. Ich bleib erstmal mit dem Gurtzeug liegen.

Per Funk wurde die VP-Wache alarmiert. Die ruft den Rettungsdienst an und die kommen wenig später mit Sirene und Blaulicht quer über den Platz. Ich bin vor Schmerzen fast weggetreten. Mir ist schon fast alles egal. Ich habe wohl schon mit meinem früheren Leben abgeschlossen. Mit Blaulicht ins nahe Kreiskrankenhaus und sofort in den OP. Nach 2 Stunden Operation – ich weiß nicht, was sie mit mir gemacht haben. Ich wache in einem Bett auf – mit einer dicken Ritterrüstung aus Gips. Sie hat Ausschnitte für die Arme und den Hals, endete hinten kurz übern Loch und sitzt vorn schmerzhaft auf dem Pimmel auf. Und am Bauch ein großes Loch zur Bauchatmung.

Und der Arzt sagt: „Sie haben eine Kompressionsfraktur des 12. Brustwirbels. Die Deckplatte des Wirbelkörpers ist eingebrochen. Wir haben sie gerichtet. Außerdem ist die Bandscheibe gequetscht und drückt auf den Nerv. Daher die Schmerzen. Sie haben Glück gehabt! Keine Rückenmarkverletzung mit Querschnittslähmung.“ Da ist mir erst der Schreck so richtig in die Glieder gefahren und gleichzeitig ein Stein vom Herzen gefallen. Ein Leben im Rollstuhl? Nicht auszudenken. Lieber 1.000 m ohne Fallschirm.

Noch am Abend kommt OI Tscharntke mit einigen Kameraden. Er bringt ein paar Sachen und vor allem meinen Flugplatzkoffer, wo alle Dokumente (Sprungbuch, Lizenz, Personalausweis, Versicherungsausweis, Geld etc.) drin sind. Außerdem braucht er meine Aussage für das Protokoll und die Unfallmeldung. Und meine lieben Kameraden meinen nur, der Unfall sei wohl die Strafe dafür, dass ich zu meinen 500. Sprung keinen ausgegeben habe, sondern gleich zum Klassentreffen gefahren bin.

Abends ist Volkmar Buse bei Waltraut vorbeigefahren und hat sie von meinem Unfall informiert. (Wir hatten ja alle kein Telefon). Nächsten Tag kommt Waltraut mit Lothar. Sie sammeln meine restlichen Sachen vom Flugplatz ein und Lothar fährt meinen Trabi nach Hause.

Die ersten Tage bin ich richtig apathisch. Mir ist alles egal. Pullern in Seitenlage in die Ente. Nach zwei Tagen das erste Mal auf die Toilette geschlichen. Aber es kommt hinten nichts raus. Mein Bauch ist aufgebläht und drückt sich schmerzhaft aus dem Loch in der Ritterrüstung. Da hilft nur eine große Klistierspritze und Abführmittel. Aber viel schlimmer drückt die Rüstung auf den Pimmel – besonders bei den hübschen Krankenschwestern. Da kommt der Arzt mit einer kleinen Handkreissäge, hebt mein Glied hoch und setzt die Säge an. „Um Gotteswillen, mein bestes Stück!“ „Keine Angst – dem passiert nichts. Das ist eine oszillierende Säge, die Scheibe hat nur an der Seite ein paar Zähne. Sie dreht sich nicht, sondern schwingt nur hin und her.“

Waltraut hatte mir zwar Wasch- und Rasierzeug gebracht – aber mir ist nicht nach rasieren. Also lasse ich mir einen Bart stehen. Er soll mich für den Rest meines Lebens an diesen verunglückten Sprung erinnern. Nach 8 Tagen werde ich aus dem Krankenhaus in Riesa entlassen, mit dem Krankenwagen nach Hause gefahren und zur weiteren Behandlung an die Chirurgische Klinik der Medak verwiesen. 3 Monate im Gipspanzer und dann ganz sachte wieder Mensch werden – lautet die Diagnose. Die Ärztin dort verordnet mir Bewegung. Die erste Woche 5 x 5 min. täglich vorsichtig in der Wohnung laufen – so weh es auch tut. Dann 5 x 10 min, 5 x 15 min, 5 x ½ Std. – am Schluss sind es 5 x 1 Std. täglich – sämtliche Straßen im Wohngebiet mehrfach abgelatscht.

Bild 4 – Zwei Monate lang 8 kg Gips am Körper bei 300 C – Strafe muss sein.

(Bildquelle: Heinz Großer)

Mittlerweile ist es Sommer geworden und ich komme ganz schön ins Schwitzen. Und ich stinke langsam aus der Ritterrüstung. Endlich – nach 2 Monaten kann der Panzer runter. Da habe ich mit der Ritterrüstung genau so viel gewogen wie vorher ohne den schweren Gipspanzer – von 78 kg runter auf 70 kg abgenommen. Die Ärztin ist über meine Röntgenaufnahme so begeistert, dass sie mich vorzeitig zum geplanten Urlaubstermin 21.07.1979 gesundschreibt. Dass die Reise über 650 km mit dem Trabi ins Hochgebirge geht, habe ich ihr natürlich nicht gesagt. Radfahren – ja (auf glatter Straße). Gehen – Ja (aber nicht laufen). Schwimmen – ja. Aber noch am letzten Tag vor der Fahrt ist mir mit meinem Kreuz noch nicht wie Niedere Tatra zu Mute. Und einen neuen Personalausweis muss ich schnell besorgen. Mit meinem Bart lassen sie mich sicher nicht über die Grenze.

Nach dem Urlaub erhalte ich noch 12 x Unterwassermassagen. Der Bruch ist gut verheilt. Was bleibt: 20% bleibender Körperschaden und Schmerzen im Rücken. Ein Leben ohne Fallschirmspringen? Ende Januar 1980 fahre ich mit meinen Röntgenbilder zur SMK nach Riesa. Ich will die Meinung von Dr. Nicolai wissen. „Wissen Sie, Herr Großer, die Knochenstruktur nach einen Bruch ist fester als vorher. Ein Knochen bricht nicht wieder an der gleichen Stelle – höchstens daneben. Das Risiko, dass Sie sich beim Fallschirmspringen was brechen, ist genau so groß wie vorher. Aber an dieser Stelle nicht. Die Bandscheibe bleibt gequetscht, dort werden sie wahrscheinlich immer Schmerzen haben.“ „Also kann ich wieder springen?“ „Ihre Entscheidung – ich kann sie eigentlich tauglich schreiben.“

Am 09.10.1980 hänge ich wieder am Schirm – über Jahnsdorf und mache in den nächsten 10 Jahren nochmals 500 unvergessliche Sprünge – ohne Unfall. Entsprechend den Eintragungen in meinem Ausbildungsnachweis bin ich ab 1980 jährlich zur SMK gewesen – wahrscheinlich nicht wegen dem Unfall, sondern weil ich mittlerweile 40 Jahre bin.

In Jahnsdorf wird meine springerische Wiedergeburt gebührend gefeiert. Außerdem bin ich ja noch die Runde für meinen 500. Sprung schuldig geblieben. Dabei fragt mich eine Karl-Marx-Städter Springerin, was ich für diesen Unfall bekommen habe. „Wieso bekommen?“ Wir seien ja für unsere Tätigkeit in der GST versichert. Sie hätte auch einen Unfall mit einem bleibenden Körperschaden von 20% gehabt und dafür von der Staatlichen Versicherung eine Einmalentschädigung und – da der Unfall bei gesellschaftlicher Tätigkeit einem Arbeitsunfall gleichgestellt war – eine monatliche Unfallrente zuerkannt bekommen.

All das hat mir unser lieber Oberinstrukteur Tscharndke verheimlicht und vorenthalten – naja, sagen wir mal so: Er hat in den Wirren der „Zentralisierung“ andere Sorgen als mein Geld. Also mache ich Druck, muss Januar 1981 nochmals zu einen Amtsarzt, der mir mit neuen Röntgenbildern auch die 20 % bleibenden Körperschaden bestätigt. Die Einmalentschädigung durch die Staatliche Versicherung betrug dann 12.000 M – dass auf einmal ist für DDR-Verhältnisse unheimlich viel Geld – und die Unfallteilrente durch die Sozialversicherung 80 M/Monat. Zur Wende wird die Unfallrente durch die BRD in eine Erwerbsminderungsrente von 152 DM umgewandelt und dann jährlich angepasst. Diese „Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung“ beträgt jetzt 299,66 EUR (Jan. 2020). Allerdings wird mir 2/3 davon von der Altersrente abgezogen. Da ich nicht mehr erwerbstätig bin, brauche ich auch keine volle „Erwerbsminderungsrente“. Und das alles wegen meines blöden 501. Sprungs und der „Betonkante“.

1989 erwischt es den Testspringer „Günti“ Seibt  in Pirna mit dem gleichen Kompressionsbruch des 12. Brustwirbels, obwohl der weitaus mehr springerische Erfahrung und doppelt so viele Sprünge hat wie ich damals. Sandkastenrand – Beine zu weit nach vorn – Arschlandung. Und er trug wie ich damals ein sogenanntes Sitzkissen am unteren Hauptringgurt. Das stammte wohl noch vom PTCH-8 und sollte Arschlandung etwas abfedern. Allerdings schob es sich immer bei der Landung hoch in den Bereich der Lendenwirbelsäule. Ich hatte schon bei meinem Unfall 1979 das Sitzkissen mit in Verdacht, dass es die Wirbelsäule mehr in das Hohlkreuz drückte und ein bisschen „Katzenbuckel“ verhinderte. Deshalb habe ich es danach nie wieder verwendet. Und nun wiederfährt dem Testspringer das gleiche und ich darf ihm seine persönlichen Sachen mit den GST-Trabi ins Krankenhaus Pirna bringen.

7.5. Beinah und tödliche Unfälle

„Der Pissbogen“ 

Der „Pissbogen“ von Karin Latuske (siehe 7.1.) kam in der DDR mehrfach vor, sowohl beim früheren Hilfsschirm als auch beim späteren Einsatz von einer oder zwei Medusen. Der Pissbogen entsteht durch Hängenbleiben des Hilfsschirmes bzw. Meduse an den Beinen bzw. Schuhen. Der Verzögerungssack mit der darin liegenden Kappe wölbt sich in einen Bogen auf. Für das Ausschlaufen der Fangleinen und dem Abstreichen der Kappe fehlt die Zugkraft des Hilfsschirms. Beim 20. Treffen ehemaliger Fallschirmsprunglehrer 2020 erzählte mir die Springerin Reingart Mannel (vormals Kühl), dass sie einen solchen Pissbogen beseitigte, indem sie mit dem Kappmesser die Verbindungsleinen beider Medusen durchtrennt.

In der Auswertung der besonderen Vorkommnisse des ZV von 1968 las sich das so:

23.05.1968 – Zielsprung aus 600 m Höhe mit manueller Öffnung des PD-47 – 23. Sprung:
„Während des Öffnungsvorganges befand sich der Fallschirmsprungschüler in Rückenlage. Dabei verfing sich der Verzögerungssack an den Füßen. Der Sprungfallschirm konnte sich deshalb nur zur Hälfte entfalten. Die um das Bein geschlungen Medusen konnten noch vom Fallschirmsprungschüler gekappte werden. Der Sprungfallschirm konnte sich nicht vollständig öffnen. Nach Öffnung des Rettungsfallschirmes verlief der Sprungverlauf normal.“

Laut FSBO ist bei teilweisem Versagen des Sprungfallschirmes sofort der Rettungsfallschirm zu öffnen. Das Gefährliche am Pissbogen ist, dass die Möglichkeit besteht, dass sich dabei der Rettungsfallschirm in den Pissbogen verfängt und nicht richtig öffnet (siehe der Todesfall in Neuhausen in der Unfallauswertung 1975). Deshalb wurden die neuen Sportfallschirme alle mit Kappenschnelltrennverschlüsse ausgerüstet, um im Havariefall vor Öffnung des Rettungsfallschirmes sofort die Kappe abzuwerfen zu können. Das Abschneiden der beiden Medusen mit dem Kappmesser durch Reingart – beim 23. Sprung – im fast freien Fall aus 600 m – vor dem Öffnen des Rettungsfallschirmes – war eine sehr mutige und gekonnte Leistung – alle Achtung.

„Der nicht passende Sturzhelm 

Irgendwann in den 70er Jahren setze ich in Riesa-Göhlis eine Gruppe Wehrsportler aus der An-2 ab. Einzelzielsprünge aus 800 m mit automatischer Öffnung. Als eine der letzte macht ein zierliches Mädchen ihren 6. Sprung. Wie jedes Mal schaue ich beim Reinholen der Aufzugsleine hinterher, um ihren Abgang und den Öffnungsvorgang zu beobachten. Nach Öffnen des Verpackungsranzens wendet sich das ganze Paket in sich und streckt sich, aber die Fangleinen schlaufen nicht aus. Sie fällt mit einer „Fahne“ – fällt und fällt und fällt. „Mädel, öffne den Rettungsfallschirm!“. Ich wäre ihr am liebsten hinterher gesprungen. Endlich kommt die weiße Kappe des BE-3D und schon ist sie unten. Öffnungshöhe vielleicht 50 m. Ich breche sofort das Absetzen ab und lande mit den zwei letzten Springern.

Unten nehmen wir das Mädchen beiseite und lassen es erzählen: „3 sec. nach den Absprung habe ich den Notaufzugsgriff gezogen und wollte ihn einhängen. Aber beim Entfaltungsstoß ist mir der Sturzhelm ins Gesicht gerutscht, so dass ich nichts sehen konnte. Dadurch hat das Einhängen des Notaufzugsgriffes etwas länger gedauert. Dann habe ich mit beiden Händen den Sturzhelm ins Genick geschoben, um Kappenkontrolle zu machen. Da habe ich gesehen, dass der Schirm gar nicht auf war und habe sofort den Rettungsfallschirm geöffnet.“ Hätte das Gefummel mit dem Notaufzugsgriff 1 Sekunde länger gedauert, wäre sie unten aufgeschlagen und tot.

Natürlich hätte sie als erstes Kappenkontrolle machen müssen, d.h. Griff wegwerfen, Sturzhelm hinter. Wir machen ihr keinen Vorwurf. Im Gegenteil – wir gratulieren ihr, dass sie sachgerecht gehandelt hat, indem sie den Rettungsfallschirm geöffnet und den Sprung unbeschadet überstanden hat. Wir waren alle heilfroh, dass nichts passiert ist. Ursache für das Zögern: ein viel zu großer Sturzhelm. Kleine Ursache – in Verkettung mit einem weiteren Fakt von verheerender Wirkung.‘

Aber warum hat der Fallschirm nicht ausgeschlauft? Wir können uns das nicht erklären. Das Mädel muss beim Packen die Aufzugsleine einmal um die freien Gurtenden gewickelt und dann zur Abnahme des 3. Packvorgangs den ersten Kegel geschlossen haben. Damit ist dieser eklatante Packfehler für den kontrollierenden Verantwortlichen für das Packen nicht erkennbar. 

Schlussfolgerung für uns Lehrer: Der 1. Kegel werden zukünftig erst im Beisein des Lehrers verschlossen, nachdem er die Leinenführung überprüft hat. Da wir keine kleineren Sturzhelme haben, müssen die Mädchen sich einen eigenen passenden Sturzhelm zulegen oder unter den Sturzhelm eine dicke Wollmütze tragen. Und der feste Sitz des Sturzhelmes wird jedes Mal bei der Endkontrolle überprüft. Nach einem Tag Sprungpause macht das Mädchen noch 2 Sprünge. Dann ist sie wohl nie wieder auf dem Flugplatz aufgetaucht.

Bild 5 – Helm, Handschuhe und Schirmtechnik, alles viel zu groß. (Und nein, das ist nicht das o.b. Mädchen!!!)

(Bildquelle: unbekannt)

Unser erster Toter – Fallschirmsprunglehrer Hans-Detlev H.

Am 09.06.1974 veranstaltet Riesa-Canitz eine Flugveranstaltung, an der auch eine An-2 mit Fallschirmspringern vom sowjetischen Militärflugplatz Großenhain teilnimmt. Ausnahmsweise bin ich mal nicht dabei. Dabei kommt es zu einem Unfall mit tödlichem Ausgang. Bei Hans-Detlev H. – frischgebackener B-Lehrer aus dem Lehrerlehrgang von Schönhagen im Mai – öffnet sich bei einem kombinierten Gruppenzielsprung der Sprungfallschirm RS-8 nicht. Der Verzögerungssack streckt sich durch die Meduse, schlauft aber nicht aus – eine sogenannte „Fahne“. Anstatt mit Hilfe der Schnelltrennverschlüsse die Kappe abzuwerfen, öffnet H. den Rettungsfallschirm BE-3D zusätzlich. Dieser verheddert sich mit der „Fahne“ und öffnet sich ebenfalls nicht. Den folgenden Aufschlag überlebt H. nicht. Die Flugveranstaltung wird abgebrochen.

Hinterher stellt man fest, dass H. mit einem nicht ordnungsgemäß gepackten Sprungfallschirm gesprungen ist. Die Fangleinen waren nicht eingeschlauft, sondern als endlose Schlaufe (eine Art geflochtener Zopf) in den Verpackungssack gesteckt. Eine Öffnung des Schirmes war damit ausgeschlossen.

Grundsätzlich gibt es zwei Arten der Lagerung der Fallschirme:
a) sprungbereit gepackte Schirme mit entsprechender Eintragung ins Fallschirmbegleitheft. Dabei ist bei Sprungbetriebsbeginn immer zu kontrollieren, dass die Nr. des Fallschirmes (aufgestempelt auf dem Verpackungssack und auf der Kappe) mit der sichtbaren Nummer auf der Tragtasche und der Nr. des zugehörigen Begleitheftes übereinstimmt.
b) lagermäßig gepackte Schirme. Dort wird die Kappe gelegt und der Verzögerungssack übergestreift und getrennt vom Verpackungsranzen in die Tragetasche gesteckt. Das Fangleinenbündel wird als endlose Schlaufe obendrauf gelegt. Das lagermäßige Packen ist ebenfalls in das Begleitheft einzugetragen.

H. hat früh in Riesa-Göhlis seinen RS-8 ordnungsgemäß gepackt. Vormittag sollte es einen Trainingssprung geben. Der wird aber witterungsbedingt abgesagt. Weil es nach Regen aussieht, werden die Schirme wieder in den Fallschirmraum geschafft. Als nachmittags sich alle für die Sprungvorführung fertigmachen, holt sich H. „seinen“ Schirm aus dem Fallschirmraum. Die Fallschirmnummern sind 5-stellig. Die ersten beiden Ziffern sind wohl die Serie, die letzten drei eine fortlaufende Nummer. Man merkt sich in der Regel nur die letzten 3 Zahlen. Und das wurde ihm zum Verhängnis. Er erwischt einen RS-8 zwar mit den gleichen letzten 3 Zahlen, aber von einer anderen Serie. Ohne nochmals das Begleitheft zu kontrollieren, springt er also nicht mit dem Schirm, den er gepackt hat, sondern mit einem Schirm mit endloser Schlaufe.

Wie kann aber ein RS-8 von außen wie ein gepackter Schirm aussehen, obwohl drinnen eine endlose Schlaufe liegt? Das gibt´s doch im Prinzip gar nicht. Aus dem Begleitheft geht hervor, dass  der RS-8 das letzte Mal in Schönhagen eingesetzt war – auf meinem A-Lehrerlehrgang. Und dort wurde als letztes ein lagermäßiges Packen eingetragen: ein unvorschriftsmäßiges lagermäßiges Packen. Die 30 Sprung- und 30 Rettungsfallschirme, die das BAZ Riesa in Schönhagen zum Einsatz gebrachte, sollten mit der eigenen AN-2 rückgeführt werden. Und damit das alles im Flieger Platz passt, hatte Oberinstrukteur Hübner die Order ausgegeben, die Schirm platzsparend im Verpackungsranzen zu verschließen – mit dem Zopf drinnen.

Es gibt eine offizielle Trauerveranstaltung in der Feierhalle des Krematoriums Meißen. Es sind sehr viele Fallschirmspringer erschienen und auch seine Seminargruppe. H. studierte in Berlin und hatte dort ein festes Mädchen, mit der er zusammenlebt und die wohl auch ein Kind von ihm erwartet. An seinem Sarg halten die 4 Riesaer Kameraden Regina Spalteholz, Elke Hofmann, Reiner Franke und Ulrich Pleß in Springerkombi Ehrenwache. Irgendein bestallter Feierredner hält eine 08/15-Trauerrede. Durch die Teilnahme der sowjetischen An-2 und der Fallschirmspringer aus Großenhain an der abgebrochenen Flugveranstaltung nimmt auch eine Delegation vom sowjetischen Militärflugplatz an der Trauerfeier teil. Ein Major spricht im vorzüglichen Deutsch ein paar Worte des Gedenkens, verneigt sich anschließend vor dem Sarg und kondoliert dann Vater und Stiefmutter, die in der ersten Reihe saßen.

Dann bin ich dran. Das gesamte hauptamtliche Personal vom BAZ und auch seine FS-Lehrer aus Riesa haben sich gedrückt, ein paar Abschiedsworte sprechen. Vielleicht konnte ich das auch, weil ich beim Absturz nicht dabei war. Nach meinen Worten verneige ich mich vor dem Sarg (wie es der Major gemacht hatte), ignoriere aber die Eltern und gehe zu seinem Mädchen und umarme es kurz. Die Meute hätte am liebsten geklatscht, wenn es nicht so traurig gewesen ist. Alles hat geheult. Der Hintergrund für das bewusste Ignorieren der Eltern: H. hatte sich seit Jahren mit seinen Eltern überworfen. Wir waren als Fallschirmspringer alle versichert, im Todesfall mit einer nicht unerheblichen Summe. Das ganze Geld steckten sich die Eltern ein, das Mädchen bekam keinen Pfennig. Sie waren nicht verheiratet.

Willkürliche Verkettung unglücklicher Umständen? Die SLI (Staatliche Luftfahrtinspektion) sieht das anders: Schlamperei und eindeutige Verstöße von Flugleiter, Sprungleiter und Springer gegen die FSBO. 10 Wochen später gibt es eine Auswertung mit dem hauptamtlichen Personal vom BAZ und allen ehrenamtlichen FS-Lehrern:
– Unberechtigte Entnahme von Fallschirmen durch Nichtverschließen des Fallschirmraumes, damit kein Quittieren des Fallschirmempfanges, kein Eintragen des Packens der Rettungs- und Sprungfallschirme. Kappe, Gurtzeug und Dokument waren nicht identisch.
– Kein Eintragen der Befragung des Springers in der Sprungtabelle durch Sprungleiter, keine Kontrolle der Dokumente. In der Sprungtabelle wurde der Sprungauftrag nicht geändert (Wegen der Wolkenuntergrenze kein Doppelsprung, sondern Gruppenzielsprung).
– H. hätte gar nicht springen dürfen. Er war krankgeschrieben (was keiner wusste).

Eine Konsequenz ist, dass nunmehr auch Sprungfallschirme nach dem Packen versiegelt werden. Von Anfang an wurden die Rettungsfallschirme am Aufzugskabel mit einem dünnen roten Nähfaden und einen Klebestreifen versehen. Auf diesem Siegel ist das Packdatum und Name und Unterschrift des Packers vermerkt. Rettungsfallschirme dürfen im gepackten Zustand ein Vierteljahr aufbewahrt werden. Wir haben als FS-Lehrer mehr oder weniger personengebundenen Fallschirme, brauchen also den Rettungsfallschirm nur einmal vierteljährlich packen. Da macht das Siegel wegen des Packdatums einen Sinn (obwohl das ja alles nochmal im Begleitheft steht). Die Versiegelung der Sprungfallschirme wird wenig später wieder aufgehoben.

Unser zweiter Toter – Fallschirmsprunglehrer Volkmar B.

Volkmar erwischt es das erste Mal kurz nach seiner Rückkehr von den Fallschirmjägern. Wir machen im März unseren jährlichen Überprüfungssprung mit dem Schülerschirm RS-4/3C. Er verletzt sich dabei bei der Landung: glatter Schien- und Wadenbeinbruch. Ich bin vor ihm gelandet und habe das Brechen der Knochen noch aus 150 m Entfernung furchtbar laut gehört. Mit Blaulicht ins Krankenhaus.

Volkmar hat ein Jahr vorher geheiratet. Eigentlich hieß er Pampel. Wahrlich kein schöner Name – Anlass für ständige Hänseleien. Also nimmt er mit der Eheschließung den Familiennamen seiner Frau an: Buse. Seitdem ist er der Busepampel oder die Pampelbuse – oder auch kurz: „Brust“.

Der Kulturpalast Dresden führte damals monatlich eine Veranstaltungsreihe im kleinen Saal für Ehepaare durch, die in diesem Monat ihren Hochzeitstag hatten. Und Volkmar wollte seiner Anita eine Freude machen und hatte Karten zum 1. Hochzeitstag gekauft – für den heutigen Tag. Nun liegt er im Krankenhaus und ich darf Anita die Nachricht schonend beibringen. Anita macht mir die Wohnungstür auf und strahlt mich an: „Was machst du denn hier? Ich warte auf Volkmar, wir wollen nämlich heute tanzen gehen.“ „Ich weiß, Anita, Euer Hochzeitstag – aber Volkmar kann nicht kommen – er kann auch nicht tanzen – er hat sich nämlich die Beine gebrochen und liegt in Riesa im Krankenhaus.“ Anita lächelt immer noch, weil sie denkt, ich will sie verscheißern. Dann aber nicht mehr.

Jedenfalls drückt sie mir die Karten für die Veranstaltung in die Hand. Waltraut und ich haben ja auch im März unseren Hochzeitstag, also gehen wir hin. Ein Jahr später sind wir im März zu viert in der Veranstaltung. Da kann Volkmar schon lange wieder tanzen – und springen. Er erhielt eine Stahlplatte mit mehreren Schrauben in den Unterschenkel. Die sollte wohl ein Jahr drinbleiben. Als der Arzt ihn erlaubt, mit leichten Laufübungen zu beginnt, ist er schon mehrere Kilometer gerannt und wohl mit der Stahlplatte auch beizeiten wieder gesprungen.

Am Freitag, den 13.09.1985 verunglückt mein Freund Volkmar B. auf dem Flugplatz Halle-Oppin tödlich. Ich bin nicht dabei und kenne die näheren Umstände nur vom Hörensagen. Volkmar trainiert zusammen mit Rainer Weber Kappenformation. Volkmar soll mit seinem Gleiter als Obermann so über die Kappe von Rainer fahren, dass er sich in der Mitte von Rainers Gleiter mit den Füßen in den Öffnungen an der Kappenvorderkante einhaken kann – „andocken“. Volkmar fährt wohl zu tief in den unteren Schirm rein, beide Kappen verfangen sich und stürzen in steilen Trudelbewegungen mit großem Höhenverlust ab. Normalerweise soll die Kappenformation aus einer Höhe von 1.500 m gesprungen werden und in 500 m aufgelöst sein. Witterungsbedingt sind sie aber nur aus 1.200 m gesprungen. Erst weit unter der Sicherheitshöhe trennt sich Rainer vom seinem Schirm und öffnet seinen Rettungsfallschirm. Obwohl der Gleiter von Volkmar jetzt im Prinzip trägt, trennt er sich ebenfalls, lässt sich etwas durchfallen und zieht noch den Griff vom Rettungsfallschirm. In diesem Moment schlägt er aber schon auf.

Bild 6 – Fallschirmsprunglehrer Volkmar B. (* 1949 in Dresden, † 1985 in Halle-Oppin)

(Bildquelle: Heinz Großer)

Eine Woche später ist seine Beisetzung. Bei der Trauerrede muss ich wieder ran. Kein wollte oder konnte. Für mich war das eine selbstverständliche Ehre und Verpflichtung:

„Wenn sich Fallschirmspringer treffen, geht es sonst immer laut und fröhlich zu. Heute hat uns aber ein schmerzhafter Verlust zusammengeführt. Für uns alle noch unfassbar, müssen wir Abschied nehmen von einem unseren besten Kameraden. Fallschirmsprunglehrer Genosse Volkmar B.. Ein tragischer Unglücksfall hat ihn in Ausübung seines Sports aus unserer Mitte gerissen.

Für Volkmar war das Fallschirmspringen gesellschaftlicher Auftrag und Leidenschaft gleichermaßen. Gesellschaftlicher Auftrag, dem er sich als Genosse verpflichtet fühlte – mit einen eigenen, ganz persönlichen Beitrag mitzuhelfen, damit der Frieden für uns alle ein bisschen sicherer wird –

– als Fallschirmjäger der Nationalen Volksarmee,
– als Fallschirmsprunglehrer der GST, in dem er vielen jungen Menschen seine politische Überzeugung vermittelte,
– mehr zu tun als nur die Wehrpflicht,
– mehr zu tun auch vorher und hinterher,
– seinen Körper und Charakter zu stählen.

Diesen jungen Kameraden – ganz gleich, ob sie sich auf den Dienst als Fallschirmjäger vorbereiten, zur Stunde bei der Armee sind oder als Reservisten in unsere Reihen zurückgekehrt sind – ihnen wird ihr Freund und Lehrer Volkmar B. immer ein Vorbild gesellschaftlicher Pflichterfüllung, Verantwortungsbewusstseins und Einsatzbereitschaft sein.

Wie kaum einer von uns, war Volkmar ein begeisterter Fallschirmsportler – den Kampf gegen sich selbst, die Einmaligkeit des freien Falls, die Herrlichkeit des Schwebens am Schirm voll auskostend. Und er hat seine Aufgabe darin gesehen – und es verstanden – diese seine Begeisterung für den Fallschirmsport an jüngere Kameraden zu übertragen, sie für eine sportliche Laufbahn zu begeistern und zu befähigen. Im Trainingszentrum Fallschirmsport des Bezirkes Dresden war Volkmar ein unermüdlicher Organisator und Übungsleiter, Freund und Lehrer für seine Schützlinge.

Seine vorbildliche Wahrnehmung der gesellschaftlichen und sportlichen Pflicht, seine Einsatzbereitschaft und Aktivität, seine Herzlichkeit und Kameradschaft haben ihn weit über unseren Bezirk hinaus bei den Fallschirmsportlern unserer Republik bekannt, geachtet und beliebt gemacht. Das zeigt auch die Anteilnahme des Vorsitzenden des Zentralvorstandes unserer Organisation, Genossen Vizeadmiral Kutschebauch, dessen aufrichtiges persönliches Beileid ich hier übermitteln darf.

Und das zeigt besonders die Anteilnahme und die persönliche Teilnahme vieler Kameraden aus den anderen Bezirken in dieser schmerzlichen Stunde, für dir wir euch, Kameraden, sehr danken möchten.

Wir sind kein Klub der riskanten Lebensweise. Gesellschaftlicher Auftrag und Begeisterung für unseren Sport haben uns zusammengeführt. Wir waren immer stolz auf unsere Truppe, auf den inneren Zusammenhalt, auf das gegenseitige Sichverlassenkönnen. Die unbedingte Sicherheit für sich und den anderen Kameraden – ein Prinzip, an deren Durchsetzung Volkmar als Fallschirmsprunglehrer ständig einen hohen Anteil hatte. Umso mehr sind wir von seinem Tod erschüttert.

Volkmar war uns auch ein fröhlicher, lebenslustiger Kamerad, Gemeinschaftsgeist ausstrahlend und organisierend: mit Bergsteigen, Skifahren, Höhlenwanderung, beim Gesang und Umtrunk am Lagerfeuer. Viele seiner Streiche und Späße sind Legende.

Liebe Anita! Wir wussten immer um die Ängste und Sorgen unserer Frauen, um die Probleme, die entstanden, wenn wir auf den Flugplatz fuhren. Und wir waren immer dankbar für euer Verständnis für unsere Verpflichtung und unsere Leidenschaft – wenn wir diese Dankbarkeit auch viel zu wenig gezeigt haben und zeigen.

Es ist nicht einfach, in unserer Sportart die Familie mit einzubeziehen. Volkmar hat es immer versucht – mehr als manch anderer von uns – beim Training, bei Wanderungen, beim geselligen Zusammensein. Deshalb bist Du und Deinen Kinder Jörg und Romy uns so vertraut. Ihr gehört zu uns. Wir können euren Schmerz nicht lindern, aber wir fühlen vom ganzen Herzen mit euch. Du solltest in diesen schweren Stunden wissen, dass wir dir helfen wollen, wo es nur geht und wann immer du uns brauchst.

Wir werden Volkmars Andenken in Ehren halten – als einen zuverlässigen Genossen und Kameraden, ein Vorbild für Einsatzbereitschaft und Tatkraft, einen prächtigen Menschen, auf den seine Kinder immer stolz sein können.

Lieber Volkmar – Freund, Kamerad und Genosse! Wir nehmen Abschied jetzt von dir und verneigen uns vor deiner Bahre. Wir danken dir für deine Arbeit in unseren Reihen. Du wirst in Gedanken immer bei uns sein, wenn wir wieder unseren Fallschirm packen werden, wenn wieder das Kommando ertönt – dem Du wie kein Zweiter von uns so entgegengefiebert hast: „Fertigmachen zum Sprung!“

Was viel nicht wussten – Volkmar war auch ein „Paddelbein“. Er hat bei den Fallschirmjägern eine Spezialausbildung als Sprengtaucher gemacht. Deshalb wurde er als Reservist auch kurzfristig zu Taucheinsätzen herangezogen, wenn die Polizei Wasserleichen suchte. Besonders physisch und psychisch belastend seinen für ihn solche Tauchgänge gewesen, wo er im Winter im Eis eingebrochene Kinder suchen und bergen musste.

Unser dritter Toter – Fallschirmsprunglehrer Klaus-Peter L.

Klaus-Peter L. beging Selbstmord, indem er sich wohl aus Liebeskummer in seiner Wohnung mit Gas vergiftet hat. Besser, als wenn er das beim Fallschirmspringen gemacht hätte. Einen solchen Fall soll es auch gegeben haben. Ein Mädchen hat die Aufzugsleine vom Automaten nicht eingehängt und sich durchfallen lassen – bis ganz unten – Selbstmord.

7.6. Sex und Alkohol auf dem Flugplatz

Passt nur ein bisschen in den Abschnitt Unfälle. Ich wollte aber dafür nicht einen eigenen Abschnitt aufmachen. Ganz so wichtig ist das Thema nun auch nicht.

Gab es Sex auf den Flugplatz. Sicher – überall wo junge Leute zusammenkommen, ist das heute kein Problem. Für mich aber war das immer ein Problem. In vielerlei Hinsicht. Ich war FS-Lehrer, Genosse und verheiratet. Wir sollten ja Vorbild sein, nicht nur was das Fallschirmspringen betraf, sondern auch in Bezug auf „sozialistische Moral und Ethik“. Ich weiß, dass viele meiner Kameraden FS-Lehrer das nicht so verbissen sahen.

Gleich beim 1. Lehrgang 1961 macht mein großes Vorbild Vater Heinze deutlich, wie er das sieht. Unser verheirateter FS-Lehrer Egon Bagger fängt ein „Verhältnis“ mit seiner Schülerin Karin Latuske an. Vater Heinze hat den FS-Lehrer daraufhin vom Lehrgang verwiesen: „Der Flugplatz bleibt sauber.“

Fallschirmspringen sollte „Seitensprünge“ ausschließen. Als Verheiratete sind wir auf die wohlwollende Unterstützung oder zumindest Duldung unserer Fallschirmspringerei durch unsere Ehepartner angewiesen. Das wollte ich in keinem Fall durch eine „Affäre“ aufs Spiel setzen. Während wir uns auf den Flugplatz unserem „Vergnügen“ nachgehen – abgesehen davon, dass das meist harte „Arbeit“ ist – müssen unsere Frauen eine Woche oder sogar länger nach der Arbeit noch Kinder und Haushalt allein versorgen. Zu den Wochenendlehrgängen fahre ich Waltraut und Angela mit dem Motorrad nach Coswig zu den Schwiegereltern oder sie muss später mit Bert zu dritt mit der Straßenbahn fahren. Die Dresdner FS-Lehrer Füssel und Buse schaffen ihre Frauen und Kinder in ihren Kleingarten, um zum Springen fahren zu können.

Versuchungen gibt es genug. Im Sommer ist bei den Mädchen Bikini angesagt – beim Packen – nicht beim Springen. Es gibt zwei Typen von Mädchen: Die „Schönen“. Die sind sich ihrer schönen Dinge bewusst und geizen damit nicht. Sie sind zuhause die „First Ladys“ in ihrer Klasse oder Clique. Das Fallschirmspringen soll dem noch eins drauf setzen. Sie flirten gern, um sich damit vielleicht bei den FS-Lehrern kleine Vorteile zu erschleichen. Sie sind so von sich überzeugt, dass sie während des Springens oftmals leichtfertig und unkonzentriert sein können. Auf die muss man aufpassen. Und es gibt die „Unscheinbaren“ – die nicht so hübschen. Die versuchen ihr Selbstwertgefühl durch das Fallschirmspringen aufzubessern, sich beweisen. Sie nehmen den Fallschirmsport ernst, sind eifriger und konzentrierter und in der Regel auch länger dabei. Es gibt natürlich auch hübsche Fallschirmspringerinnen, aus denen was geworden ist.

Später bin ich „Väterchen“ oder „Sprungopa“, das schafft eine natürliche Distanz. Umso mehr stört ich mich das sorglose Verhalten einiger junger – auch teilweise schon verheirateter – Fallschirmlehrer gegenüber ganz jungen Sprungschülerinnen. Besorgte Eltern vertrauen uns ja ihre minderjährigen Töchter an. Besorgt genug schon wegen des Fallschirmspringens. Käme dann noch Sex dazu, wäre das nicht gut für die Mädchen und unseren Ruf.

Und so nutze ich die Gelegenheit als Lehrer auf dem A-Lehrerlehrgang 1974, um die angehenden Lehrer mit dem Strafgesetzbuch der DDR zu konfrontieren. Mir kommt es besonders darauf an, dass die zukünftigen FS-Lehrer begreifen, dass sie mit der Übernahme dieser ehrenamtlichen Tätigkeit vor allem Verantwortung übernehmen, Verantwortung für Leib und Leben der ihnen anvertrauten jungen Menschen. Das ist immer eine Sache der persönlichen Reife und bei einigen war ich mir da nicht so sicher. Manche betrachten die Lehrertätigkeit mehr aus der Sicht der eigenen Perspektive als Fallschirmspringer. Und so schockiere ich meine angehenden Lehrer erst mal mit diversen Artikeln aus dem DDR-Strafgesetzbuch: Von vorsätzlicher bzw. fahrlässiger Verletzung von Pflichten (auch Aufsichtspflichten) bis zum Missbrauch Abhängiger:

  • 122. (1) Wer einen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem schweren Nachteil oder durch Ausnutzung einer Notlage oder Missbrauch seiner gesellschaftlichen oder beruflichen Funktion oder Tätigkeit zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen zwingt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.
  • 150. (2) Ein Erwachsener, der unter Ausnutzung seiner Stellung einen Jugendlichen anderen Geschlechts zwischen 16 und 18 Jahren zum Geschlechtsverkehr oder zu geschlechtsverkehrsähnlichen Handlungen missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft.

In einem Kommentar dazu heißt es:
„Die objektive Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des sexuellen Missbrauchs war davon abhängig, dass der Täter seine Stellung als Erzieher, Lehrer, Ausbilder oder Betreuer und damit als Autoritätsperson ausnutzt, um mit dem Jugendlichen sexuelle Handlungen durchzuführen. Aus diesem Grund lag Ausnutzen der Stellung auch dann vor, wenn die Initiative zur Vornahme sexueller Handlungen von dem Jugendlichen ausging. Der sexuelle Missbrauch lag hier im Ausnutzen der ihm entgegengebrachten sexuellen Zuneigung und Kontaktbereitschaft.“

Da gucken meine Jungs ganz schön. Dann passiert auf dem A-Lehrerlehrgang folgendes: Wir kommen vom Volleyballspielen und wollen duschen. Und im Männerduschraum erwischen wir zwei beim schönsten Sex. Nicht dass das den beiden peinlich gewesen wäre. Was sollen wir tun – schließlich waren beide erwachsen? An die große Glocke hängen? Lehrgangsleiter OI Uwe Hübner ist für sofortigen Ausschluss vom Lehrgang. Ich schlage vor, dass wir erst mal beide anhören und dann den ganzen Lehrgang fragen, was sie machen würden, wenn sie als Lehrer auf ihren Flugplatz zwei beim Sex „erwischen“ würden? Die meisten feixen nur. Die Vorschläge gehen von „Schwamm drüber“ bis Sprungverbot, aber ein Teil ist auch für nach Hause schicken.

Der Kamerad – nennen wir ihn der Einfachheit halber Meier – ist verheiratet, Genosse und kommt vom BAZ Karl-Marx-Stadt. Der dortige Oberinstrukteur Vinzent Przybycin ist Lehrgangsleiter im gleichzeitigen B-Lehrerlehrgang. Ihm fragen wir, was wir mit seinen A-Lehrer machen sollen. „Schickt ihm nach Hause, wenn er so dämlich ist, sich erwischen zu lassen.“ Kamerad Meier hatte wohl mehr Angst davor, dass seine Arbeitsstelle und seine Genossen beim Rat der Stadt über die Gründe für seinen Rausschmiss vom Lehrgang erfahren als davor, dass seine Frau mitkriegt, dass er fremdgegangen war. Letztlich entscheidet der Lehrgang, dass er bleiben soll.

Bei dem Mädchen ist das komplizierter. Nennen wir sie einfach Müller. Kameradin Müller war aus Berlin und unverheiratet. Sie macht einen völlig apathischen, gleichgültigen Eindruck, irgendwie wie weggetreten. Das ist mir schon beim Springen aufgefallen. Es stellt sich heraus, dass Kameradin Müller furchtbare Angst vor dem Springen hat und bereits früh Faustan mit Alkohol nimmt. Faustan war eine „LMAA“-Pille (= Leck mich am Arsch), ein Antidepressiva, welches in Verbindung mit Alkohol zu rauschähnlichen Zuständen führt. Das Mädchen war also „high“ – „zugedröhnt“ würde man heute wohl sagen. So was kann natürlich nicht springen, geschweige denn Fallschirmsprunglehrer werden. Sie muss ihre Koffer packen.

Vater Heinzes Grundsatz: „Der Flugplatz bleibt sauber“ ließ sich immer schwerer durchsetzen. Mitte der 70er Jahre jahe ich noch den frischgebackenen Junglehrer Peter Dank im Mädchenzimmer aus dem Bett der Sprungschülern Heidrun Petzold. Dabei war das offensichtlich was ernsthaftes, schließlich haben beide bald darauf geheiratet. Übrigens einer der wildesten Polterabende, die ich mitgemacht habe – in einen Abbruchhaus auf der Rehefelder mit abschließenden Polizeieinsatz. Heute sind sie glückliche Großeltern und springen immer noch. Und heute lachen wir gemeinsam über den „Vorfall“ von damals.

Bei anderen Flugplatzlieben geht das nicht so gut aus:
– Ute Pampel und Heinz Eckert lassen sich wieder scheiden,
– Margit Braun und Harz Mathias lassen sich wieder scheiden,
– Regina Spalteholz und Klaus Kühn lassen sich wieder scheiden,
– Tanja Assmann und Klaus Schneider („Ling“). Nachdem er ihr ein Kind gemacht hat, lassen sich wieder scheiden.

Auch bei Alfred Dathe und Rudi Schenk war wohl die Ehe durch die Fallschirmspringerei in die Brüche gegangen. Hartmut Kocemba hat sich scheiden lassen und dann die FS-Lehrerin Elke Hofmann geheiratet. Auch die Ehen der Riesaer FS-Lehrer Steffen Hübner und Jens Förster hielten nicht.

Regina Kühn war zeitgleich mit Tanja schwanger. Beide machten mit ihren kullerrunden Bäuchen sogar noch Dienst als Fallschirmsprunglehrerinnen – allerdings nur am Boden. Schwangerschaft bedeutet Sprungverbot. Tanja als Alleinstehende bringt dann später immer ihren kleinen Sohn Gösta („Gustav“) mit auf dem Platz.

Aber Sex auf dem Flugplatz betraf wohl auch die „Profis“. Bei den II. DDR-Meisterschaften in Karl-Marx-Stadt wurden nach Sprungbetriebsende weitere „Sprünge“ gemacht. Dadurch soll die gesamte Frauen-Nationalmannschaft zeitgleich schwanger geworden sein.

Nachdem schon in den vorangegangenen Abschnitten oftmals viel Bier geflossen ist, noch eine paar abschließende Bemerkungen zum Alkohol. Im DDR-Strafgesetzbuch – § 200 Verkehrsgefährdung durch Trunkenheit – hieß es dazu:

(1) Wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er nach den ihm bekannten Umständen annehmen muss, dass seine Fahrtüchtigkeit infolge des Genusses alkoholischer Getränke, anderer berauschender oder sonstiger die Reaktionsfähigkeit wesentlich vermindernder Mittel erheblich beeinträchtigt ist und dadurch eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit anderer Menschen fahrlässig verursacht, wird von einem gesellschaftlichen Organ der Rechtspflege zur Verantwortung gezogen oder mit öffentlichem Tadel, Geldstrafe; Verurteilung auf Bewährung oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft.“

„Fahrtüchtigkeit … erheblich beeinträchtigt“: Diese oder analoge Formulierungen fanden sich auch in der STVO (= Straßenverkehrsordnung) und auch in der LVO (= Luftverkehrsordnung) wieder. Im Straßenverkehr der DDR galt die 0,0-Promillegrenze. In unserer FSBO (= Fallschirmsprungbetriebsordnung) hieß das so: „Teilnehmer am Fallschirmsprungbetrieb dürfen nicht unter Einfluss von Alkohol … stehen. Wann ist man „erheblich beeinträchtigt“ und ab wann steht man „unter Einfluss von Alkohol“ – alles individuelle Auslegungssache und Selbsteinschätzung? FS-Lehrer Gerhard Geißel („Matzel“) aus Riesa war bei der Volkspolizei und hatte aus seinem Streifenwagen immer genügend Pusteröhrchen am Mann. Die mussten aber wohl kaum zum Einsatz kommen.

Nach der Hitze des Tages – nur für die Lehrer ein Bier (oder 2-3 der 0,25er-Granaten) als Duschlöscher – wer sollte uns das verwehren? Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass wir manchmal ganz schön gesoffen haben, aber nie vor dem Sprungbetrieb. Da haben wir gegenseitig auf uns achtgegeben. Schlimmer wurde es dann teilweise unter den jungen FS-Lehrern in Halle. Die „Anstalt“ hatte striktes Alkoholverbot verhängt. Also griff man aus Protest zu harten „Drogen“ (von Pfeffi über Korn bis Wodka). Die Flaschen ließen sich besser als ein Kasten Bier ins Objekt reinschmuggeln und als Leergut entsorgen.

Ich glaube nicht, dass bei den vielen oben beschriebenen „besonderen Vorkommnissen“ (Unfälle, Störungen oder Schäden) Alkohol die Ursache war oder im Spiel gewesen ist.