"Erinnerungen von Claudia"

Claudia Werberger, geb. Kaden
– Bezirksaubildungszentrum Riesa –

Im Juni 1963 geboren, begann Claudias Karriere im Fallschirmsport 1979 mit der theoretischen Ausbildung. Sie machte am 19. August 1979 in Riesa ihren ersten Fallschirmsprung. Bereits ein Jahr später hatte sie die Fallschirmsprunglizenz in der Tasche und nun begann ein neues Kapitel in der Springerei. In den nächsten Jahren erwarb sich Claudia Berechtigungen im Nachtsprung, die Lehrberechtigung, Berechtigungen im Figuren- und Formationsspringen sowie zur Durchführung von sogenannten Loopingsprüngen. Letzteres konnte sie ganze 23x den begeisterten Zuschauern auf verschiedenen Flugplätzen vorführen.
Claudias größte sportliche Erfolge waren u.a. der 2. Platz im Einzelzielspringen beim Siegfried-Rädel-Pokal 1987 in Pirna sowie der 1. Platz im Einzelzielspringen und der 2. Platz in der Gesamteinzelwertung in der Kategorie Wehrsportler (Frauen) bei der 24. DDR-Meisterschaft im Fallschirmsport 1989 in Halle-Oppin. Am 11.07.1987 wurde ihr das 530. Fallschirmsprungleistungsabzeichen in Silber verliehen.
Auch nach der Wende konnte Claudia ihr Hobby weiter ausüben. Im Sommer 2000 schwebte sie das letzte Mal am Schirm vom Himmel, es war ihr insgesamt 1220. Fallschirmsprung.
Beide folgenden Erlebnisberichte sind der Chronik der GST-Grundorganisation Fallschirmsport Robotron des BAZ Riesa entnommen worden.
Fallschirmsprünge bei Nacht
Vom 17.10. – 22.10.1982 erlebten wir in Eilenburg einen nicht alltäglichen Sprunglehrgang. Wir fuhren zum Nachtspringen. Untergebracht waren wir im GST-Objekt Schkeuditz. Wir bekamen jeder drei Sprungfallschirme RS-8, damit wir nachts nicht packen brauchten und der Sprungbetrieb zügig durchgeführt werden konnte.
Vormittags packten wir vor dem Objekt unsere Schirme. Nach dem Mittagessen hielten wir Mittagsruhe. Gegen 15:00 Uhr ging´s los in Richtung Eilenburg, das eine gute Stunde Busfahrt von Schkeuditz entfernt war. Die Schirme wurden im Bus verstaut. Der Busfahrer sorgte für gute musikalische Unterhaltung. So kamen wir in bester Stimmung in Eilenburg an. Wir konnten uns den Flugplatz und seine nähere Umgebung noch bei Tage ansehen. Doch nachts sah man von ihm recht wenig. Als sehr unangenehm empfanden wir den Zaun, der um das Gelände gezogen war. Zum Teil wurde er beleuchtet, wie auch das Objekt, die Start- und Landebahn, unsere Aufenthaltszone und der Sandkasten. Die dunkle Fläche hinter dem Flugplatz bildete den Wald.
Wir waren drei Sprunggruppen. Die erste Sprunggruppe machte einen Dämmerungssprung, der einen wunderschönen Eindruck von der Landschaft um Eilenburg hinterließ.
Ein Fallschirmsprung bei Nacht ist recht eigenartig, das Gefühl ins „Nichts“ zu fallen, verstärkt sich durch die völlige Dunkelheit, die einen umgibt. Nach einigen Sprüngen hat man aber etwas an Sicherheit gewonnen und findet sich mit den Lichtern unter sich besser zurecht.
Die Anflugrichtung änderte sich in den paar Tagen kaum (bis auf den letzten Tag). Rechts sahen wir die Lichter der Stadt Eilenburg, unmittelbar vor uns die beleuchtete Eisenbahnstrecke, links das Objekt und die roten Lichter der Stadt- und Landebahn. Typisch für die Wetterlage auf diesen Flugplatz war der „Windknick“. In etwa 300 – 500 m Höhe änderte sich die Windrichtung um einige Grad. Die Berechnung der Abdrift gewann zunehmend an Bedeutung.
Wir machten überwiegend Gruppensprünge. Vor dem Abgang „zündeten“ wir all unsere Lichter an, das Blinklicht am Helm, den Kasten von Stoppuhr und Höhenmesser und die Taschenlampe, die wir links am Rettungsgerät befestigt hatten. Mit ihr führten wir nach der Öffnung des Fallschirms die Kappenkontrolle durch. Einen Gruppensprung konnten wir sogar aus über 2.000 m durchführen. 30 Sek. freier Fall und dazu noch nachts – ein herrliches Erlebnis.
Der Sprungbetrieb verlief bis auf ein paar Landungen in der Start- und Landebahn und einer nahe dem Zaun die ganzen Tage bzw. Nächte ohne besondere Vorkommnisse. Auch der Krankenwagen, der neben der Aufenthaltszone in Bereitschaft stand, kam nicht zum Einsatz. Aber am letzten Tag benötigten wir doch noch die „Männer mit den Äxten und Sägen“. Der Wind vom Boden wehte vom Walde her, die Anflugrichtung war also der Wald. Die Windrichtung drehte sich jedoch in etwa einer Höhe von 100-200 m um 900 und später noch extremer um 1800. Das merkten wir erst, als die ersten schon am Schirm hingen. Beim Gruppenzielspringen hatten natürlich die letzten Springer das Nachsehen. Die ersten kamen mit Mühe und Not über den Zaun und erreichten den Platzrand.
Auch unsere Sprunggruppe flog den Wald an. Wir überflogen den Waldrand und noch ein Stückchen weiter. Wir hatten ja keine Ahnung. Dann sprang der erste Springer und wir folgten ihm. Vor mir Katrin, ich bildete den Schluss. Öffnungshöhe war ungefähr 700 m. Der Flugplatz war in greifbarer Nähe, zumindest am Anfang. Katrin und ich hingen über dem Wald und kamen nicht vorwärts. Aber dafür abwärts. Ich machte mich schon langsam mit den Gedanken vertraut, im Wald zu landen und überlegte, wie hoch eigentlich Nadelbäume sind, damit ich besser einschätzen konnte, wann ich etwa mit den Baumwipfeln zu rechnen hatte. Doch dann zeigte sich unter uns eine hellere Fläche. Das war die Einflugschneise, die in Verlängerung der Start- und Landebahn lag. Sie bildete unsere Rettung.
Der neue Landeplatz wurde ins Visier genommen und angesteuert, eine Landung ins Ungewisse. Doch landete weich im Unterholz. Ich schaute mich nach Katrin um und rief nach ihr. Sie antwortete mir aus der Nähe. Ich nahm meinen Schirm auf und arbeitete mich zum Zaun vor. Dort gab ich mit der Taschenlampe in Richtung Flugplatz Signal, dass alles in Ordnung sei. Dann sah ich Katrin. Ihr Schirm hatte sich noch über den letzten Baum am Waldrand gelegt. Doch es war nicht schwer, ihn runter zu ziehen. Wir wanderten den Weg am Zaun entlang bis zu einem Tor. Dort wurden wir mit dem GST-Trabi abgeholt.
Zwei Sprünge hatten wir noch vor uns. Aber jetzt war uns schon alles egal und im Flugzeug sangen wir „Der Wald und die Bäume, die Bäume …“. Die nächsten Landungen erfolgten wieder auf dem Flugplatz. Zwei Springer schafften es aber doch noch zur Waldlandung. Einer war so schlau, lief zum Waldrand, ließ aber seine Lampe bei seinem Schirm. Zu guter Letzt hieß es noch „Schirmsuchen“. Jeder nahm seine Taschenlampe. Wir stellten uns in einer Reihe auf und suchten den Wald nach dem Schirm ab. Nach einiger Zeit fanden wir ihn auch.
Durch die Sucherei verzögerte sich unsere Abreise. Wir Dresdner wurden mit dem Bus nach Leipzig gefahren, wo wir den geplanten Zug verpassten. Früh 03:00 Uhr erreichten wir Dresden. Wir waren froh, auch den letzten Sprungtag glücklich überstanden zu haben. Der Lehrgang war körperlich nicht sehr anstrengend gewesen, aber dafür nervlich sehr belastend. Es wurde höchste Konzentration verlangt. Trotzdem, es gab viel Spaß. Einen Nachtsprunglehrgang machen wir gern wiedermal!
Sprung aus dem Looping
Durch Zufall hatte ich das Glück, auserwählt zu sein, eine besondere Flugschaunummer zu proben: den Loopingsprung. Am Vormittag des 09.06.1987 machte ich mich gemeinsam mit Sylvia Seifert mit den theoretischen Grundlagen solch eines Sprunges vertraut. Anschließend packten wir unsere Schirme und schauten uns das Flugzeug etwas genauer an. Wir sollten mit einer Schulmaschine des Typs Z 526-F fliegen. Zusammen mit dem Piloten übten wir das Kabinentraining am Boden. Es war recht eng und unbequem im Vergleich zur AN-2.
Laut Ausbildungsprogramm war als erstes ein 15 Minuten langer Flug vorgesehen. Jedoch noch mit Kabinendach zur Gewöhnung des Fallschirmspringers an den Looping. Ich flog das erste Mal mit solch einen kleinem Flugzeug. Die Gegend um Jahnsdorf sah wunderschön aus. So wie ich sie noch von Sprunglehrgängen in Erinnerung hatte. Ich konnte mir nun die Umgebung in aller Ruhe genau betrachten, besonders die gelben Rapsfelder leuchteten aus der übrigen Landschaft heraus.
Dann gab Gregor, unserer Pilot, ein Zeichen und wir flogen mehrere Loopings. Ich staunte selber, dass ich die 12 Loopings und anschließend noch 3 Rollen so gut überstanden habe. Ich merkte zum ersten Mal, was für eine starke körperliche Belastung ein Kunstflug sein muss. Dabei betrug sie hier nur das 4-fache des Körpergewichts. Nach diesem Flug absolvierte Sylvia dasselbe Programm.
Nun wurde das Kabinendach abmontiert und es folgte ein Flug, bei dem das Umsetzen geübt werden sollte. Da ich vorn saß, konnte ich den Piloten nicht sehen bzw. er mich im Blick haben. Außerdem ist so der Absprung leichter. Beim dritten Flug sollte es nun ernst werden. Noch ein leichter Schlag von Heinz Wolf auf die Schulter: Aller klar? Na klar. Wie sollte es anders sein. Angst hatten wir keine. Beim Start überlegte ich dann doch: Claudia, auf was hast du dich hier eigentlich eingelassen? Ist das nicht ein bisschen verrückt?
Na los, dann werden wir mal sehen, wie so ein Sprung ist. Der Flugwind war erfrischend. Ich hatte mich viel zu warm angezogen. Oder schwitzte ich vor Aufregung so? Schön ruhig bleiben, es ist alles klar. So wie wir es besprochen haben, muss es auch klappen. Da war ich mir ganz sicher und Vertrauen zu Gregor hatte ich auch. Jetzt ein leichtes Wackeln mit dem Querruder. Ich setzte mich um und hockte nun quer in der Maschine – mit der rechten Hand am Griff der vorderen Kabinenhaube und mit der linken Hand am Kabinenrand festhaltend. Ich nickte Gregor zu: Alles in Ordnung. Nun holte er Fahrt auf zum Looping und ich wurde in die Knie gedrückt. Dann ließ der Druck nach. Ich schaute zu Gregor, denn nun musste ich mich noch ganz schön festhalten, bis das Leitwerk vom Flugzeug oben ist. Im oberen Punkt des Loopings sollte ich abspringen. Gregor nickte, das war das Zeichen. Ich drückte mich noch ab. Doch die Schwerkraft zog mich sowieso aus der Maschine. Sehr viel länger hätte ich mich gar nicht halten können. Ich hockte meine Beine an. Kurz danach brachte ich meine Arme nach vorn, machte mich groß und zog den Griff. Der Fallschirm ging auf, die Maschine flog unter mir vorbei.
Ich war „seelisch“. Eine Welle des Glücks überflutete mich. Ich lachte die Welt an. Wieder Boden unter mir, kamen viele Glückwünsche. Ich nahm alles wie im Taumel auf. Ein tolles Erlebnis war das, fast wie der erste Sprung. Es bleibt unvergessen.





Bildquellen: Claudia Werberger (privat)

