
… oder die Anfänge und die Entwicklung des Fallschirmsports in den Nordbezirken
Teil II: Es entwickelt sich (1970-1979)
Kapitel 6: Großflugtag in Magdeburg (1975)
Das Jahr 1975 begann für mich/uns mit einem Sprung in Parchim auf dem Russenplatz aus Anlass des Tages der Roten Luftflotte oder irgendeines anderen militärischen Gedenktages der Sowjets. Vielleicht find ich im Keller noch einen alten Fliegerkalender aus DDR- Zeiten, der Aufklärung bringen könnte. Es war auf jeden Fall der 09.Mai. Anschließend waren wir dann im Offizierskasino zum Mittag eingeladen. Wahrscheinlich gab es die schmackhafte landesübliche Küche.
Was das „dienstliche“ Verhältnis zu den Iwans betraf, war das- wie bereits berichtet- relativ entspannt. Da hatte man es in der Regel mit Offizieren und Berufsunteroffizieren zu tun. Die einfachen Muschkoten spielten keine Rolle. Diese wurden von ihren Vorgesetzten ohnehin als reines Verschleißmaterial angesehen und auch so behandelt. Die armen Kerle konnten einem einfach nur leidtun. Es fiel auch dem überzeugtesten Funktionär schwer, zu erklären weshalb die Offiziere der Armee eines Landes, das nach eigenem Bekunden kurz vor der klassenlosen Gesellschaft stand, einen Burschen brauchten. Der kleine Iwan revanchierte sich dadurch, dass er alles verscheuerte, was nicht niet- und nagelfest war. (Besonders beliebt bei den Anwohnern waren die herrlichen dunkelblauen Segeltuchjacken mit Schaffellfutter, die sogenannten „Kraweikas“). Allerdings nahm er außerhalb der Kaserne auch alles mit, was sich irgendwie verwenden ließ.
Hier muss ich zu diesem Thema eine Geschichte einfügen, die Helmut Pieske erzählte: Helmut wohnte damals in Ludwigslust irgendwo auf der Rückseite des Russenobjekts in einer Vorstadtsiedlung, in der sich auch eine Sippe von Sinti und Roma (damals sagte man noch Zigeuner) angesiedelt hatte. Als eines Tages einige Angehörige der sowjetischen Streitkräfte über die Mauer kletterten und bei den Z…… etwas entwendeten, war der Sippenälteste aber richtig sauer: Es könne doch nicht angehen, dass nun schon die Z…. beklaut würden, das wäre doch gegen jede Regel und könnte nur das baldige Ende jeder staatlichen Ordnung und den Weltuntergang bedeuten.
Aber entschuldigt den kleinen Ausflug in die Völkerkunde, ich kehre jetzt wieder zur Springerei zurück. Höhepunkt jenes Jahres war zweifellos der Großflugtag in Magdeburg, der anlässlich Wehrspartakiade der GST stattfand.
Ich habe im ersten Teil schon darüber berichtet. Um dem Leser das Blättern bzw. Scrollen zu ersparen, habe die entsprechende Passage kopiert und hier noch mal eingefügt.
Im August 1975 war Großflugtag der GST in Magdeburg. Da wurde alles zusammengetrommelt, was fliegen und springen konnte. Ich will hier nicht über den ganzen Flugtag berichten, auch über nicht die Story mit dem Rauchkörper, den einer von den blöden Magdeburger über der Stadt in der Antonow zündete, sondern nur über eine Episode, die sich eigentlich am Rand abspielte, vor etwa 10 bis 20 Augen- und Ohrenzeugen.
Es war am Sonntag, dem Tag der eigentlichen Veranstaltung und zwar vormittags, dabei ziemlich dunstig. In Vorbereitung der Flugschau waren in einer Ecke bei der Halle die Experten dabei, mittels Theodoliten und Pilotballon (für den Nichteingeweihten: das ist ein Gummiballon von ca. 1m Durchmesser, ungefüllt sieht er aus wie ein Elefantenpräser) den Höhenwind zu bestimmen. Oberexperte war der allseits bekannte und beliebte Freund Vinzenz aus Karl- Marx- Stadt von dem schon im 5. Kapitälchen die Rede war.. Der erste Versuch ging schief. Es war das Problem der ostfriesischen Kriegsflagge: Weißer Adler auf weißem Grund. Wegen des tief liegenden Dunstes (s. o.) war der weiße Ballon bei 100 m schon nicht mehr zu erkennen. Flugs wurde sozusagen ein Arbeitskreis gebildet, der hier mögliche Lösungsvarianten diskutierte, selbst ernannter Vorsitzender war natürlich Vinzenz. Ich stand mit einigen anderen Nichtstuern nur so rum und wurde damit zum Zeugen des nachfolgenden Ereignisses. (Bevor ich weiter berichte, empfehle ich dem Leser eben auf dieses Kapitel 5 zurückzugehen um die dort gegebene Beschreibung von Vinzenz aufzufrischen, was nachfolgend von einiger Bedeutung sein wird, wobei noch zu ergänzen ist, dass er leidenschaftlicher Stumpenraucher war und einen solchen gerade im Mundwinkel hatte, gehe also noch mal zurück zu Bild 12).
Der Variantenvergleich endete damit- im Gespräch war zum Beispiel auch der Vorschlag, den Ballon einzufärben- dass Vinzenz seine Variante einstimmig annahm, die darin bestand einen Rauchkörper dranzuhängen, dann würde das schon klappen. Wie beschlossen- so ausgeführt. Der Ballon wurde gefüllt, der Rauchkörper drangehängt und in Startposition gebracht. Vinzenz zog noch mal an seinem Stumpen um richtige Glut zu erzeugen.
(Bevor er nun den Zünder in Brand setzt und die Ereignisse ihren verhängnisvollen Verlauf nehmen, muss auf einige grundlegende chemische Zusammenhänge hingewiesen werden, die V. in diesem Moment zum eigenen Schaden ignorierte: Wasserstoff + Sauerstoff= Knallgas, Knallgas + Feuer= Explosion). Und so kam es auch. Der Zünder zischte kurz, dann tat es einen gewaltigen Schlag. Vinzenz stand da, wie die Kuh wenn’s donnert. Seine runden Augen traten zentimeterweit aus dem Kopf und vor kindlichem Erstaunen stand sein Mund offen, ihn bewegte augenscheinlich ganz stark die Frage: „Was war das, wo ist er denn (der Ballon)?“.
Als nach einigen Sekunden der Stille klar war, dass der Betroffene – gleichzeitig auch der Verursacher – keinen größeren Schaden genommen hatte, gab es eine zweite Explosion. Die Umstehenden heulten vor Lachen auf, hielten sich die Bäuche und wälzten sich am Boden. Das ging minutenlang so weiter. Einen zusammenhängenden Bericht über das Geschehene zu erhalten, war für Außenstehende in den nächsten Stunden nicht möglich. Das hätten selbst die Jungs vom MfS in diesem Moment nicht geschafft. Schon auf die bloße Frage hin, was denn eigentlich geschehen wäre, antworteten die Zeugen mit neuem Gelächter, so dass der Fragesteller mit der Feststellung: „Ihr seid ja blöd!“, die Sache aufgab. Wenn ich daran denke, bekomme ich heute- nach mehr als 30 Jahren- noch einen Lachkrampf, wenn ich mir das dumme Gesicht vorstelle. So war es auch eben.
Die Sache mit dem Rauchkörper in der Antonow passierte beim Trainingssprung zu unserem Programmpunkt. Wir sollten zusammen mit den Magdeburgern einen sogenannten Fächersprung machen. Dahinter verbarg sich folgendes: Aus zwei parallel fliegenden An-2 springt in 2000m jeweils eine Gruppe a‘ 10 oder 12 Mann, links Magdeburg mit Rauchkörper rot, rechts Neustadt mit Rauchkörper blau. Zehn Sekunden liegen alle in Flugrichtung, drehen um 90°, tracken dann und kreuzen die Flugbahn der anderen Gruppe, so dass bei Öffnung Magdeburg rechts und Neustadt links hängt. Wer das ersonnen hat, weiß ich nicht mehr, von unten soll es dann aber nicht schlecht ausgesehen haben.
Die Sache sollte vorher zu mindestens einmal geübt werden. Die beiden Maschinen starteten und machten eine große Rechts- Biege über die Innenstadt. Als diese erreicht war, kam ein Schwachkopf von den Magdeburgern auf die Idee, an seinem Rauchkörper herumzufummeln und ihn vorzeitig zu zünden. Ruck- zuck war die Bude in diesem Fall rot und nicht blau. Die Besatzung machte die Tür zum Cockpit zu und überließ die Springer ihrem Schicksal. Diese hielten es nicht lange aus, da der Rauch doch ziemlich atemwegsreizend war. Man war- wie erwähnt- mitten über der Innenstadt in vielleicht 1000m oder tiefer. In den Zentren von größeren Städten sind ordentliche Landeflächen eher selten, also gab es eine Menge kniffliger Außenlandungen. So landete einer mitten auf dem vielbefahrenen Hasselbach- Platz, ein anderer in den Kistenstapeln eines Getränkehandels. Aber es ging ohne Verletzungen ab.
Uns, in der zweiten Maschine ging es auch nicht viel besser. Wegen des möglichst synchronen Abgangs sollte das Absetzkommando vom Boden aus gegeben werden. Der „Absetzer“ ließ sich alle Zeit der Welt (wahrscheinlich funkte er mit der Anna der Magdeburger), so dass wir viel zu weit draußen über einem riesigen Maisfeld westlich der heutigen B 71 waren, als das Kommando ertönte. Ich hatte als erster Springer noch Glück und schaffte es gerade noch so über die Straße und den Zaun auf den Platz. Der Rest ging fast ausnahmslos in den Mais, der im August doch schon recht hoch war. Sich dort herauszuarbeiten war eine schweißtreibende Angelegenheit.
Der ursprünglich geplante zweite Trainingssprung musste ausfallen. Während sich die eine Truppe aus dem Maisfeld herauswühlte und unter dem Gelächter der Springer aus den anderen Bezirken reichgeschmückt mit Maisblättern aber mit hängenden Ohren und durchgeschwitzten Klamotten auf den Platz zurückkehrte, war die andere auf dem Heimweg aus der Stadt um anschließend die Maschine und sich selbst zu reinigen; beide (Maschine und Springer nebst Schirmen) sahen aus, wie nach einem Blutbad.
Am Tag des eigentlichen Ereignisses und vor einer Menge Zuschauer (es war von 200.000 die Rede) klappte die Sache trotzdem und soll wie gesagt recht eindrucksvoll gewesen sein (s. Bild 27).
Der springerische Programmteil endete dann mit dem beliebten Massenabsprung. Ich weiß nicht mehr genau, ob es 6 oder 8 Antonow waren, auf jeden Fall war eine Menge Schirme in der Luft.
Ich erinnere mich auch noch an einen sehr lautstarken Programmpunkt, den Start einer MIG- 21 mit Starthilfsraketen. Als der Pilot diese Dinger zündete, gab es ein beeindruckendes Feuerwerk, begleitet von einem wahrhaft infernalischen Gedonner. Allerdings musste man bei der Aktion etwas bescheissen. Als die Maschine nämlich am Vortag auf dem holperigen Rasenplatz gelandet war, brach das Bugfahrwerk. Also wurde sie (die Maschine) nachts mittels Tieflader abtransportiert und auf gleichem Wege heimlich durch eine einsatzbereite ersetzt.
Anlass der ganzen Veranstaltung war die Wehrspartakiade der GST. Die Neustädter Mannschaft wurde- wie dann auch in den Folgejahren- von Kalle als „Chef de Mission“ angeführt. Teilnehmer waren lt. Kuddel: Dieter Schulz genannt „Kotzer“, Dietmar Beckmann, Matthias Horn und Joseph Mikula. Bei den sonstigen Disziplinen waren sie wohl eher mäßig, belegten aber im Gruppenzielsprung den ersten Platz. Zu seinen unappetitlichen Spitznamen war der Dieter u.a. dadurch gekommen, dass er mir einmal in der Maschine, als ich gerade wegen Absetzerei aus der Tür guckte, von hinten in die Hacken kotzte. Er hatte am Vorabend wohl das eine oder andere Bier zu viel getrunken. Ein zweites Mal wurde er in dieser Beziehung auffällig, als er beim Wettkampf nach dem 3000m- Geländelauf scheinbar Blut spie. Kurt hatte richtig Schiss. Dann stellte sich aber heraus, dass es sich um rote Weintrauben handelte, die „der Kotzer“ im Übermaß in sich hineingestopft hatte und die nun wieder ans Tageslicht wollten.

Bild 27: Sprung mit Rauchkörper während des Großflugtages anlässlich der II. Wehrspartakiade der GST in Magdeburg
(Bildquelle: Fliegerrevue 03´1976)
Dass ich mit einer gewissen Schadenfreude über eine weitere Panne der Magdeburger in jenem Jahr berichte, hängt mit deren ziemlicher Großfressigkeit zusammen. Wie alle Bewohner größerer Städte betrachteten sie die einfachen Hengste von Lande mit einer gewissen Geringschätzung und hielten sie für durchweg unterbelichtet. Umso größer war die allgemeine Freude, als sie plötzlich die Deppen waren. An dem bewussten Tag- es ging schon in Richtung Sonnenuntergang bzw. Sunset- wollten sie in allerletzter Minute noch schnell einen Gruppensprung aus 600m machen. Also rein in die Kiste, eine Biege auf 600m, alle raus und alle rein, nämlich in den Wald. Der erste Springer an der Tür war zwar der schwerste, aber nicht der blickigste. Er sprang viel zu spät und die anderen hinterher. Am Schluss hingen alle in den Kiefern in Richtung Forsthaus Wabel und alsbald schallte der fröhliche Klang von Äxten und Sägen durch den sonst stillen Tann. Es dauerte ein paar Stunden bis alle gesucht, gefunden und geborgen waren.
Jetzt wird es ein bisschen persönlich und auch politisch. Wer darauf keine Lust hat, kann die folgenden Absätze überspringen und gleich mit Kapitel 6 weitermachen.
Das Saisonende 1975 war für mich nicht lustig, da mir mitgeteilt wurde, dass ich zukünftig für den Flugsport nicht mehr zugelassen würde. Das war ab 1962 erforderlich. Wie damals üblich, gab es keinerlei Begründung. Es war aber klar, dass diese Sperre eine Folge des Fernflugs Neustadt- Hamburg- Fuhlsbüttel des Kameraden Bader aus Stralsund im Vorjahr war (s. Kapitel 4).
Auch beruflich traf es mich. Ich arbeitete damals beim VEB (Volkseigener Betrieb) Bohrlochmessung in Gommern nahe Magdeburg, also in der Erdöl- und Erdgaserkundung. Da in dieser Branche alles streng geheim also „top-secret“ war, brauchte man eine sogenannte VS- Genehmigung, d. h. die Erlaubnis mit Vertraulichen Verschlusssachen, also den allergeheimsten Geheimnissen arbeiten zu dürfen. Plötzlich und unerwartet war diese auch weg, natürlich auch ohne Begründung.
Zwischen beiden negativen Ereignissen bestand wahrscheinlich oder sicher ein Zusammenhang. Bei der Durchleuchtung meiner Person waren die Genossen des für solche Fragen zuständigen staatlichen Organs (MfS/Stasi) wohl zu der Einschätzung gelangt, dass ich ein unsicherer Kantonist sei, also nicht auf der Linie von Partei und Regierung außerdem geneigt, bei passender Gelegenheit die Fliege zu machen. Was den ersten Punkt betraf, lagen sie schon richtig, beim Punkt 2 nicht. Schließlich hatte ich Familie und war nun einmal ein bodenständiger Heimscheißer.
Der Entzug der VS- Genehmigung kam einem Berufsverbot gleich, soweit es die Erdöl-/ Erdgaserkundung betraf, in der ich 10 Jahre gearbeitet hatte. Ich musste mir einen Job in einer Branche suchen, in der es keine so hohen Sicherheitsanforderungen gab und in der so ein krummer Hund wie ich noch unterkommen konnte. Das war die Baustoffindustrie. Ich hatte Glück, fand einen neuen Job in der Nähe von Rostock als Betriebsgeologe, musste mich aber völlig neu einarbeiten. Es war ungefähr so, als wenn ein Arzt für Frauenheilkunde auf Chirurgie umsteigen muss.
1975 gab es auf dem Platz noch eine Sache, die auch „politisch“ war, allerdings nicht die Springerei, sondern die Technik betraf. In jenem Jahr hatte sich ein Wessi mit seiner Cessna verflogen. Er war wohl in Dänemark gestartet und fand sich bei schlechtem Wetter orientierungslos über dem schönen Mecklenburger Land wieder. Als er unter sich einen großen Flugplatz sah, landete er. Es war Parchim und das Bodenpersonal sprach russisch. Irgendwann kam er wieder frei, das Maschinchen blieb aber erst mal stehen. Die Neustädter Mechaniker wurden nun mit der Rückführung beauftragt. Überführungsflug nach Parchim ging wegen fehlender Erlaubnis für Cessna nicht, so dass die Kiste demontiert, per Tieflader zum Platz transportiert und in der Ziegelhalle erst mal deponiert werden musste. Bis es für das Flugzeug endgültig in Richtung Heimat gehen konnte, war eine Menge innerdeutscher diplomatischer Verhandlungen erforderlich. Nach einigen Wochen ging es dann wieder auf den Tieflader und mittels dessen in die Heimat. Dank der damaligen politischen Lage wurde also aus einem Problemchen, das man mit einem Überführungsflug von 20 Minuten hätte lösen können, eine Haupt- und Staatsaktion.
Kapitel 7: Sprünge ins Wasser und Zwangspause (1971)
Natürlich ging es auch ohne mich weiter und das sogar richtig gut, ein Umstand der mir im Nachhinein eigentlich zu denken geben sollte. Neben dem üblichen Sprung- und Ausbildungsbetrieb hatten Kurt und Heinz Wolf (oder umgekehrt) Wassersprünge im Juli im Neustädter See organisiert (s. Bild 28). Kurt erwarb bei dieser Gelegenheit sogar die Lehrerlizenz für Sprünge in das kühle Nass. Anm.: Lt. Kalles Sprungbuch soll es aber bereits im Juni 1967 Wassersprünge gegeben haben und zwar in den Woker See in Parchim. Ich war nicht dabei, habe das auch irgendwie vergessen.
Das Jahr sollte aber für die Neustädter Truppe noch einen großen Triumph in petto haben, nämlich den Mannschaftssieg beim Komplexwettkampf, der im September in Großrückerswalde bei Marienberg, also im damaligen Bezirk Karl-Marx- Stadt, stattfand.
Die Mannschaft, bestehend aus Ralf Brede, Siegmund Mücke, Jens Siomer, Peter Recke und Edmund Spieß erwies sich der Konkurrenz überlegen. Mannschaftsleiter war- wie beim vorigen Mal- Kalle.

Bild 28: Wasserspringen 1976. Gleich plumpst einer vor den interessierten Zuschauern in den Neustädter See!
Wolfgang Butschi Lachner fuhr als Schiedsrichter mit, was für ihn nicht folgenlos bleiben sollte. Schuld daran waren aber nicht irgendwelche gegnerischen Fans, die mit der einen oder anderen Entscheidung nicht einverstanden waren, sondern sein Wunsch nach sportlicher Betätigung am falschen Ort und zur falschen Zeit. Nach entsprechend feuchter Siegesfeier trollte man sich- so die seriösen Augenzeugen- Richtung Quartier, als man plötzlich auf eine etwa 1m hohe Hecke stieß. Butschi überkam offenbar der unbezähmbare Wunsch, diese mit einem kühnen Satz zu überspringen. Was weder er noch seine Begleiter wussten, die Hecke fasste ein etwa 3m tiefes mit diversen Steinen garniertes Bachbett ein. Als er diesem Wunsch nachgab, war klar, dass ein längerer Krankenhausaufenthalt im benachbarten Marienberg fällig war. Die Liste der Schäden war lang und er musste noch einige Zeit im Sachsenland bleiben (s. Bild 29).
Es war übrigens sein letzter Sprung (wenn auch nicht mit dem Fallschirm), denn zum Saisonende traf auch ihn die Kadersense, wie mich ein Jahr zuvor. Er fand aber- was ähnlich halsbrecherische Aktionen der eben geschilderten Art betraf- würdige Nachfolger.

Bild 29: Wolfgang „Butschi“ Lachner 1976. Das Foto zeigt Butschi nach seinem gelungenen Sprung über die Hecke und
in das steinige Bachbett nahe Großrückerswalde im Krankenhaus. Sport am falschen Ort kann gefährlich sein.
1976, evtl. aber auch schon im Jahr davor übernahm Heinz Wolf das Kommando über den Fallschirmsport im Zentralvorstand (ZV) der GST in Neuenhagen bei Berlin (s. Bild 30).

Bild 30: Heinz Wolf bei der Übergabe von Ehrenpräsenten an Unteroffiziere des Fallschirmjägerbataillon 40 „Willi Sänger“
Sein Vorgänger war Horst Brändel (s. Bild 31), der als Chef zum Aeroklub der DDR ging. Der Aeroklub war so etwas wie eine Briefkastenfirma. Er bestand aus dem Chef und vielleicht noch einer Sekretärin. Seine Funktion bestand darin, die DDR in der FAI (Fédération Aeronautique International), also der internationalen Luftsportorganisation mit Sitz in Paris zu vertreten. Die GST und auch die anderen vormilitärischen Organisationen der „sozialistischen Bruderländer“ konnten nicht FAI- Mitglieder werden, also wurde kurzerhand der Aeroklub aus der Taufe gehoben. Die DDR nutzte auch die sportlichen Erfolge im Flugsport um ihre diplomatische Anerkennung voranzutreiben, ein entscheidendes Ziel der Außenpolitik in den 1970er Jahren.
Horst Brändel hatte evtl. bereits an dem im Teil I genannten Marjutkin- Lehrgang teilgenommen, war aber schon Anfang der 60er- Jahre „aus dem aktiven Dienst ausgeschieden“ und zum ZV gegangen, wo er dem Fallschirmsport rund 15 Jahre vorstand. Er war nach der Wende beim DAeC in Braunschweig dort zuständig für Lizenzen. Ihn ersetzte nun glücklicherweise Heinz Wolf, zu dem Neustadt (und damit auch ich) einen guten Draht hatte.
Im ZV saß auch Dieter Strüber, der dort für die leistungssportliche Seite der Springerei verantwortlich zeichnete. Von Hause aus DHfK- Absolvent d.h. Diplomsportlehrer (Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport) hatte er so um 1960 rum mit der Springerei begonnen. Er versuchte, das Fallschirmspringen als Leistungssport voranzutreiben. Die in den vorherigen Kapiteln gemachten Angaben zu den neuen Schirmen stammen aus seinem Buch: „Abenteuer Fallschirmsprung“, das 1973 im Verlag XY erschienen ist. Dieter ist inzwischen leider auch schon verstorben. Heinz Wolf haben wir 2012 zu Grabe getragen.

Bild 31: Horst Brändel, Chef des Aeroclubs der DDR.
(Bildquelle: Fliegerrevue 04´1979)
Die nächsten Absätze sind nur scheinbar wieder privater Natur. Sie sind nicht zur Selbstdarstellung gedacht, sondern sollen deutlich machen, wie das System in „Kaderfragen“ funktionierte. Auch bei anderen Betroffenen ist es so, oder so ähnlich gelaufen.
Ich habe in jenem Jahr alles versucht, um wieder auf den Platz zu kommen. So habe ich im Sommer ein „Gnadengesuch“ an den Vorsitzenden des Bezirksvorstands der GST für den Bezirk Rostock gerichtet (liegt noch als Kladde in meinem Schreibtisch). Da es scheinbar vor allem um Westverbindungen ging, war es erforderlich diese klein zu reden. Der Vater meiner Frau (übrigens Hauptmann der Luftwaffe) hatte drüben gelebt, war aber inzwischen d. h. 1971 verstorben, so dass wir in dieser Richtung tatsächlich ziemlich sauber waren. Derartige Kaderfragen- heute würde man von Personalangelegenheiten sprechen- liefen in der Regel hinter geschlossenen Türen ab und waren vertraulich. Aber man hörte mal dies und auch mal das und aus diesen Bruchstücken könnte man sich als gelernter DDR- Bürger ein meist zutreffendes Bild zusammenbasteln.
Nach einiger Zeit tauchte bei uns zu Hause in Stralsund so ein betont unauffälliger Typ auf und stellte sich als Mitarbeiter des Bezirksvorstands der GST vor, was mich doch sehr wunderte, kannte ich doch die Leute, ihn allerdings nicht. Als ich ihn eines Tages zufällig in der Stadt (gemeint ist Stralsund) sah, folgte ich unauffällig seinen Spuren und siehe da, er betrat das Stasi- Kreishauptquartier im Frankendamm. Alles klar! War es aber eigentlich schon vorher, ich wollte es aber genau wissen.
Kurt hatte inzwischen auch gekurbelt und mir eine Beurteilung verpasst und an Heinz Wolf weitergereicht, an der man sich Hände und Füße wärmen konnte. Da er einen Teil der GST- Akten sichergestellt hat, ist das Ding noch vorhanden. Aus dem Aktenordner tropft immer noch der Honig. Ich war sozusagen ein Kerl wie Samt und Seide, fast würdig für den Vaterländischen Verdienstorden. Nun hieß es aber erst mal abwarten, denn gut Ding will bekanntlich Weile haben. Ich war aber irgendwie optimistisch, denn schließlich hatte ich einen sehr guten Draht, nicht nur zu Kuddel sondern auch zu Heinz Wolf. Es galt der alte DDR- Spruch: „Sozialismus ohne Beziehungen ist wie Kapitalismus ohne Kapital“.
Eine „einschneidende“ Veränderung des Jahres 1976 muss abschließend doch noch erwähnt werden: Es gab neue Sprungbücher. Richtig, die großen, grünen im Format 15 x 21cm quer, die teilweise noch im Gebrauch sind!
Kapitel 8: Erfolge über Erfolge (1977)
Dass ich irgendwann im Frühjahr plötzlich „begnadigt“ und wieder zum Flugsport zugelassen wurde, war für mich natürlich toll, für die Springerei in Neustadt aber ohne größere Bedeutung. Zwar gab es nun einen Lehrer mehr, es ging aber inzwischen auch ohne mich. Laut meinem Sprungbuch war ich ab Juni wieder dabei. Die Sache mit den Beziehungen hatte sich also bestätigt, denn es war klar, dass ohne Kuddel und Heinz Wolf ein derartiges Ergebnis nicht möglich gewesen wäre.
Die nächste positive Überraschung war der Wechsel von PTCH- 8 auf RL- 8, der eine weitere Verbesserung gegenüber seinem Vorgänger darstellte (s. Bild 32). Außerdem hatte es noch eine weitere Veränderung gegeben. Der Sandkasten war in die SE- Ecke des Flugplatzes verlegt worden.

Bild 32: Der RL- 8 – typisch war der hintere Schlitz in Form eines Doppel-L.
Mit diesem Modell waren ab 1976/77die Möglichkeiten der „Schlitzfallschirme“ weitgehend ausgereizt.
Es folgte mit den RL-10 bald die ersten Flächen.
Sportlich war 1977 das Jahr der maximalen Erfolge für die Springer aus dem kühlen Norden. Unter der bewährten Führung von Kalle holten die Neustädter Jungs wieder den Sieg im Komplexwettkampf und zwar in Besetzung: Ulrich Kosicki, Hendrik Scharf, Wolfgang Riedel, Wilfried Meyer, Rene‘ Dohmke. Austragungsort war Friedersdorf (s. Bild 33). Damit nicht genug: Bei der Deutschen Meisterschaft in Magdeburg gewann Harmut Beutler die Gesamtwertung in der Amateurklasse außerdem wurde er Bezirksmeister (s. auch Bild 17). (Wegen der doch offensichtlichen Chancenungleichheit hatte man für die Profis von Dynamo und der GST- Auswahl einer- und den Leuten aus den Bezirken andererseits getrennte Wertungen eingeführt).

Bild 33: So sehen Sieger aus. 1977 gewinnen die Neustädter erneut die sog. Bestenermittlung und zwar in Friedersdorf.
Es ist der Beginn einer Siegesserie der Jungs aus dem Norden. Neben Otto und Kalle – den Heutigen noch bekannt – Hendrik „Henne“ Scharf.
Außerdem begannen in jenem Jahr u. a. Dieter „Ede“ Harke, Detlef Mohr genannt „Mohrchen“, Norbert Kögler (der aus Bienenfarm) und Frank „Schoko“ Gaevert mit der Springerei, also auch von daher ein gutes Jahr (s. Bilder 22 und 33). Und zum guten Schluss, was die positiven Nachrichten betrifft: Am 06.07-1977 bekam Neustadt eine eigene Antonow, nämlich die DM- WJL. Geflogen wurde sie von Klaus Barganz, Dr. Biedermann (Direktor des Lederwerkes in Neustadt, das auf den schönen Namen „August Apfelbaum“ getauft worden war) und dann auch Peter Wiedemann (s. Bilder 34).

Bild 34: Neustadt wahrscheinlich Juli 1979. Es ist wohl fast der letzte Sprungbetrieb in Neustadt vor der Zentralisierung.
Wer sich Mühe gibt, findet Dieter „Ede“ Harke und Detlef „Mohrchen“ Mohr, die in jenem Jahr oder schon 1978 mit dem Springen begannen und
bald darauf zum Fallschirmdienst gingen. Henne Scharf (vorn links kniend) ist auch auf dem Foto.

Bild 35: Die Piloten. Stellvertretend für alle, die uns über Jahre ohne jeden Zwischenfall sicher in die Luft / durch die Lüfte befördert haben,
hier Peter Wiedemann im Cockpit der Anna, dem braven Mädchen. Links guckt Willi Krause wie ein Schwein ins Getriebe.
Wie man damals als männlicher Jugendlicher zum Fallschirmsport kam, hat Schoko sehr anschaulich geschildert. Wir fügen seinen Bericht hier unverändert ein:
Angefangen hat Alles mit einer Werbeveranstaltung der GST-Kreisleitung im Januar 1977 im LMB Güstrow, welcher mein Lehrbetrieb war. Zweck war natürlich mehr Längerdienende (also 3 Jahre) zu werben. Dieses wurde dann in einem doch sehr pompösen Film- und Vortragsgeschehen im zentralen Unterrichtsraum der Lehrwerkstatt ausgerichtet.
Angesprochen(betroffen)waren alle Lehrlinge des 1.Lehrjahres.Logisch, denn die sog. vormilitärische Laufbahnausbildung begann ja schon zu diesem Zeitpunkt. Militärkraftfahrer; Marinespezialist; Funker; Fallschirmjäger.
Halt…Moment mal… Fallschirmjäger?!
Na das wär doch was, sportlich gut drauf, ein kurzes Intermezzo in der Sportschule? das sollte doch wohl reichen.
Nach Ende dieser Veranstaltung wurde kurioserweise, jeder einzelne Lehrling durchs Lehrmeisterbüro geschleust, um jeden zu einer Stellungnahme zum 3-järigen Wehrdienst zu befragen (bedrängen?).
Bei mir reichten kurioserweise die 30m-Wegstrecke aus um einen Entschluss zu fassen, der nun doch weitreichende Folgen für meinen weiteren Lebensweg haben würde.
Rein ins Büro,3 Jahre ja, dann aber Fallschirmjäger. Gesagt getan, alles klar, Unterschrift, Sack zu!
Es gab auch keinerlei Nachfragen des Gegenübers und alles war in gefühlten 30,7 Sekunden erledigt. (dachte ich :-))
Eine Woche später:
Post vom WKK: Sie haben sich entschlossen…….etc. pp. Nanu was geht jetzt denn los? Vorgespräch; Flugplatz Güstrow
Termin (? jedenfalls sehr kurzfristig). Melden beim FP-Leiter Kam. Krause. Na denn mal los!!!
Hin zum Flugplatz rein, zum (Manne) Krause. Wer sitzt da, Harald Kurbjuweit (der erste Name der mir da so einfällt) einer aus meiner Lehrklasse. Na, nun war ich nicht ganz allein auf weiter Flur.
Hier wurde uns dann eröffnet, dass wir umgehenst mit der Laufbahnausbildung beginnen müssten. Der erste Lehrgang Theorie und Fallschirmpacken beginnt jetzt im Februar auf dem Flugplatz in Neustadt-Glewe, Dauer eine Woche. Neustadt-Glewe, wo is dat denn?
Die Augen wurden immer größer: waaas jetzt schon???; man war zu diesem Zeitpunkt mal gerade zarte 16 Lenze.
Grad die Lehre begonnen und schon den Urlaub verbraten? Nein, nein beruhigte man uns hierfür wird man freigestellt und Reisekostenerstattung gibt´s obendrauf.
Na prima, wenn das so ist, kann es losgehen.
So oder so ähnlich lief das damals. Ede und Mohrchen gingen allerdings nicht zu den Fallschirmjägern, sondern zum Fallschirmdienst. Das hatte den Vorteil, dass man weniger geschliffen wurde, dafür aber wesentlich mehr Sprünge machte.
Was Schoko zu den Reiskosten schreibt, galt nun auch für die ehrenamtlichen Lehrer. Neben dem Fahrgeld bekam man als solcher auch so eine Art Tagegeld.
Eine von den sonst üblichen Storys kann ich für 1977 nicht bieten. Es könnte aber durchaus sein, dass die Waldlandung der Magdeburger (s. Kap. 5) erst in jenem Jahr passierte. Ist aber eigentlich auch egal. Man darf aber keinesfalls daraus schließen, dass die Truppe irgendwie vernünftiger geworden wäre.
Aber eine Sache fällt mir doch noch ein: Im Zuge der vormilitärischen Ausbildung wurde auch geschossen und zwar mit der Kleinkaliber- Kalaschnikow. Dazu wurde nach Prislich (liegt an der Straße Ziegendorf- Grabow, also südlich des Platzes) gefahren und der Rückweg- zur Freude fast aller Beteiligten- zu einem schönen 12km- Geländelauf zum Platz genutzt.
Kapitel 9: „Militarisierung“ (1978)
Mit Jahresbeginn kam über den gesamten Flugsport (und damit auch über die Springerei) großes Ungemach in Person von Generalmajor Baustian und seinem Stellvertreter Oberst Dietrich, wegen häufiger Verwendung des Wortes „pünktlich“ in seiner sächsischen Form landläufig auch Oberst Pinktlich genannt. Die beiden waren durch die „Partei- und Staatsführung“ wohl zur GST abkommandiert worden, um diesen schlampigen Haufen so richtig auf Vordermann zu bringen. Dieser Aufgabe widmeten sie sich mit großem Engagement, nach dem Geschmack der Betroffenen mit zu großem. Oberst P. wird am besten durch einen Ausspruch charakterisiert, den er lt. Kuddel bei der ersten gemeinsamen Dienstberatung von sich gab: „Wer zu blöd ist, sich das zu merken, muss es sich eben aufschreiben. Ich mach das schon seit 20 Jahren!“ Noch eine Frage?
Eine der ersten Maßnahmen war die Uniformierung der Hauptamtlichen. Die kriegten so eine komisch blaugraue Uniform mit Planstellenmütze, außerdem einheitliche Dienstbekleidung aus NVA- Beständen. Die Klamotten waren unter allen Umständen zu tragen und das ohne jede Marscherleichterung. Unkorrekte Kostümierung zog gleich einen mittelschweren Anschiss nach sich. Das führte dazu, dass z. B. bei der Wehrspartakiade 1978 in Halle – Oppin, die Leute von der NVA (Piloten und Mechaniker) wegen großer Hitze im T- Shirt oder sogar mit bloßem Oberkörper herumliefen, die Deppen von der GST aber mit geschlossenem oberstem Hemdenknopf und langen Ärmeln schwitzen mussten. Die Jungs von der NVA wussten schon, weshalb sie die beiden abgestoßen hatten.
Neben der Uniformierung kam es auch so einem immer mehr ausuferndem Papierkram. Davor ging es bei den Springern doch sehr leger zu (s. Bild 36).

Bild 36: Schlampenhaufen 1977 … von wegen Wehrsportorganisation mit Schliff und eiserner Disziplin!
Seht Euch den Verein mal an: Rund 20 Leute, aber mindestens 30 verschiedene Verkleidungen. Hansi Stapel jun. (aktuell Assistent von Johann an der Antonow)
schießt den Vogel ab mit seiner Winter-Unterziehjacke und den Pfoten im Bunker! Im Hintergrund die „hauseigene“ An-2. Weiterhin bekannt: Hartmut (l.),
in der Mitte Hendrik Scharf und weiter rechts (über Kalle) Frank „Schoko“ Gaevert.
Die ehrenamtlichen Lehrer traf es insofern, als zu Saisonbeginn erst mal Überprüfungssprünge mit dem Schülerschirm (RS- 4/4c) zu machen waren, davon einer mit zusätzlicher Öffnung des Ersatzgerätes. Das war aber erträglich.
Für Neustadt wurde eine Stelle für einen zweiten hauptamtlichen Fallschirmsprunglehrer genehmigt. Diese besetzte Hartmut Beutler. Bei seiner Anstellung gab es allerdings Probleme, weil sein Betrieb ihm eine nur mäßige Beurteilung gegeben hatte. Das betraf nicht seine Arbeitsleistung, sondern z. B. den Vorwurf, dass er sich am 1. Mai geweigert hätte, die obligatorische Mai- Nelke aus Papier zu kaufen. Kein Witz!! Aber schließlich klappte es doch und H. konnte im August seine Tätigkeit aufnehmen.
Den Komplexwettkampf gewann 1978 welche Mannschaft? Natürlich wieder die aus Neustadt und wieder unter Führung von Kalle, dieses Jahr allerdings in der Besetzung Detlef Mohr (kennen wir doch), Hartmut Bierhals, Dieter Starke, Olaf Steinbeiß, Bernd Simon. Das wurde langsam eine Serie.
Zum Jahresabschluss gab mit dem RL- 10 den ersten Gleiter, auch für die Bezirke. Diese (die RL- 10) wurden noch mit Ersatzgerät vor der Brust gesprungen und hatten statt eines Sliders eine Reffleine zur Öffnungsverzögerung.
Als Folge der „Militarisierung“ gab es im Winter 1978/79 eine weitere Änderung: Die Pack- und Bodenausbildung sowie die Theorie fanden für alle neuen Laufbahnbewerber (so nannte man damals die Sprungschüler) zentral in Schirgiswalde statt. Das liegt in der Oberlausitz.
In Schirgiswalde existierte ein Zentrales GST- Lager. In diesen Lagern fand sonst die allgemeine vormilitärische Schulung statt, die für alle männlichen Lehrlinge im Rahmen ihrer beruflichen Ausbildung obligatorisch war. Kuddel musste die ganze Aktion organisieren, sein Assistent war Hartmut.
Kapitel 10: Die drohende Katastrophe (1979)
Im Frühjahr bahnte sich für mich ein echtes Problem an. Meine Mutter hatte sich entschlossen, zu ihrer Schwester nach Westberlin zu ziehen und einen entsprechenden Antrag gestellt. Da sie Rentnerin war, gab es für sie keine Probleme. Im Gegenteil, man rollte quasi den roten Teppich für sie aus, denn einerseits sparte man zukünftig die Rente und andererseits war zu erwarten, dass die eine und andere Westmark in Richtung Stralsund fließen würde, wo ich damals wohnte. Was das für meine Springerei bedeuten würde, war klar. Mutter im Westen war ein absolutes Ko- Kriterium. Da half auch der gute Draht zu Kuddel und Heinz Wolf nichts mehr. Weil die Ausreise erst im August erfolgen sollte, hatte ich noch ein paar Monate Galgenfrist. Von April bis Ende Juli konnte ich noch 20 Sprünge machen. Dann war mit 543 erst mal Schluss (s. Bild 36). Es traf aber in jenem Jahr auch noch andere, wie zum Beispiel Helmut Pieske, der aus ähnlichen Gründen (Westkontakte) ebenfalls aussortiert wurde.

Bild 37: Mein (vorerst letzter) Sprung. Das bin ich am 27.07.1979 vor meinem 543. Sprung unter dem Banner der GST.
Damals dachte ich, es wäre auch mein letzter. Dass es einmal weitergehen würde, hätte auch der größte Optimist nicht zu hoffen gewagt.
Aber genau so ist es gekommen!!!
Der Rest wird mich/uns eventuell oder sicher bemitleidet haben. Sie wussten zu dem Zeitpunkt aber nicht, dass es bald auch über sie hereinbrechen würde, nämlich das Unglück. Wie in der DDR üblich, passierte dieses plötzlich und unerwartet, d. h. ohne jede Vorwarnung. Man denke nur an den Mauerbau oder die gleichfalls völlig überraschende Schließung von Purkshof (s. Teil I, Kapitel 3).
1979 war auch das letzte Jahr, in dem Willi Krause in Neustadt gesprungen ist (s. Bild 37). Er war inzwischen vom Fallschirmdienst zur Zieldarstellungskette gewechselt. Dort musste er vom Heckschützenstand der IL-28 aus das Schleppziel ein- und ausfahren. Ein absolut ruhiger Job, der aber einen Pferdemagen erforderte. Er beendete bald darauf seine Dienstzeit bei der NVA und auch seine Springerlaufbahn und ward nicht mehr gesehen. Gewöhnlich gut informierte Kreise berichteten, dass er zur Fischerei gegangen sei.

Bild 38: Willi Krause vor dem Zielsprung. Willis Dienstzeit bei der Armee muss bald danach geendet haben.
Er wechselte in die Fischerei und ward nicht mehr gesehen.
Der Rest wird mich/uns eventuell oder sicher bemitleidet haben. Sie wussten zu dem Zeitpunkt aber nicht, dass es bald auch über sie hereinbrechen würde, nämlich das Unglück. Wie in der DDR üblich, passierte dieses plötzlich und unerwartet, d. h. ohne jede Vorwarnung. Man denke nur an den Mauerbau oder die gleichfalls völlig überraschende Schließung von Purkshof (s. Teil I, Kapitel 3).
1979 war auch das letzte Jahr, in dem Willi Krause in Neustadt gesprungen ist (s. Bild 37). Er war inzwischen vom Fallschirmdienst zur Zieldarstellungskette gewechselt. Dort musste er vom Heckschützenstand der IL-28 aus das Schleppziel ein- und ausfahren. Ein absolut ruhiger Job, der aber einen Pferdemagen erforderte. Er beendete bald darauf seine Dienstzeit bei der NVA und auch seine Springerlaufbahn und ward nicht mehr gesehen. Gewöhnlich gut informierte Kreise berichteten, dass er zur Fischerei gegangen sei.
Inzwischen war es Ende August geworden und die Neustädter Truppe bereitete sich auf weitere Lehrgänge sowie den bevorstehenden Komplexwettkampf vor, der in Halle- Oppin stattfindet sollte. Es war wie in dem Gedicht von Theodor Fontane „John Maynard“: „Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei, da tönt aus dem Schiffsraum her wie ein Schrei:“ Nur war es in diesem Fall kein Schrei aus dem Schiffsraum, sondern das Klingeln des Telefons im Büro von Herbert Hackel, dem Chef des BAZ (Bezirksausbildungszentrum), wie der Platz in Neustadt damals offiziell hieß. Am Apparat war der Zentralvorstand der GST in Neuenhagen bei Berlin, evtl. auch die Flugüberwachung und eine Stimme verkündete kurz und trocken, dass jeglicher Flug- und Sprungbetrieb im Rahmen der Gesellschaft für Sport und Technik ab sofort und auf unbestimmte Zeit untersagt sei!!
Weder Kuddel noch ich hatten eine Idee, welches Vorkommnis diese Pleite am Schluss ausgelöst hat und wann die Sperre tatsächlich eintrat. Wir grübelten wie die Maikäfer, kamen aber zu keinem Ergebnis. Das änderte sich erst, als Kuddel in seinen Bücherschrank sah und dort „Frust und Freude, die zwei Gesichter der GST“ entdeckte, herausgegeben von Ulrich Berger und erschienen im GNN Verlag. Dieses (das Buch) enthält auch einen Beitrag von Hartmut Buch, bereits zu tiefsten DDR- Zeiten Chefredakteur der Fliegerrevue.
Der hat die damaligen Ereignisse etwa wie folgt geschildert:
Ende August flüchtete ein Leipziger Motorflieger mittels einer WILGA nach dem Westen. Damit nicht genug, er machte unterwegs eine Zwischenlandung und sackte auch noch seine Ehefrau ein. Die Sache wurde -entsprechend dem damals üblichen Verfahren- direkt Erich Honecker gemeldet, der umgehend Armeegeneral Heinz Hoffman (Chef der NVA) antreten ließ, mit der Aufforderung, die GST endlich mal auf Vordermann zu bringen. (Es hatte in den Monaten zuvor wohl schon einige derartige Vorfälle gegeben, die aber nur teilweise der jetzigen Übeltäterin anzulasten waren. Diese neue Absetzbewegung aus dem Bereich des Motorflugs der GST brachte das Fass nun aber endgültig zum Überlaufen). Hoffmann schiss Teller, den GST- Chef zusammen und dieser gab den Anschiss ungefiltert an Baustian weiter. Das soll lt. H. B. am 31. August passiert sein und wohl noch am selben Tag wird dann erst mal prophylaktisch die Flugsperre verkündet worden sein.
So könnte es gewesen sein. Das klingt alles logisch. Der Verfasser hatte naturgemäß einen sehr guten Draht nach Neuenhagen und ist deshalb als sehr verlässlicher Zeitzeuge anzusehen.
Als die Flugsperre auch in den nächsten Tagen und Wochen nicht aufgehoben wurde und aus dem Hauptquartier in Neuenhagen per Buschfunk die beunruhigende Nachricht durchsickerte, dass man höheren Ortes durchaus auch darüber nachdachte, den ganzen Flugsport einfach dicht zu machen, war erst mal Heulen und Zähneklappern angesagt.
Das betraf vor allem natürlich die Hauptamtlichen, deren berufliche Existenz nun auf der Kippe stand. Die saßen dann erst mal unter dem Weihnachtsbaum in völliger Unkenntnis, ob es überhaupt und wenn ja, wie es weitergehen würde. Eine verteufelte Situation, natürlich auch für die Ehrenamtlichen, denn mit der Flieger- und Springerei wäre es dann wohl endgültig vorbei gewesen.
Damit sind wir am Ende des zweiten Teils. Wie es weitergegangen ist, erfährt man erst in einem dritten, der aber wohl frühestens im nächsten Winter zu erwarten ist.