"Du fliegst wie ein Adler!"
5. Laufbahnausbildung Fallschirmjäger
Die großzügige Unterstützung des doch relativ teuren Fallschirmsports in der DDR hatte mehrere Gründe:
1.) Der politische Grund:
Mit mehr als 25 Titeln und 63 Medaillen bei Weltmeisterschaften und über 100 Weltrekorden bestimmten die DDR-Fallschirmspringer das internationale Niveau über mehrere Jahrzehnte und halfen somit zur internationalen Anerkennung der DDR beizutragen. Noch dazu wo Fallschirmspringen mal olympische Disziplin werden sollte.
2.) der wirtschaftlichen Grund:
Das Bekleidungswerk Seifhennersdorf lieferte mit seinen Fallschirmen jahrzehntelang einen Exportschlager, zumindest in das sozialistische Wirtschaftsgebiet (SW).
3.) der militärische und damit wichtigste Grund:
Der Fallschirmsport der GST sicherte den militärischen Nachwuchs für das Fallschirmjägerbataillon, die Fernaufklärer der Landstreitkräfte, den Fallschirmdienst der Luftstreitkräfte und dem Wachregiment des MfS.
5.1. Nachwuchs für die Fallschirmjäger der NVA
Das Fallschirmjägerbataillon 40 (FJB-40) wurde 1960 in Prora auf Rügen als Motorisiertes Schützen-Bataillon 5 aufgestellt, mehrmals umbenannt und war ab 1972 dem Kommando Landstreitkräfte direkt unterstellt. Ab 1982 erfolgte die Verlegung auf den Truppenübungsplatz Lehnin bei Potsdam.
Auftrag der Fallschirmjäger war es, in rückwärtigen Gebieten des Gegners Ziele einzunehmen oder zu zerstören, den Nachschub und die Moral des Gegners zu beeinträchtigen sowie gegnerische Kräfte zu binden. Das Einsatzprofil beinhaltete im Wesentlichen die drei Kernbereiche: militärische Aufklärung, Kommandoeinsätze und Spezialeinsätze. Hauptziel des Einsatzes war die Vernichtung von Massenvernichtungswaffen insbesondere von Kernwaffeneinsatzmitteln.
1986 wurde die Aufgabenstellung des Fallschirmjägerbataillons erweitert und das Luftsturmregiment 40 (LStR-40) als einzige Luftlandeeinheit der NVA gebildet. Das Fallschirmjägerbataillon war für uns Fallschirmspringer ein fester Begriff. Mit dem Begriff Luftsturmregiment konnten wir uns gar nicht anfreunden. Ich habe mir auf einer Flugsportkonferenz 1987 im BV im Beisein von hohen Offizieren aus dem Ministerium mächtig die Gusche verbrannt, als ich mich öffentlich über den Begriff Luftsturm mokiert habe: „Luftsturm klänge wie Volkssturm – letztes Aufgebot.“
Während die allgemeine Wehrpflicht in der DDR 1½ Jahre betrug, wurden für spezielle Dienste nur Freiwillige mit einer Verpflichtung für eine dreijährige Dienstzeit genommen, so auch für die Fallschirmjäger. Das waren die sogenannten SAZ (= Soldaten auf Zeit). Wehrfähig waren die jungen Männer erst ab 18 Jahre. Wir begannen aber die Fallschirmsprungausbildung bereits mit 16 Jahren, sodass die Jungen mit zweijährigen Vorlauf und solider Fallschirmsprungausbildung zur Armee gehen konnten.
In den 60er Jahren warben wir Jugendliche für den Fallschirmsport und während der Ausbildung und durch unsere Ausbildung verpflichteten sich die Jungen als SAZ zu den Fallschirmjägern. Dieser Weg war sehr effektiv für die Armee. Das setzte aber voraus, das wir mit unserer Werbung so viel geeignete männliche Bewerber erreichten, dass den Bedarf der Armee befriedigt werden konnte.
Diese Werbung sollte durch einen professionell 8 mm- bzw. 16 mm-Tonfilm über die Ausbildung zukünftiger Fallschirmjäger in der GST unterstützt werden. Titel: „Der erster Sprung“. Heinz Wolf vom ZV gab uns vorher das Drehbuch zu lesen und wollte unsere Meinung wissen. Das Drehbuch voll mit politischem Pathos und Phrasen. Wir mokierten uns darüber, welchen ideologischen Mist den Jungen beim ersten Sprung unterstellt wurden. Die hatten ganz andere Gedanken und Gefühle als „Kampf gegen den Imperialismus“ und „Verteidigung der DDR“. Am Schluss ist es doch ein ganz annehmbarer und realer Film geworden – mit herrlichen Luftaufnahmen und bei den Sprüngen aus dem Flugzeug.


Bild 1 – Fallschirmjäger der Landstreitkräfte der Nationalen Volksarmee der DDR.
Bild 2 – Werbebroschüre der GST.
Video 1 – Auszüge aus dem Werbefilm „Der erste Sprung“.
(Bildquellen: Bild 1 Armeerundschau 9´1963, Bild 2 Zentralvorstand der GST, Video 1 Armeefilmstudio der DDR)
Mit dem weiteren Ausbau des Fallschirmjägerbataillons erfolgte dann in den 70er Jahren im Fallschirmsport der GST eine Trennung in die SAZ-Ausbildung (später Laufbahnausbildung Fallschirmjäger) und in den Wehrsport (Lehrer, Mädchen und der Rest männliche Teilnehmer, die nicht zu den Fallschirmjägern gingen).
Die BAZ erhielten „Planauflagen“ für die sogenannte Abverfügung Fallschirmjäger. So lautete die Aufgabenstellung für das BAZ Dresden für 1974 und 1975 jeweils 20 und für 1976 25 Abverfügungen. 1977 war unser Soll 16, aber erreicht haben wir nur 10.
Die Sprünge pro Jahr wurden in der Planung und Abrechnung aufgeschlüsselt in Laufbahnbewerber-, Wehrsport- und Lehrersprünge. 1977 waren von den 1.928 Sprüngen an unserem BAZ 22 % in der Laufbahnausbildung, 48 % im Wehrsport und 30 % Lehrersprünge. Wir hatten schon Ende der 60er Jahre begonnen, Lehrgänge ausschließlich für SAZ-Bewerber durchzuführen, mussten das aber beim Übergang zu Wochenendlehrgängen fallen lassen. Deshalb konnten wir auch nicht mehr unsere Planzahlen an Abverfügungen erreichen.
So sah die Jahresplanung 1973 für unser BAZ vor:
– 3 zentrale Wochenendlehrgänge SAZ- Theorie in Riesa-Göhlis (Februar/März),
– 1 Wochenlehrgang SAZ in Riesa-Göhlis (April),
– 1 Wochenlehrgang SAZ in Klix (September),
– Bestenermittlung SAZ in Magdeburg (September)
Demgegenüber standen 10 Sektionslehrgänge Wehrsport – ausschließlich an Wochenenden. Zum 1. SAZ-Lehrgang in Riesa-Göhlis war wohl kein Sprungbetrieb möglich, denn ich habe in meinem Sprungbuch keine Sprünge für diese Woche gefunden. In der Woche Klix sind nur 3 Sprungbetriebstage verzeichnet. Die SAZ-bewerber mussten deshalb in den Wehrsportwochenenden mitspringen, um auf ihre 12 Sprünge zu kommen.
Das änderte sich mit der Zentralisierung ab 1980: Für die gesamte DDR sah jetzt das Verhältnis bei den 620 Teilnehmern im Fallschirmsport von 1981 so aus: 48 % Laufbahnausbildung, 28 % Wehrsport und 24 % Lehrer und Assistenten. Die Zentrale Fallschirmsprungschule Halle-Oppin führte ausschließlich Wochenlehrgänge statt. 1981 gab es noch 12 gemeinsame Lehrgänge für Laufbahnbewerber und Wehrsportler, 4 nur Laufbahn und 2 nur Wehrsport, an denen Kameraden aus dem Bezirk Dresden teilnehmen konnten. 1983 wurde strikt getrennt nach Laufbahnausbildung und Wehrsport: 8 Lehrgänge Laufbahn und 5 Lehrgänge Wehrsport für Teilnehmer aus unserem Bezirk. Die GST lieferte in den 80er Jahren jährlich 260 vorausgebildete Fallschirmjäger an die Armee.
Durch die Zentralisierung ging viel von der „Romantik“ des Fallschirmspringens verloren und auch die Aktivitäten in einigen Sektionen gingen zurück. Dadurch erfüllten die Bezirke ihre „Planauflagen“ nicht, sodass insbesondere in den 80er Jahren zunehmend über die Wehrkreiskommandos Jungen bei der Musterung als SAZ für die Laufbahn Fallschirmjäger „geworben“ wurden. Diese schickten sie dann zu uns zur Laufbahnausbildung Fallschirmjäger. Da die Musterung erst kurz vor den 18. Lebensjahr erfolgte, hatten wir weniger Zeit für die fallschirmsportliche Ausbildung. Und wir hatten keinen Einfluss auf die Bewerber durch die Wehrkreiskommandos und mussten dann uns mit Jungen abquälen, die gar nicht wussten, auf was sie sich da eingelassen hatten. Das machte sich teilweise in mangelnden Interesse und Einsatzbereitschaft bemerkbar und manchmal waren sportlich gesehen, wirkliche „Tote Hosen“ dabei, die wir dann mit durchschleppen mussten. Und an der Mitarbeit in der Sektion außerhalb der durch das Programm vorgegebenen Pflichtveranstaltungen waren sie kaum interessiert.
Das waren auch diejenigen, die nach den 3 Jahren bei den Fallschirmjägern erst mal die Schnauze voll hatten von der ganzen Fallschirmspringerei. Wir waren aber auf eine ausreichende Anzahl von „Rückkehrern“ nach der Armeezeit angewiesen, denn das war ja unser Potential für zukünftige Assistenten und FS-Lehrer. Wobei der harte Dienst bei den Fallschirmjägern nicht unbedingt dazu angetan war, die Lust und Liebe am Fallschirmspringen auszubauen. Die Jungs waren dann auch in einem Alter, wo andere Dinge wichtiger waren: Beruf, Studium, Mädchen und eigene Familie. Wir haben auch dadurch eine Menge hoffnungsvollen Nachwuchs verloren
5.2. Zum Ausbildungsprogramm für die zukünftigen Fallschirmjäger
Bereits seit 1968 gab es in der GST Ausbildungsprogramme für die vormilitärische Ausbildung für Fallschirmjägerbewerber, die 1969, 1973 und 1982 präzisiert wurden. Die Ausbildungsrichtlinie der Laufbahn Fallschirmjäger 6/1976 sah folgenden Ablauf vor:
1. Etappe (September bis Januar)
* bis 15.11.: Persönliche Gespräche – 50% Reserve schaffen – Meldung an Kreisvorstand,
* bis 15.12.: kaderpolitische Überprüfung, persönliche Bereitschaftserklärung, Aussprache mit allen Bewerbern am BAZ,
* bis 15.01.: medizinische Tauglichkeitsuntersuchung (SMK) und Bestätigung als Bewerber Laufbahnausbildung Fallschirmjäger
2. Etappe (Februar)
* 14-tägiger zentraler Theorie-Lehrgang,
3. Etappe (März bis August)
* Sprungpraktische Ausbildung (12 Sprünge),
* Fahrerlaubnis Klasse 5 (Lkw),
* Tastfunkausbildung,
* Etappe September/Oktober,
* 10-tägiger zentraler Abschlusslehrgang
Die theoretische und bodenpraktische Ausbildung der SAZ unterschieden sich nicht wesentlich von dem, was wir bisher im Fallschirmsport gemacht hatten. Die sprungpraktische Ausbildung konzentrierte sich nach dem 3. Sprung (zusätzliches Öffnen des Rettungsfallschirmes) für die SAZ-Bewerber vor allem in Gruppensprüngen bis zur 9er-Gruppe. Dabei sollte auch ein Sprung in „unbekanntes Gelände“ erfolgen. Insgesamt sollten die SAZ-Bewerber mit mindestens 12 Sprüngen zum Bataillon gehen.
Ergänzt wurde die Sprungausbildung durch lange Geländeläufe und Märsche sowie der Umgang mit Karte und Kompass, Überwinden der Sturmbahn und Krafttraining (Klimmziehen, Seilklettern und Liegestütze, Keulenweit- und Zielwurf). Dafür wurden am BAZ rechts neben der großen Halle eine Standard-Sturmbahn der NVA mit Kriechhindernis, Eskaladierwand, Laufbalken und Fensterhindernis und eine sogenannte Fallschirmjäger-Bahn errichtet. Sie integrierte eine 30 m lange Seilbahn, ein Reck, Kletterseil und Kletterstange und ein Sprungpodest. An ihr konnte auch unser bisheriges Pendelgerüst für Steuerübungen, Verhalten in besonderen Fällen und das vierteljährige Schnelltrennen für die Sportspringer angebracht werden.



Bild 2 – Der Umgang mit Karte und Kompass war Teil der Laufbahnausbildung.
Bild 3 – Physische Ausbildung nahm einen hohen Stellenwert ein.
Bild 4: Die Fahrerlaubnis Klasse 5 wurde auf dem LKW W50 erworben.
(Bildquellen: Bild 2 Fallschirmjäger im Einsatz 1984, Bild 3 unbekannt, Bild 4 Motorsport 9´1970)
Die geforderte Schießausbildung führten wir selbst durch. Ich war ja schon in meiner Jugend „schießgeil“, hatte mir 1956 selbst eine Luftgewehr (Knicker) gekauft und zum Abschluss meiner Motorflugausbildung im Okt. 1958 das Leistungsabzeichen Sportschießen in Bronze und im März 1962 als Student im Schießkeller des Wohnheims an der Güntzstraße das Leistungsabzeichen Sportschießen Silber erworben. Im Oktober 1968 machte ich die Berechtigung als Leiter des Schießens. Geschossen wurde mit dem KK-Gewehr K110 und später mit der KK-MPi 69, ähnlich der legendären Kalaschnikow AK-47. KK steht für Kleinkaliber 5,6 mm.
Geschossen wurde auf der 50-m-Bahn auf dem Schießstand Heyda an der Straße von Poppitz nach Heyda, wenn während eines Lehrgangs wegen Wetter oder Flugsperre nicht gesprungen werden konnte. Der Schießstand liegt reichlich 3 km vom Objekt entfernt, also mit einem Geländemarsch quer über den Platz und entlang der Felder gut zu erreichen.
Mit der geforderten Fahrschulausbildung für die Klasse 5 (LKW) und Ausbildung im Tastfunken (nur Geben von Zahlen) hatten wir nichts zu tun. Das organisierte der BV über die Sektionen Motorsport und Funksport.
Wir hatten aus Sicherheitsgründen schon immer Wert auf ein bisschen Disziplin gelegt: Antreten und Appell vor Sprungbeginn, Marschieren in der Gruppe und Ordnung in den Packzonen und den Unterkünften. In der SAZ-Ausbildung wurde das natürlich etwas militärischer. Das begann schon in der Anzugsordnung. Die SAZ-Bewerber erhielten die von der NVA abgelegten Vierfarben-Flecktarnanzüge mit aufgenähtem GST-Emblem. Die waren durch das viele Waschen und chemisch Reinigen schon recht steif geworden und ließen sich nicht sehr angenehm tragen, besonders nicht im Sommer. Ich habe mir dann über den NVA-Fallschirmwart und GST-FS-Lehrer Cherry Wolf einen besseren Kampfanzug im Strichtarnmuster („Ein Strich – kein Strich“) organisiert.
1973 bekamen wir dann die steingraue GST-Uniform (Hosen und Jacke mit Schulterklappen) und die leichten blauen Sprungkombis, die auch im Wehrsport getragen wurden. In den 80er Jahren kamen dann noch „Dienstrangstreifen“ auf den Schulterklappen. Ich hatte wohl als Ausbilder einen breiten roten.
Seit Anfang der 70er Jahre nannte sich die SAZ-Ausbildung nun Laufbahnausbildung Fallschirmjäger. Dafür gab es ein erstes Laufbahn-Abzeichen. Während wir unser erstes Fallschirmsportabzeichen (die kleine blaute Raute mit dem weißen Fallschirm) noch voller Stolz an Jacke und selbst am Anzug getragen haben – zum Zeichen, wer wir sind – haben das unsere Jungens im persönlichen Bereich nicht getragen: zu groß, zu schwer, zu plump. In meiner kleinen Sammlung von Fallschirmsprungabzeichen aus mehreren Ländern ist es das unansehnlichste. Wer das entwarf, hatte keine Ahnung von der jugendlichen Psyche.



Bild 5 – Schulterklappe für die Laufbahnausbildung Falschirmjäger.
Bild 6 – Das erste Fallschirmsprungabzeichen in der Form von 1957.
Bild 7: Das Laufbahnabzeichen Fallschirmjäger der GST.
(Bildquellen: René Richter)
5.3. Zu den SAZ-Lehrgänge am BAZ Riesa-Göhlis
Oberinstrukteur Werner Schmidt bezog in die SAZ-Lehrgänge besonders die Fallschirmsprung-Lehrer mit ein, die bereits gedient. Das waren Alfred Dathe, Gert Schuster, Bernd Heinemann und ich. Dann kamen Uwe Hübner und später Christian Füssel und Volkmar Buse als Erste vom Fallschirmjägerbataillon zurück. Die konnten natürlich die „Spezialausbildung“ für die künftigen Fallschirmjäger aus eigener Erfahrung viel realer gestalten, als wir von der Luft oder von den Panzern. Da übernahm immer Uwe Hübner das Kommando, obwohl man munkelte, er habe beim Bataillon nur Spießschreiber gemacht.
Fallschirmspringer-Mehrwettkampf in Neuhausen
Im Frühjahr 1968 betraute mich Oberinstrukteur Schmidt mit der Vorbereitung einer Mannschaft für den 2. Fallschirmspringer-Mehrwettkampf. Die Mannschaft sollte aus einem Fallschirmsprung-Lehrer und drei SAZ-Bewerbern bestehen. Ausgewählt wurden Christian Füssel und Volkmar Buse aus Dresden und Bernd Schmidt aus Zittau. Bestandteil des Wettkampfes waren: Zwei Gruppenzielsprünge mit PD-47, Geländelauf, Schießen, Keulenweit- und Zielwurf.
Wir trainierten hart, auch außerhalb der Lehrgänge. 2-3 Wochenenden sind wir extra ans BAZ nach Riesa gefahren. Wir erhielten dort KK-Gewehre und genügend Munition und konnten zu viert selbständig auf dem Schießstand bei Heyda trainieren, natürlich hin und zurück gerannt. Meine Jungs waren ja über 10 Jahre jünger und mir körperlich weit überlegen. Schießen und Springen konnte ich besser, beim Laufen konnte ich gerade so mithalten, aber beim Keulenweit- und Zielwurf hatte ich mangels Armschnellkraft meine Probleme. Ich schaffte geradeso, meine Keule bis an den 25 m entfernten Zielkreis zu werfen, geschweige denn Punkte durch den Weitwurf gutzumachen.

Bild 8 – Beim Training für den Wettkampf in Neuhausen (v.l.n.r.): Christian Füssel, Bernd Schmidt, Hartmut Kocemba, Heinz Großer.
(Bildquelle: Heinz Großer)
Am Freitag, den 25.10.1968 fuhr uns Oberinstrukteur Werner Schmidt nach Neuhausen, nachdem wir bereits am BAZ unsere Fallschirme gepackt hatten. Die erste Disziplin war am Sonnabend ein Sprung ins unbekannte Gelände mit anschließenden 10 km-Geländelauf. Gekämpft wurde in den verfluchten Tarnflecken-Kampfanzug. In einem Start mit der An-2 waren zwei Mannschaften. Die „Vorhänge“ an den Kabinenfenstern waren zugezogen, damit wir nicht sahen, wo wir hinflogen. Das hätte uns sowieso nichts genützt. Wir waren in Neuhausen noch nie gewesen und kannten die Gegend überhaupt nicht.
Wir waren in der Maschine der erste Anflug und wurden von einem Neuhausener FS-Lehrer abgesetzt. „Fertigmachen“, Tür auf und raus. Ich war der Schwerste, sprang also als erster und das Prinzip war: „Mir nach“. Aber aus 500 m konnte man mit dem PD-47 nicht viel machen. Ringsherum viel Wald, rechts vorn ein Dorf, dahinter Teiche. Unter uns eine große Wiese mit dem Zielkreuz. Wir hatten eine gute Landedichte. Schirm in die mitgeführte Tragetasche und Lauf zum Zielkreuz. Das war der „Außenlandeplatz“ Kathlower Wiesen.
Dort erhielten wir einen Ausschnitt von einem Messtischblatt von 1912, einen Kompass und eine Tabelle mit Marschrichtungszahlen (= MRZ) und Entfernungsangaben von 4 – 5 Teilstrecken. Ich hatte mit dem Kompass den Kurs zu bestimmen, während meine Kameraden die Laufschritte zählten bzw. die Laufzeitzeit kontrollierten. Damit schätzten wir die Entfernungen ab. Das hatten wir in Riesa schon trainiert.
Dann kam das Startsignal. Ab da zählte die Zeit. Die erste MRZ 55 brachte uns quer über die Wiese und durch etwas Wald an den ersten Wendepunkt, einer Straßengablung an der heutigen L 49. Die Entfernung stimmte. Ich hatte mir unterwegs die nächste Teilstrecke eingeprägt: „Auf der Straße ins Dorf“. Volkmar wollte erst nochmal die MRZ kontrollieren, aber ich rannte einfach auf der Straße weiter. Nur kam ewig kein Dorf. Unterwegs überholte uns der Oberinstrukteur von Karl-Mars-Stadt Vinzent Przybycin mit einem GST-LO und feixte uns an. Da ahnte ich schon schlimmes. Wir hätten an der Gabel den linken Waldweg nehmen müssen. 1912 waren das wahrscheinlich beide noch gleichrangige unbefestigte Wege und ich hatte in meiner Überheblichkeit und Arroganz als „zweitbester Navigator der Staffel“ meine Jungs „verheizt“.
Nun mussten wir erst in Kahren den 2. Wendpunkt suchen, ein aufgebauter Luftgewehrschießstand. Das war ein Umweg von fast 3 km. Dort hatte uns Vinzenz schon als vermisst gemeldet. Trotzdem rannten wir mit unserem trainierten Tempo weiter, diesmal mit gewissenhafter Kontrolle der MRZ. Der nächste Wendpunkt war an der Autobahn A15 von Cottbus nach Forst. Die existierte auf unserer Karte noch gar nicht, war noch einspurige und durfte wohl damals nicht befahren werden. Die Aufgabe hier war Bergung eines Verletzten. Ich war so fertig, dass meine Kameraden mich über die Autobahn tragen mussten. Der nächste Wendepunkt war Keulenweit- und Zielwurf und schließlich erreichten wir völlig ausgepumpt das Ziel auf dem Flugplatz Neuhausen: Letzter Platz. Schmidt Werner war sauer, meine Jungs auch. Der ganze Training, die ganze Schinderei umsonst – welche Schande. Ich habe mich geschämt bis dahinaus.
Die zweite Disziplin war einen Gruppenzielsprung aus 600 m auf den Flugplatz. Hier mussten wir uns selbst absetzen. Es wurde die Zeit gewertet von der Landung des letzten Springes bis zur Meldung der angetretenen Gruppe am Zielkreuz. Unsere Landedichte war super – alle vier um das Zielkreuz herum. Wir hatten die beste Zeit und damit den 1. Platz in der zweiten Disziplin. Ein schwacher Trost, denn beide Zeiten wurden addiert. Da sich ein FS-Lehrer mit seine Gruppe bei der Abdrift total verschätzt hatte, landeten wir noch auf dem 7. Platz, den vorletzten. Diese Schande ließ sich in den folgenden Jahren auch nicht mit viel Bier abwaschen.
Danach nannte sich der Wettkampf „Komplexwettkampf der Fallschirmspringer“ und bestand aus den Disziplinen: Fallschirmspringen, Schießen, Schwimmen und Laufen. Ob jemals eine Mannschaft aus unserem BAZ dran teilgenommen hat, weiß ich nicht mehr. Nach dem Debakel von Neuhausen auf jeden Fall ohne mich.
Unter der Leitung ihres Oberinstrukteur Heinz Wolf wurde dieser militärische Mehrkampf eine Domäne der Magdeburger. Sie gewannen regelmäßig den Pokal des Ministers für Nationale Verteidigung und vertraten anfangs auch die DDR in dem „Internationalen Komplexwettkampf der Fallschirmspringer der sozialistischen Länder“, der u.a. 1973 in Magdeburg stattfand. Später trainierte Dieter Strüber die DDR-Mannschaft der „Komplexer“, in der auch der Dresdner Karl-Heinz Gläser aus dem Sachsenwerk 1983 an einem Wettkampf in der Volksrepublik Korea (Nordkorea) teilnahm.
Abschlussübung 1969
1969 hatten wir eine größere Gruppe Bewerber am BAZ. Das war eine disziplinierte, kräftige und sprunggeile Truppe, die auch der Ex-Ausbildung, beim Schießen und den Geländeläufen willig mitmachte – bis auf „Fallschirmjäger Löb“, ein etwas kleinerer, schwächlicher und wohl auch ängstlicher Typ, der schon einmal während des automatischen Abgangs den Rettungsfallschirm geöffnet hatte. Als das nochmals passierte, hätte ich ihn sofort nach Hause geschickt. Aber es zählte jeder Bewerber für die Armee. Sollte die sich später mit ihm rumärgern.



Bild 9 & 10 – Exerzierausbildung: Antreten und Marschieren lernen.
Bild 11 – Links der Leiter des Bezierksausbildungszentrums und An-2-Pilot Peter Bürger.
(Bildquellen: Peter Bürger)
Oberinstrukteur Werner Schmidt plante mit dieser Gruppe eine 2-tägige Abschlussübung mit Sprung ins unbekannte Gelände. Das war ein großes abgeerntetes Getreidefeld. Leider war an diesem Sonnabend, wie so oft Flugsperre, und so musste die 10 oder 12 Mann nachmittags mit dem LO an die geplante Absprungstelle gefahren werden. Gekleidet waren sie mit dem Tarnfleckenanzug, Sprungschuhen und Käppi. Sie hatten ihre Kappmesser dabei und erhielten als weitere „Waffe“ ein Übungsgewehr – aus Holz.
Ihr Auftrag: In zwei Gruppen verdeckt, d.h. lautlos und ohne gesehen zu werden, zwischen den Ortschaften Diera und Naundörfel in den Golkwald „einzusickern“. Dort sollten sie sich eine Basis bauen, d.h. sich so einzugraben, verstecken und tarnen, dass sie alles in die Umgebung beobachten konnten, ohne gesehen zu werden. Wir würden das kontrollieren.
Wir, das waren Oberinstrukteur Werner Schmidt, Schmidt Manne, Alfred Dathe, Gert Schuster, Uwe Hübner, und ich. Uwe fuhr den P2M und Alfred den LO. Wir hatten etwas Kaltverpflegung mitgenommen (die Jungen hatten nichts) und machten noch an der Absprungstelle Vesper. Da sagt Gert plötzlich: „Da vorn steht ein Panzer!“ Aber nicht wie hin.
1936 entstand im Meißner Stadtteil Bohnitzsch eine Artillerie-Kaserne. 15 Kasernengebäude, einige Nebengebäude und riesige Fahrzeughallen wurden auf dem ca. 25 Hektar großen Gelände erbaut. Nach dem zweiten Weltkrieg übernahm die sowjetische Armee das Gelände, z. Z. war hier das 7. Garde-Panzerregiment der GSSD (= Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland) untergebracht. Und die hatten von ihrer Kaserne aus eine Panzerfahrstraße durch die Gegend und auf dieser stand ein T-54.
Fahrer- und Turmluke am Panzer auf, aber kein Mensch zu sehen. Alfred sprang vom P2M und ging um den Panzer herum. Hand auf das Heck (wo der Motor sitzt): „Der ist ja noch warm“. Prüfender Blick auf das Fahrwerk: „Aha, Exender gerissen, deshalb ist er nach der Kurve liegengeblieben“. Alfred war bei der NVA T-34 gefahren. Er schaut in die Turmluke: „Keiner drin!“ Also verschwand Alfred in den Panzer: „Mensch, der hat ja Sachen drin, die kenn ich noch gar nicht.“
Dann tauchte sein Kopf aus der Fahrerluke auf und plötzlich heulte der Motor des Panzers auf. Alfred strahlte vor Begeisterung. Da sprang aus dem Kartoffelkraut ein sowjetischer Soldat auf den Panzer und schaute uns ganz entgeistert an. Den hatte man als Wache hiergelassen und er hatte sich wohl in die Kartoffeln gehauen, um zu pennen. Wir waren alle im Tarnfleckenanzug mit schwarzem Barett, keine Schulterstücke, nur das GST-Emblem am Ärmel und kamen in einem unbekannten Jeep (kein sowjetischer) mit gelber Nummer. Die Armee kannte er nicht. Ich rannte vor dem Panzer und gab bei dem Krach Alfred mit Handzeichen zu verstehen, er solle das Triebwerk abstellen. Er lachte nur und gab nochmal richtig Gas. Da zeigte ich auf den Soldaten und da verstand er.
Alfred enterte den Turm und gab den Soldaten die Hand. Ich übersetzte: „Наш товарищ тоже был танкистом в Национальной народной армии – T34!“ Werner bot ihm eine Zigarette an, die er mit zitternden Händen entgegennahm. Wir versuchten noch ein Gespräch – по русски. Nicht auszudenken – für uns, wenn die „Wache“ bewaffnet gewesen wäre. Nicht auszudenken – für den Soldaten, wenn jetzt seine Vorgesetzten kämen. Also verschwanden wir beizeiten.


Bild 12 – „Panzerklau“ Alfred Dathe.
Bild 13 – Die unbekannte Armee erobert einen sowjetischen Kampfpanzer.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Unsere Truppe war nach 3 km Eilmarsch inzwischen im Golkwald verschwunden. Wir fuhren mit beiden Fahrzeugen auf einer Forststraße quer durch den Wald. Natürlich haben wir keinen gesehen, die hörten uns ja schon beizeiten. Aber sie hatten uns gesehen und sich die beiden Fahrzeuge und die Zeit notiert. Unser Ziel war Löbsal und dort das „Jägerheim“ – ein uriger Gasthof mit deftigen Essen und zünftigen Bier.
Wir saßen gerade so gemütlich in der Runde, da kommt ein hiefriges Männchen zur Tür rein, baut sich vor unseren Tisch auf: „Gehört das GST-Fahrzeug zu Ihnen?“ (Alfred war inzwischen mit dem LO nach Riesa zurückgefahren). Wir gucken uns gegenseitig an und Werner fragt uns nach einer Weile: „Gehört das GST-Fahrzeug uns?“ Nach einer Weile nicken wir vier: „Ja – das GST-Fahrzeug gehört zu uns.“ „Haben Sie einen Fahrauftrag?“ Werner: „Haben wir einen Fahrauftrag?“ Nach einer Weile nicken wir: „Ja – wir haben ein Fahrauftrag“. „Zeigen Sie mir den Fahrauftrag!“ Werner: „Zeigen wir ihm den Fahrauftrag?“ Nach einer Weile schütteln wir alle den Kopf: „Nein – wir zeigen den Fahrauftrag nicht.“ Und einer fragte: „Wer bist´n du?“ „Ich bin der Instrukteur für Motorsport des Kreises Meißen.“ Daraufhin Werner: „Und ich bin der Oberinstrukteur für Fallschirmsport des Bezirkes Dresden. Können Sie sich ausweisen?“ Das könnte das Männchen nicht.
Alle kannten mich auf dem Flugplatz 30 Jahre lang mit meinem kleinen braunen Koffer. Da war an Unterlagen immer alles drin, was man so beim Sprungbetrieb brauchte. Den hatte ich auch zu der Abschlussübung mit. Nur waren diesmal sichtbar die Leuchtpistole des Flugleiters und die Munition drin. Als ich den Koffer sichtbar öffnete, dachte er erst, ich hole wohl den Fahrauftrag raus: „Reicht das?“ Wutschnaubend verließ der Kreisinstrukteur das Lokal.
24:00 Uhr, da waren es schon mehrere Biere, schloss das „Jägerheim“. Zeit, um unser Nachtquartier zu beziehen. Uwe hatte am Rande des Dorfes eine große Strohfeime entdeckt. Wir näherten uns ihr von hinten und enterten sie. Leicht angeheitert ging das nicht so geräuschlos vor sich. Was wir erst nicht gesehen hatten: Hinter Feime war ein Bauernhof und dort schlug der Hund an. Der Krach weckte den Bauern, der kam raus und rief seinen Hund zur Ordnung. Nach einer Weile spielten wir Wölfe und heulten um die Wette. Wieder schlug der Hund an. Wieder kam der Bauer raus. Ruhe – Wolfsgeheul. Beim dritten Mal kriegte der Hund eine Tracht Prügel. Ab da war dann Ruhe und wir haben trotz der oktoberlichen Kälte – eingewickelt in Zeltplanen – doch etwas geschlafen.
Gegen 05:00 Uhr war die Nacht vorbei. Die Jungs hatten die Order, in einem Nachtmarsch von ca. 7 km lautlos und verdeckt alle Ortschaften zu umgehen. Treffpunkt war 06:00 Uhr an der Elbe zwischen Diesbar-Seußlitz und Neuseußlitz. Die Jungs waren pünktlich, übernächtigt und aufgekratzt. Alfred Dathe mit dem LO und der Kaltverpflegung und heißen Tee aus dem Stahlwerk war auch schon da. Er hatte 6 große aufgepumpte Autoreifen mitgebracht. Nach dem schnellen Frühstück stand im Morgengrauen die Überquerung der Elbe an. Die Jungs zogen sich nackt aus, legten jeweils zu zweit ihre Übungsgewehre über Kreuz auf einen Autoreifen und packten darauf ihr Päckchen mit den Sachen.
Nebelschwaden waberten über der Elbe, geschätzte Lufttemperatur 5° C, geschätzte Wassertemperatur 11° C. Ich hatte mir fest vorgenommen, mit den Jungs durch die Elbe zu schwimmen. Aber nach der durchzechten und verfrorenen Nacht war mir das dann doch zu kalt. Die Elbe hatte Niedrigwasser und war hier ca. 120 m breit. Eigentlich kein Hürde. Wir wussten ja, dass alle gut schwimmen konnten. Das war zwar ein gewagtes Unternehmen, aber eigentlich konnte nichts passieren. Einer der Jungs fragte: „Wie tief ist denn die Elbe?“ Werner Schmidt: „Wir haben gestern Radio abgehört: Tauchtiefe in diesem Abschnitt der Elbe 1,50 m“. „Da können wir ja durchlaufen!“


Bild 14 & 15 – Vorbereitung der Elbüberquerung bei Niederlommatzsch.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Die Truppe ließ ihre Übersetzhilfen zu Wasser. Der Einstieg war am Seichtufer. Bis zur Mitte der Elbe konnten sie wirklich noch waten, dann kam die Fahrrinne und die erste plumpste rein. Und der lange Helbig brüllte in die morgendliche Stille: „Von wegen Tauchtiefe 1,50!“ Die Hunde im gegenüberliegenden Niederlommatzsch schlugen an und in den Häusern ging das Licht an. Nichts mehr mit verdeckten Elbübergang. In der Fahrrinne war etwas mehr Strömung, sodass die Truppe etwas abtrieb, besonders die Besatzung mit „Fallschirmjäger Löb“.



Bild 16 & 17 – Kurz vor der Fahrrinne.
Bild 18 – Kleinkaliber-Schießen auf dem Schießstand Heyda.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Nachdem wir uns überzeugt hatten, dass alle drüben heil angekommen waren, setzten wir mit der Autofähre in Zadel über. Die Truppe hatte die Order, sich im Laufschritt von der Elbe zu entfernen. Das konnten wir schlecht kontrollieren, denn sie waren schon weg, als wir die Reifen aufnahmen. Ich nehme mal an, dass sie trotzdem gerannt sind, um wieder warm zu werden. Den Hang hoch in Richtung Bahra und unter Umgehung der Ortschaften zum Schießstand Heyda (7 km). Dort fand das KK-Schießen statt. Und dann noch der Marsch zum Flugplatz. Die Jungs kamen müde, hungrig, durstig und geschafft an, waren aber begeistert von ihrer bestandenen Abschlussübung. Und die Stories davon machten unter den FS-Lehrern noch jahrelang die Runde am Lagerfeuer oder beim abendlichen Bier.
Diese Abschlussübung hatte übrigens für OI Werner Schmidt noch ein Nachspiel. Bei der Genehmigung eines geplanten Außenlandeplatzes musste die Zustimmung des jeweiligen VPKA (= Volkspolizeikreisamtes) eingeholt werden. Diese hatte wohl ihren ABV (= Abschnittsbevollmächtigten) irgendwo in Stellung gebracht, der sich das Fallschirmspringen ansehen sollte und offensichtlich unseren „Panzerklau“ beobachtet und nach oben weitergemeldet hatte. Und so erhielt Werner vom BV einen saftigen Anschiss. Und da sich der Kreisinstrukteur Motorsport auch noch beim BV beschwert hatte, kam ein zweiter Anschiss dazu. Schließlich sei er mit einer Waffe bedroht worden.
Bestenermittlung (22.10 – 26.10. 1969 in Schönhagen)
Mit dieser Truppe und Fallschirmsprung-Lehrer Bernd Heinemann bin ich 2 Wochen später mit dem LO zur ersten „Bestenermittlung der Gruppen der vormilitärischen Ausbildung in der Laufbahn Fallschirmjäger“ nach Schönhagen gefahren. Es war eine 4-stündige Fahrt bei dichtem Oktobernebel, so dass wir am Mittwochabend relativ spät ankamen. Die Fliegerschule war voll belegt. Für uns war nur noch das „Außenquartier“ im Schloss Schönhagen übrig, d.h. nicht im eigentlichen Schloss, sondern im Gärtnerhäuschen am Eingang des Schlossparkes. Das verfügte über drei Schlafräume, einen Aufenthaltsraum und eine kleine Küche – alles ofenbeheizt. Der Vorteil: Wir waren für uns allein. Der Nachteil: Wir mussten früh bereits mit allen Drum und Dran zum Frühstück marschieren und kamen abends erst nach dem Abendessen in die Unterkunft zurück – alles im Tarnfleckenanzug.
Der Donnerstag verging wohl mit Fallschirmpacken. Am nächsten Tag sollte das Zielspringen stattfinden. Es war neblig-trübes Wetter und die Wolkenuntergrenze reichte nicht. Also wurden die anderen Disziplinen am Boden absolviert: Schießen und Geländelauf. Wahrscheinlich haben wir keine vorderen oder letzte Plätze belegt, sonst könnte ich mich daran erinnern.

Bild 19 – Die Dresdner Fallschirmjägerbewerber des Jahrgangs 1969 bei der Bestenermittlung in Schönhagen.
(Bildquellen: Helmut Ende)
Das Zielspringen am Sonnabend fiel wegen Flugsperre aus. Selbst der Zentralvorstand der GST mit seiner Zentrale Flugsportschule und der Bestenermittlung in der Laufbahn Fallschirmjäger konnte das für einen Sonnabend nicht verhindert. Die Schule wusste nicht, was sie mit den Massen anfangen sollte. Also erhielten die Bezirksverantwortlichen nachmittags die Order, mit ihren Gruppen Exerzierausbildung zu machen. Antreten, links um, rechts um und marschieren – so ein Blödsinn. Das hatten wir in Riesa schon genug trainiert und unsere Truppe macht von der ganzen Bestenermittlung sowieso den besten militärischen Eindruck.
Also marschierte ich mit meiner Truppe aus dem Objekt in den Wald und machte eine „Geländeübung“. Schon bei der Herfahrt hatten wir bei einer Rast gemerkt, dass es viel Pilze gab. Ich ließ die Truppe vor einer Kiefernschonung in „Schützenkette“ ausschwärmen. Auftrag: Schonung durchkämmen – nach Braunhätel. Jeder bekam eine Zeile. Bernd und ich postierten uns am anderen Ende. Und dann kamen die Jungs mit vollen Händen und Käppis aus der Schonung. Einer hatte sogar seine Jacke ausgezogen, um seine Pilzen unterzubringen. Unter Umgehung des Flugplatzes erreichten wir mit drei vollen Jacken unser „Gartenhäuschen“ und begannen mit dem Pilze putzen – unterbrochen nur durch das Abendessen. Es wurde ein riesengroßer Berg.
Im Schloss war damals ein Kindergenesungsheim untergebracht. In deren Küche borgte ich mir zwei große Tiegel und ausreichend Salz und Pfeffer. Butter hatten wir vom Abendessen mitgenommen. Jetzt fehlten nur noch Zwiebeln. Die Küche rückte keine raus – Zwiebeln waren wohl wiedermal Mangelware. Also fragte ich meine Truppe: „Ich brauche 4 Kameraden für einen Sonderauftrag – Freiwillige vor“. Der Sonderauftrag lautet: „Zwiebeln organisieren. Wie ist egal – aber ja nicht erwischen lassen. Ich will keinen Ärger mit der Fliegerschule.“ Der erste kam ohne Zwiebeln wieder. Zwei hatten einige Zwiebeln, dreckig – im Vorgarten geklaut. Der vierte zog ganz verschämt zwei kleine Zwiebelchen aus der Tasche. „Wo haste die her?“. „Ich habe an einem Haus geklingelt und habe der Frau gesagt, wir hätten ein paar Pilze gefunden, die wir braten wollten. Ob sie nicht eine Zwiebel dafür hätte.“
Eigentlich waren Pilzgerichte in Gemeinschaftseinrichtungen verboten. Naja – Feuer in dem Kohleherd – es wurden zwei große Tiegel voller wohlschmeckender Pilze. Nur Maronen, da konnte man nichts falsch machen. Ein Tiegel für die Jungs und ein Tiegel für Bernd und mich.
Bestenermittlung zur I. Wehrspartakiade in Schwerin 1970
Zur Bestenermittlung der Gruppen der vormilitärischen Ausbildung in der Laufbahn Fallschirmjäger anlässlich der I. Wehrspartakiade in Schwerin vom 10.08. – 15.08. 1970 wurde ich als Schiedsrichter eingesetzt. Gleichzeitig sollte ich mit Alfred Dathe zum abschließenden Großflugtag unseren Doppelsprung zeigen (siehe Abschnitt 3.7.). Bestenermittlung und Großflugtag sollte auf dem Segelflugplatz Pinnow bei Schwerin stattfinden. Ich bin von einem Wochenendlehrgang in Riesa-Göhlis direkt mit dem Motorrad nach Schwerin gefahren, während Alfred mit unserer Schirmtechnik und einer Mannschaft des BAZ mit dem LKW nach Schwerin kam.
Geschlafen wurde auf den Flugplatz in Baracken und in Zelten. In einen Brief an Waltraut liest sich das so:
„Ein völlig runtergelumperter Stützpunkt. Den ersten Tag haben wir erstmal die Baracke gesäubert, Linoleum verlegt, Gardinen angemacht. Wir sind 9 FS-Lehrer aus allen Bezirken, die die Bestenermittlung Fallschirmsport vorbereiten. Wir waren gestern Abend in Schwerin in einem Betrieb essen, heute Abend lau aus Kübeln versorgt worden. Tagsüber gibt es Verpflegungsbeutel. Ich werde wohl einen Berg voll Büchsenwurst mitbringen.“
Unsere Aufgabe bei der Bestenermittlung waren Kontrollposten und Zeitnahme bei den Laufdisziplinen und der Sturmbahn, sowie Schiedsrichter und Zähler bei Klimmziehen, Handgranatenziel – und -weitwurf. Das geplante Zielspringen fiel witterungsbedingt aus.
Auch das Training für den Flugtag musste wegen schlechten Wetters ausfallen. Also ließ Manfred Spenke, Leiter fliegerische Ausbildung bei ZV und Flugleiter von fast allen Großflugtagen in der DDR „die 29 Piloten, die den abschließenden Überflug ausführen sollten, einen Tag vorher ausschwärmen, platzierte sie in die richtige Ordnung und sie liefen nach seinen lautstarken Kommandos über den Platz und übten Verbandsflug. Für Beteiligte wie Zuschauer ein Riesenspaß.“
Wir dagegen hatten frei. Mit einigen waren wir wohl am Vormittag auf den Fernsehturm in Zippendorf. Damals stand er einsam auf einen Hügel umgeben von Wald und Feldern, nur 1 km vom Zippendorfer Strand am Schweriner See entfernt. Wenige Jahre später wurde das gesamte Gelände ein einziges Neubaugebiet. Aus 100 m Höhe hatte man eine fantastische Sicht auf Schwerin, den Schweriner See und die Wälder und Seen in Richtung Pinnow – ein kleiner Vorgeschmack, was uns morgen zum Flugtag erwarten sollte.
Nachmittags war die ganze Meute baden im nahen Mühlensee – 50 Männlein und Weiblein – alle nackt raus auf den See. Inzwischen hatten sich zwei ältere Ehepaare mit ihren Campingstühlen am Ufer bequem gemacht, genau dort wo wir wieder raus mussten. Kurzes Zögern – dann sagte einer von den Alten: „Wir haben ja nichts zu verbergen!“ und 50 Nackte gingen an Land. Die beiden Frauen kriegten große Augen, die beiden alten Herren schimpften wie die Rohrspatzen. Viel konnte man wirklich nicht sehen, das Wasser war ziemlich frisch.
Am hinteren Platzende war eine kleine Senke mit einem Flüsschen. Ich ging in der Abenddämmerung mit Alfred Dathe auf „Jagd“. Wir hatten unsere Kappmesser mit. In einer Flussschlinge hatten wir einen Rehbock eingekreist und überlegten schon, wie wir ihn mit unseren Messern erledigen könnten. Aber mit einem bellenden Geschimpfe setzte er im letzten Moment in einem gewaltigen Satz über Ufergebüsch und Flüsschen. Dass das die junge Warnow war, habe ich erst 2018 gesehen, als ich den Warnow-Radweg von der Quelle zur Mündung folgte und mir den Umweg zum Flugplatz Pinnow nicht verkneifen konnten. Aber bis ganz ins Objekt bin ich nicht gefahren, Der Weg am Flugplatzrand war für mein E-Bike doch zu schlecht.



Bild 20/21/22 – Impressionen von der Wehrsspartakiade in Schwerin.
(Bildquellen: Fliegerrevue 10´ 1970)
Ob wir jemals mit unseren Laufbahnbewerbern an weiteren Bestenermittlungen teilgenommen haben, weiß ich nicht mehr. Vielleicht habe das dann die jüngeren FS-Lehrer gemacht:
II. Wehrspartakiade 22. – 23. 08.1975 in Magdeburg,
III. Wehrspartakiade 27. – 30.07.1978 in Halle,
IV: Wehrspartakiade 09.07. – 12.07.1981 in Erfurt,
(laut Chronik: Teilnahme einige Springer vom BAZ am Massenabsprung zum Flugtag),
V. Wehrspartakiade in Halle 11.07. – 14.07.1985.
Vom 01.-03.07.1976 war ich Wettkampfleiter bei der Wehrbezirksspartakiade und konnte dabei am Sonnabend einen Sprung in Riesa und am Sonntag einen Vorführungssprung zu einer abschließenden kleinen Flugschau in Pirna-Pratschwitz machen.
Sprung ins „unbekannte Gelände“ 1972
Wir hatten im Mai 1972 wieder eine gute Truppe an Laufbahnbewerbern zu einem einwöchigen SAZ-Lehrgang in Riesa Göhlis und hatten erstaunlicherweise die ganze Woche keine Flugsperre und eine stabile Hochdruckwetterlage. Und waren unterbesetzt. Ich war im Prinzip der einzige Lehrer am Platz. Nur Günter See konnte nachmittags auf den Platz kommen. Also machte ich vormittags Fallschirmpacken, bodenpraktische und vormilitärische Ausbildung und nachmittags war Sprungbetrieb. Während Günter jeweils die zwei Gruppen absetzte und dann mit als Verantwortlicher für das Packen fungierte, war ich „Mädchen für Alles: Flugleiter, Sprungleiter, Endkontrolle und Lehrer Landeplatz. So konnten die Jungs an jedem Tag zwei Gruppensprünge machen und wurden immer besser in der Zielannäherung. Das wurde langsam langweilig. Deshalb beschloss ich, mit beiden Sprunggruppen einen Sprung ins „unbekannte Gelände“ zu machen.
1962 war in Riesa-Göhlis eine Start- und Landebahn durch Stahlgitter unter der Grasnarbe befestigt und auf 2.800 m erweitert worden. Sie sollte als Ausweichlandeplatz für die sowjetischen Jagdbomber auf den Flugplatz Großenhain dienen. Diese Landebahnverlängerung war ein 160 m breiter Streifen, der sich 1,2 km vom früheren Flugplatzrand bis zur Straße von Leutewitz nach Heyda hinzog. Von der Länge also ausreichend, wenn denn Nordwestwind wäre. Aber wir hatten Südwest und dafür wäre der 160 m Streifen für meinen Gruppensprung mit 7-9 Springern zu schmal. Aber ich ließ mir was einfallen. Während der Mittagspause hatte ich das Zielkreuz ca. 300 m vor dem Ende der Landebahnverlängerung ausgelegt.
Und mit Günter und dem Piloten besprach ich folgende Taktik. Wir machen einen Parallelanflug entlang der Landebahnverlängerung, als quer zum Wind. Dadurch springen alle Springer mit dem gleichen Abstand von dem schmalen Streifen ab. Der Pilot fliegt, um die Abdrift seitlich versetzt – vom Platz weg und beginnt 200 m vor dem Zielkreuz mit dem Absetzen. Den Jungs hatten wir gesagt, dass sie diesmal nicht am Sandkasten landen sollen, sondern am Zielkreuz irgendwo in der Landschaft. Gesagt – getan. Im Prinzip klappte das wunderbar mit der 1. Gruppe. Alle landeten auf den schmalen Streifen, bis auf die drei letzten. Aufgrund ihres geringeren Gewichts hatten sie eine größere Abdrift und landeten in Richtung Leutewitz. Dabei schlug aber einer in einem Kleingarten in ein Frühbett ein. Bis auf ein Paar Schnittwunden nichts passiert, aber ein meldepflichtiges besonderes Vorkommnis, wegen des Schadens an fremden Eigentum. Wir haben das später mit Außenlandung infolge Thermik begründet.
Mit der 2. Gruppe hat Günter den Anflug korrigiert, ist etwas schräg von der Landebahnverlängerung weggeflogen, sodass das sich die Abdrift für die leichtern Springer vergrößerte. Alle kamen auf dem schmalen Streifen in der Nähe des Zielkreuzes. Das war das erste und einzige Mal, dass wir eine solche Art von Absetzflug gemacht haben – eine navigatorische Meisterleistung. Ich – der zweitbeste Navigator der Staffel!
SAZ-Lehrgang August 1972
Der zweite SAZ-Lehrgang für o.g. Gruppe fand mit 20 Bewerbern für die Laufbahn Fallschirmjäger im August statt. Damit sollten sie ihre Grundausbildung mit den 12 Sprüngen abschließen. Der Lehrgang war die letzte Möglichkeit vor der Einberufung. Sonnabend ab 15:00 Uhr Freigabe, Sonntag schlechtes Wetter und Montag bis Sonnabend 15:00 Uhr Flugsperre bzw. 300 m Höhenbegrenzung bei besten Sprungwetter – ohne ein Flugzeug am Himmel.
Da platzte uns der Kragen und wir wandten uns mit einem Schreiben an den Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Hoffmann. Wir – die ehrenamtlichen FS-Lehrer Alfred Dathe, Herbert Gauernack, Christian Füssel und Heinz Großer. Natürlich haben wir das alles bisschen politisch aufgezogen – mit Parteizugehörigkeit, Dienstgrad als Reservist, Funktion bei der GST und betrieblicher Tätigkeit. Wir – als Bestandteil der Landesverteidigung! Die Hauptamtlichen waren entsetzt. Es gab daraufhin eine Aussprache beim BV mit zwei hohen Offizieren aus dem Ministerium. Geändert hat sich danach nichts.
Außer, dass wir nun erfuhren, dass neben den Großenhainern noch das sowjetische 239. Garde-Hubschrauberregiment bei Brandis mit Mi-4, Mi-6, Mi-8 und Mi-10, die NVA-Jagdflieger aus Preschen mit Strecken und Erdschießen auf den nahen Truppenübungsplatz Zeithain und die NVA-Transportflieger aus Dresden-Klotzsche den Himmel über Riesa beanspruchten. Da war für uns kein Platz mehr.
Also mussten die Kameraden anderweitig beschäftigt werden. Das BAZ hatte jede Menge TSM (= Truppenschutzmaske) erhalten. Nun wurde das sachgerechte Anlegen der Schutzmaske „bis zum Vergasen“ geübt und unter der TSM marschiert und auch gerannt. Außerdem hatte OI Uwe Hübner hinter Poppitz eine breite Stelle in der Jahna ausgesucht, wo das Überqueren des Flüsschens auf einen Seil geübt wurde. Dazu wurde ein altes Schleppseil der Segelflieger zwischen zwei Bäumen befestigt. Die Seilstrecke war ca. 20 m lang. Üblich ist wohl das sogenannte „Schweinehangeln“. Dabei hängt der Kamerad unter dem Seil, schlägt wechselseitig die Beine um das Seil und hangelt sich mit den Armen vorwärts. Das ist ziemlich anstrengend.


Bild 23 – „Schweinehangeln“,
Bild 24 – Gleiten auf dem Seil.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Hübner hatte vom Bataillon eine andere Methode mitgebracht: Der Fallschirmjäger liegt auf dem Seil. lässt ein Bein zur Stabilisierung hängen und schiebt sich mit dem anderen angewinkelten Bein vorwärts. Gleichzeitig ziehen die Hände mit. Das Ganze ist kraftsparender, erfordert aber etwas Balance und Geschick. Angeblich könnte man in dieser Lage auf dem Seil sogar schießen. Beide Varianten wurden ausgiebig trainiert – ohne und mit Schutzmaske und Rauchkörper. Wobei man beim Gleiten auf dem Seil Obacht geben musste, dass man den Schlauch von der Schutzmaske nicht am Seil einklemmte. Da war auf einmal die Luft weg.


Bild 25 – Gleiten unter „erschwerten Bedingungen“.
Bild 26 – Gleiten unter der Truppenschutzmaske (TSM).
(Bildquellen: Heinz Großer)
Auf die 20 m hing das Seil bei den schweren Jungs natürlich durch. Wer beim Schweinehangeln nicht den richtigen Beinschlag beherrschte, wurde schon mal nass. Und wer beim Gleiten von Seil fiel – auch. Und zu Krönung meldete sich Freiwillige, die sich mit Gleiten über das Seil wagten, während das in kräftige Schaukelbewegungen versetzt wurde. Wer drüber kam oder am längsten drauf blieb, war der Sieger. Wer das nicht schaffte, fiel ins Wasser. Die Tarnfleckenkampfanzüge wurden in der prallen Augustsonne schnell trocken.
Eine andere Übung von Hübner war Tarnen des Fallschirmjägers im Gelände. Dazu nahm er sich drei Kameraden und verschwand mit ihnen in dem mit Buschwerk und kleinen Bäumen bewachsen Hügel zur Scheune des Volksgutes zu. Nach zwei Stunden kam er allein zurück. Wir sollten die drei finden. Wir fanden sie nicht. Nur unberührte Natur. Die drei hatten sich an verschiedenen Stellen eingegraben und so getarnt, dass man sie nicht sehen konnte.
Unter den Laufbahnbewerbern befand der Kamerad Pfitzner, ein recht vorlauter und aufmüpfiger Bewerber, der ständig die ganze Ordnung und Disziplin des Lehrgangs störte. Einfach nach Hause schicken konnten wir ihn nicht, er sollte ja im Oktober zur Armee. Schließlich hatte Christian Füssel so die Schnauze voll, dass er ihn sich für eine „Sonderbehandlung“ schnappte und mit ihm in Richtung Elbe verschwand. Nach 3 Stunden kam Pfitzner völlig geschafft wieder – und recht kleinlaut. Ab da hatten wir keine Probleme mehr mit ihm.
Wir nutzen die Flugsperre zum Abbau des alten Pendelgerüsts und zum Aufbau der neuen Fallschirmjägerbahn. Für die Montage der Teile gab es eine Bauanleitung. Die Abmessungen der Grube für den Hauptmast sollte 1 x 1 m und 1,5 m tief betragen. Also hieß es schachten. Der Mast sollte in einem „Packlager“ einbetoniert werden. Keiner wusste, was ein Packlager ist. Nur Kamerad Pfitzner, der war gelernter Baufacharbeiter. Er meinte, ein Packlager bestände aus großen Steinen, mit denen der Mast in der Grube verkeilt – quasi „eingepackt“ – wird. Wo sollten wir große Steine hernehmen? Die Elbe führte Niedrigwasser und an dem trocknen Uferstreifen gab es jede Mengel große Kieselsteine und Felsbrocken. „Je größer, umso besser“, meine Pfitzner. Also faustgroß bis Fußballgröße. „Aber es darf keine Erde dran sein“. Also wuschen wir die Steine in der Elbe – eine ganze Wagenladung für die 1,5 m3. Dann noch eine Fuhre Sand aus der Sandgrube am Volksgut.
Dann wurde mit vereinten Kräften der Mast aufgerichtet und fixiert und die ganze Wagenladung voller Steine so in die Grube geschmissen, dass der Mast richtig verkeilt wurde. Unter Anleitung von Pfitzner wurde in einem großen Bottich Sand und Zement gemischt, umgerührt und mit Wasser versetzt. Und mit mehrere Bottiche dieses dünnflüssigen Betons die Grube verfüllt. Der sickerte durch alle Ritzen unsers Packlagers und wir waren abschließend sehr stolz auf unser Werk. Nun musste der Beton nur noch aushärten – mindestens 3 Tage, meinte Pfitzner. Bis Ende des Lehrgangs wurde die Montage abgeschlossen. Mit der Belastung der Bahn wollten wir aber erst noch warten.
Das erfolgt dann in dem ersten Lehrgang im nächsten Jahr. Und dabei riss das Fundament und der Mast wackelte bedrohlich. Ob das mit den großen Kieselsteinen Quatsch war, ob der Sand zu lehmig war oder ob die Betonmischung nicht stimmte? Vielleicht war das alles Pfitzners Rache für die „Sonderbehandlung“ durch Füssel. Wer weiß? Jedenfalls mussten dann richtige Bauarbeiter ran, das Fundament aufbrechen und neu betonieren.
Auch mit diesem Jahrgang erfolgte an einem Wochenende im Oktober Anfang Oktober eine Abschlussübung. Sie begann mit einem Absprung in „unbekannte Gelände“ in Riesa-Canitz. Leider konnte ich da nicht mitspringen. Ich laborierte mit meinem Beinbruch auf den Elbwiesen und fungierte in Canitz als Sprungleiter und Lehrer Landeplatz. Es folgte ein Eilmarsch über 15 km mit Überwindung der Jahna auf dem Seil, einen KK-Schießen auf dem Schießstand in Heyda und einem abschließenden Sturmangriff quer über den Flugplatz mit Rauchkörper und Schutzmaske.




Bild 27 – Sammeln nach der Landung und anvisieren der ersten Teilstrecke.
Bild 28 – Marschpause nach 10 km Eilmarsch.
Bild 29 – Überwindung der Jahna als Gruppe auf dem Seil.
Bild 30 – Sturmangriff“ unter Schutzmaske.
(Bildquellen: Heinz Großer)
Als „Agenten“ gegen die Kampfgruppe 1973
Von Fallschirmspringern aus anderen Bezirken hatten wir gehört, dass sie Sprünge ins unbekannte Gelände gemacht haben, um als abgesprungene „Agenten“ im Rahmen von Übungen der Kampfgruppen quasi den Gegner darzustellen. Der Trägerbetrieb unserer Grundorganisation Fallschirmsport war das ZFT Robotron (Zentrum für Forschung und Technik). Das hatte eine große Kampfgruppenhundertschaft. Der Kommandeur war Sachsenweger, Leiter der Reisestelle in meinem Bereich Kader, Bildung und Sozialwesen. Da habe ich ihm angeboten, bei einer seiner Abschlussübungen den Gegner zu stellen.
Diese Übung sollte sich in der Dresdner Heide und dahinter zwischen Langebrück und Liegau-Augustusbad abspielen. Nach einem längeren Geländemarsch durch die Heide mit diversen Einlagen sollte die Einheit bei Liegau-Augustusbad einen Bereitstellungsraum beziehen. Dann würden sie die Nachricht erhalten, eine Gruppe feindlicher Agenten wäre irgendwo abgesprungen und sie sollten in einer breiten Linie verhindern, dass die Agenten in Richtung Radeberg durchbrechen.
Ich hatte mir vorher mit Oberinstrukteur Uwe Hübner als möglichen Landeplatz in der Mitte der Dresdner Heide die Hofewiese ausgeguckt. Da gab es ein Feld von 250 x 200 m. Das dürfte für RL-3/5 und PTCH-8 kein Problem darstellen. Diese „Sprungveranstaltung“ wurde für den 13.10.1973 genehmigt. Wir hatten an dem Wochenende den Abschlusslehrgang der Laufbahnbewerber am BAZ. Es waren genügen Lehrer am Platz. Einige reisten extra an, um sich einen Sprung ins „unbekannte Gelände“ und das Spektakel, mal Agent zu sein, nicht entgehen zu lassen. Wir hatten also eine 10 Mann starke Gruppe von „Agenten“ zusammen.
An dem Sonnabendfrüh kam wirklich die Flugfreigabe. Aber im Elbtal herrschte dichter Nebel. Und der Flugwetterbericht versprach kaum eine Besserung. Nun trat die Schlechtwettervariante in Kraft. Das ZFT schickte uns einen Barkas (Minibus für 7 Personen + Fahrer). Als klar war, das nicht gesprungen wurde, kniffen meine Agenten: Nur Rumlatschen war ihnen zu öde. Lediglich Bernd Heinemann und Rudi Schenk wollten noch mitmachen. Als suchten wir aus den Laufbahnbewerbern die 4 Agilsten aus und fuhren mit den Barkas zur Hofewiese. Der Barkas hatte durch den dichten Nebel von Dresden nach Riesa und wieder zurück so viel Zeit verbraucht, das sich unser geplanter „Absprung“ um eine ganze Stunde verschob. Sachsenwegers Zeitplan kam durcheinander. Irgendwie musste er ja seine 100 Kämpfer beschäftigen.
Wir kommen auf der Radeberger Straße hinterm Fischhaus aus dem Elbtal raus – strahlenblauer Himmel. Den ganzen Tag strahlend blauer Himmel, nur im ganzen Elbtal nicht. Auf der Hofwiese übergab uns der Fahrer 7 Kalaschnikows und je ein volles Magazin mit Platzpatronen sowie ein Sprechfunkgerät. Damit meldete ich Sachsenweger unseren „Absprung“. Der war schon sauer, seine Kämpfer lagen schon in Stellung. Wir sollten uns beeilen. Mit dem Sprechfunkgerät wollte er mir weitere Regieanweisung geben, aber ich schaltet das Gerät aus: Seit wann empfangen Agenten Anweisungen vom Gegner.
Nun musste ich noch mit meinen Laufbahnbewerbern eine kurze Einweisung in die Kalaschnikow machen. Die hatten bisher ja nur mit dem KK-Gewehr geschossen. Und dann rannten wir los – 7 Mann mit Kalaschnikow und im Tarnfleckenanzug. Als „Kommandeur“ trug ich meinen „Ein Strich-kein Strich“. Anhand der Wanderkarte der Dresdner Heide und meinem Kompass bestimmte ich die Richtung: Quer durch den Wald zum Waldbad Langebrück. Laut Sachsenwegers Konzept sollten wir uns als geschlossene Gruppe über das freier Feld parallel zur heutigen S 180 auf den breiten Waldstreifen vor Liegau-Augustusbad zu bewegen. Dort käme es dann zu einem „Gefecht“, in deren Ergebnis wir gefangen genommen werden.
So leicht wollte ich es meinem Genossen Sachsenweger nicht machen. Wir teilten uns in 3 Gruppen auf: Heinemann und Schenk sollten getrennt mit je einem Bewerber, den „Feind“ rechts umgehen, während ich mit den beiden restlichen Bewerbern über das offene Feld auf den Waldstreifen zu lief. Und da verlor einer der Kämpfer die Nerven und eröffnete das Feuer: Ohne Befehl – ein Skandal! Wir waren noch viel zu weit weg. Also schwärmten wir zu dritte aus, gingen in Stellung und erwiderten das Feuer. Nun ballerte die ganze Front. Bei kurzen Feuerstößen sind die 30 Schuss schnell raus. Also legten wir die Waffen beiseite und ergaben uns mit erhobenen Händen.
Als die ersten Kämpfer uns erreichten, staunten sie nicht schlecht, ihren Leiter der Abteilung Bildung als „Agent“ festnehmen zu müssen. Und das taten sie dann richtig. Während meinen beiden Jungs Zigaretten angeboten wurden, warfen sie mich auf die Erde, fesselte mir die Hände auf den Rücken mit Kabelbinder, „filzten“ mich und zerrten mich zum „Stab“.
Sachsenweger war mehr als sauer. Zwar hatte sich Rudi Schenk mit seinem Jungen „weisungsgemäß“ gefangen nehmen lassen. Aber Bernd Heinemann war während des Gefechtes durch die Linien geschlichen und hatte mit „Hände hoch oder ich schieße“ den Stab überfallen. Das schlimme war, er hatte seinen Begleiter verlorenen. Nun irrte der arme Junge im Kampfanzug und Kalaschnikow durch eine Gegend, die er nicht kannte und wusste nicht, wo der Sammelpunkt war.
Inzwischen ließ Sachsenweger die Truppe sammeln und in Richtung Schönborn auf eine Brache marschieren. Dort standen die H3A, die die Kämpfer zurück nach Dresden bringen sollten. Und dort stand auch mein verlorengegangener Laufbahnbewerber – mir fiel ein Stein vom Herzen. Er hatte von weiten die Lkw-Kolonne kommen sehen und war ihr gefolgt.
Nun gab es Kaltverpflegung – und Waffenreinigen war angesagt. Viele Kollegen aus dem ZFT staunten, mich mal nicht in Anzug und mit Schlips zu sehen. Selbst mein Direktor Herbert Reller guckte mich ganz verdutzt an: „Was machsten du hier?“ „Ich habe gegen dich gekämpft“. „Ich habe nur im Busch gelegen und keinen Feind gesehen.“ Die Abschlussübung hatte 2 Std. länger gedauert und das Schlimmste war: Die Genossen Kämpfer verpassten das Oberligaspiel von Dynamo Dresden im Fernsehen.
Sachsenweger würde wohl nie mehr gegen Fallschirmjäger kämpfen wollen, außer beim Sommersportfest des ZFT im Militärischen Mehrkampf.