… oder die Anfänge und die Entwicklung des Fallschirmsports in den Nordbezirken

Teil II: Es entwickelt sich (1970-1979)

Wieder eine Einleitung

Nach rund 7 Jahren soll es nun endlich weitergehen! Kuddel – seit einem Jahr auch Rentner – und ich, wir haben uns neulich zu einem „Brainstorming“ bzw. wie man früher sagte, einer Redaktionssitzung zusammengesetzt und beschlossen, in einem zweiten Teil erst mal die Zeit bis zur sogenannten „Zentralisierung“ Ende 1979 abzuhandeln. Hinter diesem eigentlich harmlos klingenden Begriff verbirgt sich eine Situation, in der das Schicksal des Flugsports (und damit der Springerei) in der DDR auf der Kippe stand. Doch dazu später mehr. Der letzte Abschnitt bis zur Wende wird dann irgendwann Teil III werden, aber wohl erst im nächsten Winter.

Die Reaktionen auf den ersten Teil waren ja durchweg positiv. Offenbar hat er (der erste Teil) für etwas Heiterkeit gesorgt, was- neben der Vermittlung der Historie- der eigentliche Zweck der Geschichte war. Proteste wegen zu negativer Darstellung einzelner Personen oder herabwürdigender Kritik gab es nicht. Das beruhigt mich, denn schließlich war es zu keinem Zeitpunkt meine Absicht, jemand zu beleidigen und zu verletzen.‘

Außerdem ist das mit der Kritik so eine Sache: Bekanntlich kann man leichter die Qualität von Eiern beurteilen, als selbst welche zu legen. Dabei kann man sich nämlich ganz schön den Arsch aufreißen. Vertreter der Spezies: „Von nichts eine Ahnung aber zu allem eine Meinung“, sind heutzutage nun mal nicht selten. Ich möchte nicht dazu gehören.
Die Beschränkung auf den o.g. Zeitraum ermöglicht mir- natürlich mit Kuddels ausdrücklichem Einverständnis- erst mal die Form der Ich-Erzählung beizubehalten, denn es handelt sich um die 1970er- Jahre, in denen ich mit einer kurzen Unterbrechung noch selbst dabei war.

Es ist aber klar, dass die wesentlichen Informationen/ Erinnerungen von auch Kurt stammen, der ja in dieser Periode Oberinstrukteur Fallschirmsport und damit der Chef in Neustadt war. Ohne dessen tätige Mitarbeit ginge es nicht. Sein Anteil liegt weit über 50%. Ich bin – wie man auf Neudeutsch sagt- eigentlich nur der „Ghostwriter“. Auch wenn es sich so ähnlich anhört, ist damit nicht ein Geisterreiter, sondern derjenige gemeint, der für einen Promi die Sache zu Papier bringt, der dafür selbst zu dusselig ist, wie z.B. für -sagen wir mal- Boris Becker. Der Promi ist in diesem Falle Kuddel, der aber durchaus selbst lesen und schreiben kann. Aber ich will diesen Vergleich nicht weiterspinnen, sonst haut mir der ehemalige OI FS der Nordbezirke aufs Maul, und das zu Recht.

Wegen der vor allem in diesem Punkt ausdrücklich positiven Reaktionen werde ich den etwas locker und flockigen Stil nicht ändern. Abweichend zum 1. Teil hat sich das aber Autorenkollektiv entschlossen, den Text etwas klarer nach Jahreskapiteln zu gliedern, was Kuddels exzellenter Buchführung und auch eher dem Chronik- Charakter entspricht. Wir werden uns also Jahr für Jahr vorarbeiten, sozusagen am Faden der Ariadne entlang. Für den in klassischer Mythologie nicht so Bewanderten: Ariadne war Anno Dunnemals – also als die Griechen noch die Herren und nicht die Deppen des östlichen Mittelmeers waren – die Tochter des Königs Minos, der damals auf Kreta herrschte. Minos war ein ganz schlimmer Finger. Er hatte durch den Baumeister und ersten Flugzeugbauer und Flugsportler Dädalus ein Labyrinth erbauen lassen, in dem der Minotaurus hauste, ein blutrünstiger Kerl halb Mensch halb Stier. Weil Minos irgendwann vorher Athen besiegt hatte, mussten die Athener alle 9 Jahre 7 Jungfrauen und 7 Jünglinge abliefern, die dann als Verpflegung für den Minotaurus in das Labyrinth geschickt wurden. Bei der dritten Sendung mischte sich der Held Theseus unter die Opfer um die Sache endlich zu beenden. Den Theseus muss man sich wohl als Mischung von Supermann und George Cloony vorstellen. Er hatte nicht nur einen fürchterlichen Faustschlag, sondern auch Schlag bei den Frauen. Ariadne verliebte sich auf den ersten Blick in ihn und schenkte ihm neben ihrer Gunst auch ein Wollknäul. Das wickelte Theseus auf dem Weg durch das Labyrinth ab, schlug dem Minotaurus auf die Glocke, das er alle Viere von sich streckte, führte seine Gefährten am Faden entlang aus dem Irrgarten und machte sich mit Ariadne davon, die er aber bald darauf sitzen ließ. Vor allem auf die tollen Kerle ist eben kein Verlass. Um nun aber wieder zu unserem Thema, dem Flugwesen zurückzukommen: Damit Dädalus den Bauplan des Labyrinths nicht ausplaudern konnte, verweigerte Minos ihm das Ausreisevisum, worauf sich D. den ersten Flugapparat bzw. Flügel baute und mit seinem Sohn Ikarus davonflog. Dass letzterer, obwohl er gegen den eindeutigen Flugauftrag verstieß und den ersten überlieferten Flugunfall herbeiführte, und nicht sein Vater, in Fliegerkreisen als Held gefeiert wird und dazu noch Namensgeber für eine ungarische Busmarke wurde, ist eine Ironie der Geschichte.

Auf die Garnierung des reinen Berichts mit den diversen Storys werde ich /werden wir auch im 2. Teil nicht verzichten. Sie sind ja das Gewürz, das die dröge Kost der reinen Historie erst schmackhaft macht. Bei der Beurteilung der damaligen Ereignisse muss man zweierlei berücksichtigen:

Erstens, man berichtet im Zeitraffer. Da man die ereignislosen Phasen übergeht, wird der Eindruck vermittelt, dass ständig etwas Außergewöhnliches passierte.
Zweitens muss man sich vor Augen führen, dass die Masse der Akteure damals im Alter von 16 bis 18 Jahren war. Eine Horde derartiger Schwachköpfe zu hüten, die jede freie Minute dazu nutzten aus purem Übermut und Lebensfreude irgendwelchen Unfug zu verzapfen, war eine fast unlösbare Aufgabe, zumal die Älteren keinen Deut besser waren. Da konnte am Schluss nur Mist herauskommen.

Aber wenn man ehrlich ist, hat sich daran eigentlich nichts geändert. Auch heute ist der Verein für den Außenstehenden eine Ansammlung teilweise unberechenbarer Chaoten. Wie bekloppt muss man auch sein, um aus einem flugfähigen Flugzeug zu springen und das am Schluss noch gut zu finden!

Nun ist aber Ende der Vorrede, gehen wir nun aber wieder „in medias res“ wie wir Lateiner sagen, was aber nichts anderes bedeutet, als dass es jetzt mit dem zweiten Teil endlich losgeht.

Kapitel 1: Mariannes Abgang (1970)

Nach Durchsicht von Kuddels Unterlagen und Gedächtnis ist klar, dass Marianne Oestereich erst 1970 zur Parteischule ging und das zum 01. September. Im ersten Teil stand hinter diesem Termin noch ein Fragezeichen. (Für die unwissende Mehrheit zu dem heute unbekannten Problem der Parteischule: Alle SED- Mitglieder die für höhere Posten im sogenannten Staatsapparat und den Betrieben vorgesehen waren- das galt auch für solche, die anatomisch ohne Glied waren wie Marianne- mussten irgendwann die Bezirksparteischule durchlaufen und zwar für ein Jahr. M. war eben 1970 dran).

Es musste also Ersatz her. Dieser wurde in Gestalt von Hannes Stübner (genannt „Stubenrauch“) aus Magdeburg gefunden, der zum o.g. Termin dann auch richtig seinen Dienst in Neustadt antrat (s. Bild 17).

Im Nachhinein muss man sich allerdings fragen, wer diese Wahl zu verantworten hatte und wie viel Promille in dem Moment dessen Urteilsfähigkeit beeinträchtigten. Hannes war ein netter Kerl und guter Kumpel, andererseits aber die personifizierte Disziplinlosigkeit und von daher für den Posten eines Oberinstrukteurs der GST, die als vormilitärische Organisation gerade Werte wie Disziplin, Ordnung und zackiges Auftreten auf ihre Fahnen geschrieben hatte, denkbar ungeeignet. Man machte irgendwie den Bock zum Gärtner. Das betraf aber ausdrücklich nicht die Springerei, sondern eher das Drum und Dran.

Bild 17: Wieder ein Sieger. Dieses Mal ist es der frischgebackene Bezirksmeister 1977.
Von diesem Ereignis gibt es sogar ein Farbbild, ich habe aber dieses gewählt, weil es sich bei dem Sportsfreund
mit Sonnenbrille und Zettel um Hannes (Stubenrauch) Stübner, also den Vorgänger von Kuddel, handelt.
In der Mitte Hermann Ertel damals Stellv. für Flug- und Fallschirmsprungausbildung bei BV Schwerin.

Ich kannte ihn- wie im Teil I berichtet- schon von der Armee her. Er war allerdings doch nicht in unserer, sondern der benachbarten Nachrichtenkompagnie: Deren Leute trugen die gelben Litzen der Nachrichtentruppen an Schulterstücken und Kragenspiegeln und gehörten damit zu den sogenannten „Ohrenabschneidern“. (Diese Bezeichnung geht auf ein Gerücht zurück, das ein Nachrichtensoldat bei einer Kneipenschlägerei einem Flieger mittels kaputten Bierglases ein Ohr abgeschnitten hätte. Wie das mit Gerüchten so ist: Keiner wusste wann, wo und ob die Sache überhaupt stattgefunden hat, aber jeder nahm sie für bare Münze.)
Ob er auch mit mir zusammen 1959 in Drewitz mit der Springerei begonnen hat, weiß ich nicht mehr, glaube ich aber eher nicht.

An dieser Stelle ist es durchaus erforderlich ein paar (lobende) Worte über Marianne zu verlieren. Sie war 1962 auf dem Platz in Güstrow aufgetaucht, wo sie an der Ingenieurschule für Landwirtschaft in Güstrow- Bockhorst studierte, ein stämmiges Mecklenburger Bauernmädchen aus Alt Sammit, einem idyllischen Dorf bei Krakow am See. Die Ingenieurschule saß übrigens (und sitzt immer noch) in den Gebäuden der Fliegerschule der Luftwaffe, die etwa 1935 errichtet worden waren.

Marianne muss dann bald ihren Lehrer/Lehrerin gemacht haben, denn 1964 erfüllte sie in den Augen der Oberen offenbar schon die Voraussetzungen, die man an einen hauptamtlichen Oberinstrukteur für die Nordbezirke mit Sitz in Neustadt- Glewe stellte. Die Tatsache, dass sie weiblichen Geschlechts war, kam ihr durchaus zu Gute. Frauen- soweit es nicht zu viele waren- machten sich in der DDR oder im „sozialistischen Lager“ immer gut (Beispiel: Valentina Tereschkowa). Das mit dem Oberinstrukteur bewältigte sie dann auch erstaunlich clever, trotz relativer Jugend und nicht allzu großer Erfahrung. Sie hielt den Laden weitgehend reibungslos am Laufen. Mehr konnte man nicht erwarten.

Da wir gerade bei den Personalien sind: Im Juli 1970 machte Hartmut (Hubsi) Beutler seinen ersten Sprung, dem in den nächsten mehr als 30 Jahren noch sehr viele folgten (s. auch Bild 18). Leider ist er wohl endgültig zu den Motorschirmen übergelaufen ist. Hartmut gehörte zu der Anklamer Truppe, die bis zu dem tragischen Unfall 1968 unter dem „Kommando“ von Paul Trautner und Klaus Helms stand (s. Teil I).

Bild 18: Zielsprungwettkampf in Magdeburg 1974.
Butschi Lachner, Hartmut Beutler als pausbäckiger Jüngling, Peter Garbe (also ich) und eine unbekannte Verstärkung aus Gera,
ebenfalls unbekannt ist die damalige Platzierung. Auf jeden Fall standen wir nicht auf dem Treppchen.

Dabei war er nicht der Einzige, der aus der Ecke Anklam/ Pasewalk kam. Neben Hartmut fallen mir noch ein: Eckard Pagels (s. Bild 19), genannt der Seemann (er fuhr bei der Seereederei und bracht von seinen Fahrten mal das eine oder andre scharfe Pornoheft mit) und dann noch Siegfried „F…k“- Finke (Bohrarbeiter bei Erdöl Grimmen) ein, dessen Spitznamen man aber aus Gründen des Jugendschutzes hier nicht ausschreiben darf, der aber darauf anspielte, dass er alles nahm, was Haare hatte, außer wie man so sagt, Kokosnuss und Tornister (s. Bild 20). Die beiden letztgenannten verschwanden nach 4 oder 5 Jahren in der Versenkung. Ausgebildet hatte die Truppe der schon im ersten Teil genannte Klaus Weigelt, der in der Zwischenzeit die Lehrerlizenz gemacht hatte und in den nächsten beiden Jahren noch in dieser Funktion aktiv war. Dann verliert sich auch sein Schicksal in den Weiten Vorpommerns.

Der Seemann hat übrigens Kurt ungewollt und ohne böse Absicht richtig „einen gemacht“, d. h. ihm fettes Problem beschert. Als freundlicher Mensch schrieb er bei einem Reeperbahnbesuch in Hamburg eine Ansichtskarte und adressierte sie an Herrn Kurt Abramowski in Neustadt- Glewe. Sie wurde bei der obligatorischen Postkontrolle der Stasi natürlich aussortiert und die Sache überprüft, was zu einem „Ermittlungsverfahren“ seitens des Bezirksvorstands der GST in Schwerin führte, von wegen verschwiegener Westverwandschaft und so. Kuddel hatte ziemlich zu rudern, die Sache zur Zufriedenheit der Obrigkeit aufzuklären. Zu solchen Problemen konnte man damals schneller kommen, wie die viel zitierte Jungfer zum Kind.

Einer der damaligen Sprungschüler war übrigens oder eventuell ein gewisser Kuhnt aus Rostock, der später bei den Fallschirmjägern ein höheres Tier war (Major, Oberstleutnant oder so). Dem einen oder anderen Altgedienten ist der Name evtl. noch geläufig. Er war voriges Jahr beim Traditionstreffen dabei, evtl. war es auch schon im Jahr davor.

Kommen wir nun aber endlich zur Sache: 1970 liefen also die üblichen 4 oder 5 Wochenlehrgänge in Neustadt. Lehrer waren (neben Marianne) Kalle, Rudi Warmbier, Klaus Weigelt und ich, dazu auch mal der eine oder andere „Gastdozent“ aus Magdeburg und Berlin. Für die Durchführung eines Sprungbetriebes musste man damals immerhin 4 Funktionen besetzen, nämlich: 1.Sprungleiter, 2. Lehrer am Start, 3. Lehrer am Landeplatz, 4. Absetzer. Geregelt wurde die ganze Sache durch die FSBO (Fallschirmsprungbetriebsordnung).

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Bild 19: Gemischte Truppe im Jahr 1972.
Von Links: Butschi, Inge Langenhahn Magdeburg/ Pritzwalk, Kameradin xx, Dr. Peter Langenhahn, Karate bzw. Ullrich Galda, Günter Jaap,
der Seemann Eckard Pagel, Rosita Lange bald Abramowski, Bernd (Earny) Brückner und hinten vor dem SKP OI Kuddel.

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Bild 20: Fallschirmwart Günter Gatter in Aktion.
Im Hintergrund tagt eine „Expertenrunde“ (Kalle, P. Garbe, Junker Tobias, H. Pieske und F.. k Finke). Das könnte etwa 1970 sein.

Es gab einen richtig schönen Startaufbau mit ausgerichteten Packplanen und einer quer dazu liegenden Abstellplane, auf der die Schirme startweise aufgestellt wurden.
Das ist die beste Gelegenheit für eine persönliche Geschichte, nämlich wie ich von der Existenz des Übersinnlichen überzeugt wurde. Es war vor dem Sprungbetriebsbeginn oder in der Mittagspause und der Startaufbau erfolgte – wie üblich- nahe dem Sandkasten, der damals noch in der NW- Ecke des Platzes lag. Die Schirme standen in der geschilderten Art in Reihe und Glied.  Aus irgendeinem Grund hatte Kalle sich mit irgendjemand in die Wolle gekriegt. An den Grund kann ich mich wirklich nicht erinnern, es kann aber nichts Schwerwiegendes gewesen sein. Zwar flogen nicht die Fäuste aber doch das eine oder andere harte Wort. Welche Beleidigungen es gab, weiß ich auch nicht mehr. Irgendwann hatten die Kontrahenten aber ihr Pulver verschossen und es folgte- wenn auch nach beträchtlichem Gebrummel auf beiden Seiten- die Versöhnung. Die Sache hatte sich also erledigt, als nach vielleicht einer halben Stunde Ingrid, Kalles Frau mit dem familieneigenen PKW vom Typ Wartburg 312 vorfuhr. (Richtig, es war der den Kalle angeschossen hatte oder noch anschießen würde). Der Wagen hielt an, Ingrid stieg aus, ebenso Hexe, Kalles kleiner schwarz/weiß-gefleckter Dorfköter. Der lief zielgerichtet die Abstellplane mit vielleicht 30 oder 40 abgestellten Schirmen entlang. Am Gerät von Kalles „Gesprächspartner“ blieb er stehen, hob er das Bein und pisste zum Zeichen seiner Verachtung an dessen Ersatzgerät. Woher konnte der kleine Stinker das wissen? Zum Zeitpunkt des Streites befand er sich mindestens 50 km vom Ort des Geschehens entfernt. Es muss also so etwas wie Telepathie geben, denn Handys und Smartphone zur drahtlosen Gedankenübermittlung gab es damals noch nicht. Seitdem glaube ich an das Wirken höherer Mächte (s. Bild 21).

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Bild 21: Familie Dopp und andere, wahrscheinlich nach dem peinlichen Vorfall (Hund pisst an Fallschirm).
Von links: Kalles Frau Inge, der mit dem Rücken zur Kamera könnte ich sein, dahinter Helmut Pieske, sitzend Herbert Stern der ex. Fallschirmjäger,
der kleine Holger Dopp, Kalle und Hexe der doppsche Familien-, Jagd- und Kampfhund. Im Hintergrund der bewusster PKW Marke Wartburg 312,
links ein 2,5- Tonner vom Typ Lo 1800 eingesetzt zu allen Material- und Personentransporten. 

Wahrscheinlich hatten wir damals schon eine Antonow, die wir uns aber mit den Magdeburgern teilen mussten: Meistens flog zu dieser Zeit der bereits im ersten Teil erwähnte Wilhelm Lienemann, der mit dem Holzbein. Dieses Holzbein war mal der Grund einer außerplanmäßigen Pause im Sprungbetrieb, weil es plötzlich hakte oder klemmte. Aber wir hatten ja überall unsere Leute. Der in der Fallschirmjägerkameradschaft sehr aktive Kamerad Powells arbeitete in Ludwigslust als Orthopädie- Schuhmacher. Also Sprungbetrieb unterbrochen, ins Auto gesetzt, mit Wilhelm nach Lulu gefahren, dort das Bein gedengelt und schon konnte es weiter gehen. Neben dem schon erwähnten Deumeland, flog häufig auch Stamsky, ebenfalls Magdeburg.

Zusätzlich zum üblichen Sprungbetrieb gab es in jenem Jahr auch einige springerische Höhepunkte. So flogen wir am Pfingstsonntag (es war der 17.05) nach Teterow, wo wir aus Anlass der Eröffnung des Bergrings in den Innenraum sprangen. Es gab also auch damals schon Demo- Sprünge. Das Demo- Team setzte sich aus den Lehrern und Lizenzern zusammen, die gerade bei der Hand waren. Die Sache in Teterow lief reibungslos, d. h. alle trafen den Innenraum.

Einen weiteren derartigen Demo- oder wie man damals sagte „Vorführungssprung“ gab es nach vorliegenden Unterlagen (Sprungbuch Kurt) am 15.08. in Pinnow. Anlass war die I. Wehrspartakiade der GST, worunter man sich so eine Art DDR- Meisterschaft für vormilitärische Disziplinen vorstellen muss. Die Neustädter Truppe, die die Nordbezirke vertrat, soll den letzten Platz belegt haben. Einer der „loser“ oder Verlierer (und damit möglicher Zeuge) war angeblich Rüdiger „Otto“ Schulz der aus Blievenstorf stammt, viele Jahre als Lehrer für FS tätig war und im September zum Treffen der alten Kameraden immer noch den einen oder anderen Rundkappensprung macht.

Der dritte Höhepunkt fand zum Saisonende, also im Oktober 1970 statt, war allerdings eher inoffiziell und verstieß sogar gegen die FSBO. Es könnte deshalb durchaus sein, dass er auf eine Idee von Hannes Stübner zurückging. Kurz, es wurde beschlossen, beim letzten Start (nur Lehrer und Lizenzer) am östlichen Platzrand rauszugehen und nicht das Zielkreuz, sondern den Dorfkrug in Blievenstorf anzusteuern und dort den erfolgreichen Saisonabschluss durch eine ordentliche Sauferei zu feiern. Gegen diesen Beschluss gab es naturgemäß wenig Widerstand. Die Sache war auch nicht sonderlich kompliziert, denn der Wind stand günstig und zwischen Kneipe und Wald gab es eine ausreichend große Landefläche. Wie beschlossen, so ausgeführt! Es ging auch alles glatt. Bis auf einen Magdeburger landeten alle vor bzw. hinter der Kneipe. Der hatte beim Briefing wohl gepennt oder war gar nicht dabei gewesen und versuchte krampfhaft noch das am anderen Platzende gelegene Zielkreuz zu erreichen, was aber nicht gelang.

Da Saufen nicht meine Lieblingsdisziplin war (und immer noch nicht ist), hatte ich mich breitschlagen lassen, den verantwortungsvollen Posten des Sprungleiters zu übernehmen und die Trinker dann zu späterer Stunde und in angeschlagenem Zustand mit dem LKW vom Typ S 4000 in Blievenstorf abzuholen.

Wie gesagt hatte Hannes seinen Job im September oder Anfang Oktober angetreten und sich im ersten Zimmer rechts in dem flachen Teil des damaligen Hauptgebäudes eingenistet.

Eine der ersten Amtshandlungen war dann die Herstellung eines einwandfreien (West)-Fernsehempfangs. Hannes hockte vor seiner Flimmerkiste, Butschi Lachner gab am Fenster die Kommandos weiter und auf dem Dach drehte Helmut Pieske die Antenne auf Lüchow- Dannenberg bzw. Höhbeck (Standort des Sendmastes des Westfernsehens), das alles bei Dunkelheit. Als das Bild stand brüllte Butschi rauf: „Kannst runterkommen“. In diesem Moment stand Helmut schon im Lichtkegel des Fensters im Rosenbeet und ohne eine Miene zu verziehen und seiner trockenen Art sagte er: „Da bin schon!“ und auf ihn regneten die Bruchstücke der Plastedachrinne herab. Er war nämlich immer dichter an die Dachkante gerückt, hatte aber nicht daran gedacht, dass die letzten Zentimeter Dachrinne und nicht mehr Pappdach waren und schon ging’s abwärts. Zum Glück war es- wie gesagt- der flache Teil, so dass Helmut weitgehend heil blieb.

Das Westfernsehen sorgte noch mal für große Heiterkeit und das kam so: Kurbjuhn der Chef des Flugsports der Nordbezirke wollte am Wochenende mal in Neustadt auf dem Platz nach dem Rechten sehen. Seinen etwa 6- Jährigen Sohn (evtl. auch schon Enkel) hatte er dabei. Dummerweise erwischte er einige von unseren Schülern im Klubraum auf dem falschen Kanal. (Hier muss ich kurz unterbrechen und darauf hinweisen, dass ich damals in Stralsund und damit dem Tal der Ahnungslosen wohnte, also dem Teil der DDR ohne Westempfang, mich mit dem Westprogramm also nicht auskannte). Er machte natürlich einen riesigen Terz. Wir mussten die ganze Truppe antreten lassen und er hielt einen längeren Vortrag über die Schädlichkeit des Westfernsehens. Als er gerade so richtig dabei war, kam sein Sohn/Enkel und zupfte ihn am Hosenbein: „Was ist?“. Darauf der Kleine: „Papa/Opa, wir müssen nach Hause, gleich fängt „Am Fuße der blauen Berge an!“ Erst verstand ich den Grund des nun ausbrechenden Gelächters nicht, ich kam ja aus dem Tal der Ahnungslosen. Dann fiel aber auch bei mir der Groschen.

Ich glaube, das war der richtige Schluss für diese Kapitel!!

Eine Personalie muss aber unter 1970 doch noch erwähnt werden. Im Gefolge von Hannes tauchte noch ein weiterer Magdeburger in Neustadt auf, nämlich Bodo Bahn, den Älteren besser bekannt als Junker Tobias. Wie der zu diesem doch nicht alltäglichen Spitznamen kam, dazu habe ich keine Idee. Wenn er den Junker Tobias von Rülp aus Shakespeare Komödie „Was Ihr wollt“ gemeint haben sollte, lag er ziemlich daneben. Dieser (der Shakespeare- Junker) war ein großer vollgefressener Suffkopp. Unser Junker, passender wäre Junkerlein, hätte von der Figur her eher das tapfere Schneiderlein spielen können: max.1,65 und knapp 60 Kilochen. Damals noch Lizenzer, Lehrer wurde er erst später, war er doch eine willkommene Verstärkung unserer Truppe. Außerdem besaß er ein außergewöhnliches, weil auch damals schon außergewöhnlich seltenes Automobil, nämlich eine P 70 Coupé‘. Hier für den interessierten Laien ein kleiner Exkurs (man könnte natürlich auch Ausflug sagen) in den Fahrzeugbau der DDR, den ich größtenteils bei Wikipedia geklaut habe: Der P70 war ein Kleinwagen, der in Zwickau hergestellt wurde. Die Bezeichnung P70 steht dabei für Personenkraftwagen mit 700 cm³ Hubraum (Motor des alten F8 mit der Kraft von 22 ungebändigten Rössern, natürlich Zwei- Takter). Der P70 war der erste Serienwagen der Welt mit Kunststoffkarosserie Er war als Zwischentyp auf dem Weg zur Massenmotorisierung in der DDR konzipiert und damit der Vorläufer des Trabants In den Jahren 1955 bis 1959 wurden 36.151 Fahrzeuge in den Bauformen Limousine, Coupé (ca. 1500 Stück) und Kombi produziert. Das Coupé sah richtig schnittig aus, man durfte es nur nicht hören. Die Karosserie ließ eine tiefes „Brumm- Brumm“ erwarten, raus kam aber ein mickriges „Töff- Töff“.

Kapitel 2: Unter Feuer (1971)

Man könnte dieses Kapitel auch mit „Pleiten, Pech und Pannen“ überschreiben, weil sich während eines Lehrgangs- es war die Himmelfahrtswoche, also Mai- als sich derartige Vorkommnisse in beängstigender Weise häuften. Wenn es mal kommt, dann kommt es ganz dicke. Das Sprichwort, dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt, könnte man auch heranziehen, obwohl dort Reichtum und nicht Pech gemeint ist. Aber Pech gilt das erst recht.

Alles begann damit, dass ein Sprungschüler aus Schwerin (Name?) zu faul war, einen kleinen Umweg durch das Tor zu machen. Wahrscheinlich wollte er in den KONSUM der nahegelegenen Lieps- Siedlung um bei Mutter Zacharias das eine oder andere Fläschchen Hochprozentigen für den Abend einzukaufen   Er kletterte hinten über den Zaun (damals hölzerner Scherengitterzaum). Als er den Fuß aufsetzte um drüberzusteigen, brach die Latte, der stehengebliebene Rest bohrte sich in seinen Oberschenkel und durchbohrte ihn sogar. Er hing auf dem Zaun wie ein Gummiadler auf dem Bratspieß. Mächtiges Geschrei, viel Blut, komplizierte Bergung. Kleine Sünden straft der liebe Gott eben umgehend!

Dann leisteten nach meiner Erinnerung die Motorflieger ihren Beitrag zur Pannenserie: Erst zog ein Flugschüler nach erfolgter Landung das Fahrwerk bei einer Jak- 18 ein, was einen Bauchrutscher zur Folge hatte, anschließend rollte ein Kunstflieger über einen gut getarnt abgestellten Feuerlöscher und demolierte sich die teure Verstellluftschraube.

Richtig kritisch wurde es aber am Himmelfahrtstag, als wir unter „friendly fire“ gerieten. Die Flugsperre an diesem Tag (Flugsperren waren damals häufig, vor allem an Tagen mit gutem Wetter) sollte zu einer großen Putzaktion an der Antonow genutzt werden. Unter Aufsicht des Mechanikers (Christian Gelfert aus Magdeburg) turnten diverse Sprungschüler in und auf der Maschine herum und brachten diese auf Hochglanz. Auf der oberen Tragfläche saß ein gewisser Meier, ein großer blonder schlaksiger Kerl, der aus Schwerin stammte. Die Anna stand auf der Abstellfläche vor der Giebelseite der alten Ziegelhalle. Während man fleißig putzte, knallte es immer so komisch an der Rückseite der Halle und vor allem an der benachbarten Holzhalle, als wenn jemand mit Steinen gegen die Wände werfen würde. Das wurde langsam nervig, so dass Christian zwei Mann um die Ecke schickte mit dem Befehl, den Steinewerfer einzufangen und kräftig in den Arsch zu treten. Aber es war kein Arsch da, in den man hätte treten können. Ganz große Fragezeichen!! Plötzlich tat es einen weiteren Schlag und Meier fegte aus großer Höhe auf den Beton der Abstellfläche, was er aber wegen guter Vierpunktlandung ohne größere Schäden überstand. Allerdings hatte er am Oberschenkel eine gewaltige Prellung. Die Fragezeichen wurden immer größer, zumal Meier behauptete angeschossen worden zu sein!! Christian kletterte auf die obere Fläche und tatsächlich, es gab ein kleines Loch wie einen Einschuss. Natürlich erst einmal ans Telefon und die Sache den Genossen der Volkspolizei gemeldet, danach nochmalige Inspektion durch den damals zuständigen Obertechniker Hans Stapel (der gleichnamige Assistent von Johann, Hansi Stapel jun. ist dessen Sohn).

Hans Stapel sen. schnitt die Bespannung auf und förderte ein Geschoss des Kalibers 7,62 X 39mm (Kalaschnikow) zu Tage, allerdings leicht deformiert.

Die einzigen Schützen weit und breit, waren die Mitglieder der Betriebskampfgruppe (Kampfgruppe = DDR-Volkssturm) des Lederwerkes namens „August Apfelbaum“ die auf ihrem Schießstand auf oder am Betriebsgelände herumballerten. Man hörte in der Ferne die Knallerei.

Also noch mal die VP angerufen, die auch bald vor Ort erschien, begleitet von den Kampfgruppenchargen. Diese brüllten natürlich gleich herum. Es fielen harte Worte, die man hier wegen möglicher minderjähriger Leser nicht wiederholen kann, die aber in der Ankündigung endeten, dass die Sache für die Kameraden vom Flugplatz wegen übelster Verleumdung ein ganz böses Nachspiel haben würde. Das Geschrei verstummte allerdings schlagartig, als Hans Stapel das Geschoss präsentierte und zum verbalen Gegenangriff überging. Für die Kampfgruppe war damit- wie man so sagt- die Kacke am Dampfen. Allerdings weiß ich nicht mehr, welche Konsequenzen das für diese am Schluss hatte; kann aber auch sein, dass die Sache einfach unter den Teppich gekehrt wurde.

Im Verlaufe des weiteren Gespräches räumten die Kämpfer dann kleinlaut ein, dass sie aus Anlass des kirchlichen Feiertags ordentlich einen zur Brust genommen und in dem dadurch erzeugten Übermut, die leeren Flaschen auf den Schießwall gestellt hätten und da wäre wohl der eine oder andere Schuss eben danebengegangen. Es waren dann wohl doch ein paar mehr. Wie eine nachtägliche Zählung ergab, hatten allein 14 die Holzhalle getroffen und der 15. die Antonow und den Kameraden Meier. Das Geschoss hatte offenbar den Spant erwischt, war dort abgeprallt und hatte den Oberschenkel von M. getroffen, allerdings ohne Bums, so dass es nur zu einer fetten Prellung reichte. Es hätte aber schlimmer kommen können.
Die Antonow war schnell wieder einsatzbereit: Mit einer Zackenschere einen passenden Flicken ausgeschnitten und aufgeklebt, danach mit grüner Farbe übergestrichen und fertig war die Laube.

Das alles passierte innerhalb von zwei oder drei Tagen. Aber jede Serie hat mal ein Ende, so dass wir wieder zur normalen Berichterstattung übergehen können. Denn ansonsten war das Jahr recht erfolgreich. So ergab sich die für die GST außergewöhnliche Möglichkeit, auch mal aus 4000m zu springen. Die erforderlichen Sondergenehmigungen wurden selten erteilt. Schließlich brauchte die Anna – wie im Teil I bereits erwähnt- bis 4000m eine dreiviertel Stunde und dementsprechend viel Sprit. Meines Wissens gab es in jenem Jahr drei 4000m- Starts.

In meinen Annalen, d. h. dem Sprungbuch finde ich erstmals Willi Krauses Unterschrift. Willi war damals Oberfeldwebel und Chef des Fallschirmdienstes in Peenemünde (s. Bild 22 und 23). Er hatte schon eine Menge Sprünge, war Lehrer, hatte vor allem alle denkbaren Genehmigungen für Reparaturen und Überprüfungen und war von daher eine willkommene Verstärkung. Mit ihm war ein weiterer Armist vom Fallschirmdienst nach Neustadt gekommen, Name: Romey, (Schreibweise: ???, Dienstgrad: ???). Wer sich noch an den ersten Teil erinnert: Romey war der Unglücksrabe der Kalle kurz vor der Landung durch die Fangleinen gefahren war. Das haben jüngste Recherchen ergeben.

Im Jahr 1971 machte übrigens Barbara/Bärbel Buchholz ihren 1. Sprung. Bärbel ging dann bald zum Sportklub Dynamo und wurde in den 70er- und 80er- Jahren mehrfach Weltmeisterin im Ziel- und Figurensprung, dann schon unter dem Namen Harzbecker, denn sie hatte bald den Gerd Harzbecker von der GST- Auswahl geheiratet. Sie war wirklich ein Naturtalent mit großem Bewegungsgefühl, so lag sie vom ersten Freifallsprung an. Das war damals doch eher selten, da bei den anfangs kurzen Freifallzeiten von 5 oder 10“ der Abgang/ Exit über den Sprung entschied. Es dauerte wesentlich länger als heute beim AFF, bis es einem gelang, ein Gefühl für die Luft zu entwickeln und stabil zu liegen. Ihr Bruder fing auch an, musste aber nach einem sehr komplizierten Fußbruch bald wieder aufhören (s. auch Teil I).

Es mag auch in jenem Jahr gewesen sein, als ich auf dem Platz in Neustadt eine Begegnung der sehr unappetitlichen Art hatte. Um allen schmutzigen Fantasien von vornherein die Spitze zu nehmen: Es war ein Kuhfladen! Ein solcher gehört aber nicht auf den Flugplatz wird ein jeder sagen. Das ist richtig, aber ungewöhnliche Umstände erfordern ungewöhnliche Maßnahmen, die ungewöhnliche Folgen haben können. Der ungewöhnliche Umstand war ein sommerliches Elbhochwasser. Die Wiesen standen unter Wasser und die dort sonst grasenden Kühe waren sozusagen heimatlos und wurden nach Neustadt evakuiert, wo auf dem Platz ja genug Platz war, außerdem auch genug frisches Gras, denn es hatte zuvor ja gerade kräftig geregnet.

Bild 22: Vorn „Rumpelwilli“ so genannt wegen legerer Kleiderordnung und Haartracht, daneben Ede, Mohrchen und Schoko.

Bild 23: Ziellandung mit RL-8 Juli 1979.
Der Springer- wahrscheinlich Willi Krause – ist dem Nuller schon verdammt nahegekommen!
Der Halbnackte im Sandkasten Klaus „Alfredo“ Pätzel (heute Bohrunternhmer in Dessau.
Vorne Gatterich (Günter Gatter) von hinten.

Mit dem Flugbetrieb gab es wenige Probleme. An den Wochenenden wurden eben die Viecher in eine Ecke getrieben, wo sie nicht störten und schon konnte es losgehen mit dem Fliegen und Springen. Lästig waren allerdings die zahlreichen Kuhfladen auch in der Start- und Landebahn. Die Maschinen sahen entsprechend aus und häufiges Putzen und Waschen war angesagt (s. o.). Aber irgendwann war das Hochwasser und damit auch die Kühe weg und es kehrten wieder Normalität ein, der Platz trocknete, das Gras und die Kuhfladen ebenso. Eines schönen (Sprung-) Tages landete ich mitten auf dem Platz, also außerhalb des Sandkastens. Als ich aufschlug und schon im Abrollen war, sah ich dicht vor meinem Gesicht ein besonders schönes Exemplar eben dieser Gattung, leicht angetrocknet und deshalb gut getarnt im trockenen Gras und mit gelben Schmeißfliegen garniert. Ich konnte nur noch den Kopf etwas zur Seite drehen und die Augen schließen, da lag ich schon in der Scheiße. Das rechte Auge war verklebt, das Nasenloch verstopft und die rechte Gesichtshälfte grün. Zwar versuchte ich mich noch notdürftig zu säubern, trotzdem war mein Malheur noch zu erkennen, als ich wieder in der Packzone auftauchte. Die Reaktion war ja klar, es gab große allgemeine Heiterkeit, mal wieder auf meine Kosten. So ist das Leben!

Im September hätte eigentlich Marianne wiederkommen müssen, nachdem sie ihr Jahr auf der Parteischule abgerissen hatte. Aber sie kam nicht, sondern ging zum DTSB nach Güstrow. Für diesen Wechsel soll es angeblich delikate/intime Gründe gegeben haben. Soweit die Gerüchte, aber eben nur Gerüchte. Da niemand die Kerze gehalten hat, decken wir den Mantel des Schweigens über unmittelbar die Beteiligten und die ganze Angelegenheit.

Ob Hannes wegen Ablauf eines auf ein Jahr begrenzten Vertrages oder wegen später Einsicht der Verantwortlichen zum Ende August oder September ausschied, ist auch nicht mehr zu ermitteln. Auf jeden Fall standen die Nordbezirke mal wieder ohne OI FS da.

Kapitel 3: Kuddel kommt (1972)

Dieser Zustand der Führungslosigkeit endete aber bereits am 16.01.1972. An diesem Tag trat Kurt Abramowski, genannt Kuddel, seinen Dienst als Chef des Fallschirmsports in den Nordbezirken an. Kuddel bewies Stehvermögen und hielt trotz aller Widrigkeiten wie z. B. der noch näher zu beschreibenden Zentralisierung, bis zur Wende durch.
Wie er berichtet, hatte der GST- Bezirksvorstand beschlossen, den erforderlichen Ersatz dieses Mal aus der ortsansässigen Bevölkerung zu rekrutieren. Zur Wahl hätten Helmut Pieske und er gestanden. Am Schluss fiel sie (die Wahl) auf ihn und er nahm das Angebot an.

Kuddel hatte- wie schon berichtet- 1966 seinen ersten Sprung, in den darauffolgenden Jahren bis zum Dienstantritt nicht nur reichlich 100 weitere, sondern auch aus der Kameradin Rosita Langer Frau Abramowski gemacht, darüber hinaus auch 18 Monate bei den Grenztruppen der DDR abgerissen (Bild 24).

Rosita hatte 1968 ihren ersten Sprung absolviert. Sie machte bis 1975 rund 150 weitere und hörte dann auf.

Bild 24: Das Bild zeigt offenbar die erste zaghafte Kontaktaufnahme der heutigen Eheleute Abramowski. Das könnte auch 1970 sein.

Gleichzeitig mit ihr begann Anita Feuereiß ihre Ausbildung. Sie war die Tochter des Bürgermeisters von Hagenow, der aber gleichzeitig Präsident des Rodelsportverbandes der DDR. Eine etwas ungewöhnliche Kombination, denn der höchste Berg in Hagenow misst höchstens 10m und ist für rasante Fahrten mit dem Rennrodel eher nicht geeignet. Des Rätsels Lösung. Bei Vater Feuereiß handelte sich um einen Thüringer Schluchtenjodler/ Löffelschnitzer den es in den kühlen Norden verschlagen hatte. Anita machte ein paar Sprünge und verschwand dann aber bald wieder in der Versenkung.

Kuddel war nun zwar Oberinstrukteur, aber noch kein Lehrer. Deshalb wurde er in jenem Mai zum Lehrerlehrgang abkommandiert, der um diese Zeit in Schönhagen stattfand. Weitere Teilnehmer waren lt. Kurt die schon Erwähnten Klaus „Alfredo“ Pätzel (s. oben Bild 23) und Junker Tobias, außerdem zwei Mädchen, die in der Folgezeit auch mal in Neustadt als Lehrer/ Lehrerinnen tätig waren, nämlich Sabine „Schnattchen“ Koske aus Dresden und Tanja Schneider (s. Bild 25), ausnahmsweise mal ohne Spitznamen. Was ich gar nicht mehr auf dem Schirm hatte, war die Tatsache, dass man ab Ende der 1960er- Jahre den Lehrer nur in zwei Etappen machen konnte. Nach dem A- Lehrgang musste man eine gewisse Zeit als Lehrer- Assistent Erfahrungen sammeln, bis man nach dem B-Lehrgang die „richtige“ Lizenz bekam. Kurt durfte – wegen der besonderen Umstände – die Sache ausnahmsweise in einem Ritt machen.

Bild 25: Das sieht schon etwas besser aus! Die Klamotten sind schon ziemlich einheitlich, die Haarschnitte lassen aber noch zu wünschen über.
Es handelt sich um einen Lehrerlehrgang in Schönhagen irgendwann Mitte der 1970er. Aus Neustadt sind dabei: Otto (5. Von rechts), Tanja Schneider (in der Mitte kniend).
Ganz außen übrigens Horst Brändel, der damalige FS- Chef, daneben Wolfgang Laue der 1961 schon unseren Lehrerlehrgang leitete. 

Von der Springerei her muss 1972 ein außergewöhnlich gutes Jahr gewesen sein. Ich finde in meinem Sprungbuch Eintragungen zu mindestens 4 Lehrgängen, allein zwischen April und August, insgesamt 48 Sprünge, was für mich doch eine Menge war und ist. Daneben gab es noch einen Lehrgang in Pinnow im Juli, auf dem Marianne mit einer von ihrer ausgebildeten Truppe aus Güstrow auftauchte, wo sie seit dem letzten Jahr in der DTSB- Sportschule tätig war. Eine der Anfängerinnen war Astrid Wiese, die im nächsten Jahr den Oberfeldwebel Krause heiraten sollte, was sie zu diesem Zeitpunkt aber wohl noch nicht wusste.

Ein Jahreshöhepunkt war die erste Bezirksmeisterschaft der Nordbezirke am 20.08. im Zielsprung, bei der ich mich zwischen Willi Krause (Bezirksmeister) und Wolfgang (Butschi) Lachner auf Platz 2 einreihte.

Für Kalle gab es in jenem Jahr auch einen Höhepunkt: Für einen Tag war er der König seines Heimatorts Mestlin, das an einem Sonntag im Mai irgendein herausragendes Ereignis feierte. Ein Programmpunkt war die Landung der Neustädter Springer nahe dem Dorf. So war es auf jeden Fall geplant. Ich wäre gerne mit gesprungen, musste aber den Funk an der Landfläche übernehmen. Außer mir wäre nur noch Kalle für den Posten in Frage gekommen, aber es wäre doch unmenschlich gewesen, ihm seinen großen Auftritt zu versauen. Auf jeden Fall war der Bodenwind grenzwertig stark, so dass der Start mehrfach verschoben werden musste. Dann erschien endlich die Antonow über Mestlin, die Springer purzelten heraus und verteilten sich wegen des böigen Windes großräumig auf den südlich der Ortslage gelegenen Feldern. Anschließend war natürlich große Bambule mit entsprechendem Genuss geistlicher Getränke und Krönung des Dorfkönigs (s. o.).

Inzwischen war auch Hartmut Beutler beim Fallschirmdienst in Peenemünde gelandet, wurde aber für Lehrgänge in Neustadt meistens freigestellt.

Dass es mit der Springerei in jenem Jahr so gut lief, war teilweise auch den Magdeburgern zu verdanken, mit denen wir uns nicht nur die Maschine teilten, sondern die auch mit einer großen Truppe gern und häufig nach Neustadt kamen. Neben Heinz Wolf, dem damaligen aber 2012 verstorbenen OI FS Magdeburg waren vor allem Klaus Scheel (besser als Tünnes bekannt, s. o.) – der zweite hauptamtliche Fallschirmsprunglehrer- und das bereits im Teil I erwähnte Ehepaar Peter und Inge Langenhahn (zurück zu Bild 19) aus Pritzwalk oder Wittstock.

Heinz Wolf (s. Bild 26) war gleichzeitig der Trainer der Nationalmannschaft der Komplexwettkämpfer, die aber tatsächlich der Bezirksauswahl Magdeburg entsprach. Kuddel und ich haben mal versucht, die Namen zusammenzukriegen, hier das Ergebnis: Horst Prellwitz, Ulli Marotzke, Jürgen (Plenty) Walter, Camillo (bürgerlicher Name?). Dieser Komplexwettkampf war ein militärischer Mehrkampf bestehend aus den Disziplinen Fallschirmspringen, Schießen, Schwimmen und Laufen, der im Rahmen der „sozialistischen Bruderländer“ sogar international war. Diese Jungs bereiteten sich in Neustadt auf entsprechende Meisterschaft vor. Als ich beim Lauftraining mal ungefragt meinen Senf dazugab, forderte Heinz Wolf mich auf, doch einfach mal mitzulaufen, was ich auch tat und hinter Prellwitz überraschend den 2. Platz belegte.

Wer mich nur in meinem heutigen Zustand der Körperfülle kennt, hält das für reine Angabe eines alten Mannes. Zeugen und Fotos werden bestätigen, dass ich damals 25 Kilo weniger auf den Rippen hatte und- wenn auch kein überragender- aber doch ganz passabler Läufer war. Meine ausgedehnten Waldläufe im Rahmen der Ausbildung erzeugten bei den Sprungschülern nicht gerade Freudenschreie. Aber genug Selbstbeweihräucherung betrieben, kehren wir wieder zur Geschichte zurück.

Bild 26: 1978, also nach der „Militarisierung“. Jetzt gibt es richtig Schliff, vor allem für die Hauptamtlichen und einige Ehrenamtliche.
Ich erkenne nämlich rechts unseren Kalle im 2. Glied. Im 1. Glied neben den beiden Armisten, das ist Heinz Wolf Chef FS beim ZV,
neben ihm Vinzenz Przcybichyn (Karl- Marx- Stadt, heute Chemnitz).

Eigentlich wären wir mit 1972 am Ende, aber ich will hier noch eine der üblichen Schnurren einfügen, in denen es meist um die Dussligkeit der damaligen Akteure ging. Das betraf leider nicht nur die Anfänger, die Lehrer und Lizenzer waren auch nicht viel besser. Ich weiß nicht mehr, was bei Wolfgang (Butschi) Lachner den Wunsch erzeugte, doch mal Feuer zu spucken. Auf jeden Fall stand er vor dem damaligen Unterkunftsgebäude mit dem Maul voll Benzin und einer brennenden Zeitung in der Hand. Wenn er das Benzin ausblies entstand eine eindrucksvolle Flamme von 1 bis 2m Länge. Als aber einer der Umstehenden eine blöde Bemerkung machte, musste er lachen, prustete los, besprühte sich selbst mit Sprit und stand plötzlich in Flammen. Zum Glück reagierte der vor ihm stehende Helmut Pieske sofort und richtig. Er öffnete seine Jacke, zog Butschi zu sich heran und löschte mit den Jackenschößen sofort die Flammen. Die paar Sekunden hatten aber ausgereicht, um ihm (Butschi) den Haarschopf und die Augenbrauen abzusengen, im Gesicht Verbrennungen 2. Grades und an den Fingern dicke Wasserblasen zu erzeugen, die wie Siegelringe aussahen. Der Spruch mit den kleinen Sünden und der sofortigen Strafe würde auch hier ganz gut passen. In der Ambulanz war dann natürlich nicht vom Feuerspucken, sondern von einer Verpuffung im Ofen die Rede und das bei 25° C mitten im Sommer.

Es gab aber noch einen zweiten Feuerzauber in jenem Jahr. Ort des Geschehens war die Sandgrube in der NW- Ecke des Platzes. (Sie befand sich etwa dort, wo heute die neue Halle steht). Für den Abend war ein großes Lagerfeuer geplant und dementsprechend ein riesiger Haufen Holz gesammelt worden. Als das mit dem Anzünden nicht gleich klappte, holte Beppo der Magdeburger Tankwagenfahrer einen Kanister Flugbenzin und dieselte damit den Holzhaufen ein. Das Ergebnis war eine gewaltige Verpuffung und abgesengte Haarschöpfe und Augenbrauen. Das hätte im wahrsten ins Auge bzw. die Augen gehen können. Noch mal Glück gehabt!  Was den Beppo bzw. den Tankwagen betrifft, muss man wissen, dass zur Antonow auch ein eigener Tankwagen gehörte und zwar einer der berühmten sowjetischen Marke SIL (gehe zurück auf Bild 11) mit grünem Tarnanstrich. Während die Maschine sich bei der Überführung durch die Lüfte schwang, kroch der SIL am Boden hinterher. So geriet er (der Tankwagen) einmal in der Nähe von Potsdam in eine Kolonne der Sowjetarmee. Als diese in die Kaserne einbog, wollte der Tankwagenfahrer eigentlich geradeaus weiterfahren, wurde aber vom Regulierer durch energisches Flaggenwinken aufgefordert, den anderen grünen Autos gefälligst zu folgen. Im Russenobjekt gab es dann natürlich erst mal Chaos, weil nicht ein Fahrzeug zu wenig, sondern eins zu viel war. Soweit die Geschichte eines unserer Neustädter Tankwagenfahrers, dessen Namen ich aber nicht mehr zusammen kriege.

Nun aber Schluss mit 1972!

Kapitel 4: Neue Regeln (1973)

In jenem Jahr erließ der Zentralvorstand der GST die berühmte AO (Anordnung) 6/73, durch welche die allgemeine Entwicklung der Springerei bis zur Wende entscheidend bestimmt wurde. Statt allgemeiner Lustspringerei stand von nun an ausdrücklich die Vorbereitung auf den Dienst in der NVA (Fallschirmjäger/ Fallschirmdienst) im Vordergrund. Neustadt d. h. die Nordbezirke hatte ein Soll von etwa 15 bis 20 Leuten pro Jahr, die auszubilden und bei der Armee „abzuliefern“ waren.
Die Kandidaten wurden von den Wehrkreiskommandos überprüft und ausgewählt, in der Regel im Alter von 16 Jahren. Um sich hinterher nicht mit ungeeigneten Bewerbern herumärgern zu müssen, wurden diese durch Kurt mittels eines vorherigen Sport- Test vorsortiert. Dieser bestand aus 8 Disziplinen und wurde deshalb landläufig 8er-Test genannt. Den musste man während der Armeezeit auch öfter mal absolvieren. Dazu gehörten unter anderem 3000m, Klimmzüge, Handgranatenweitwurf, Seilklettern. Den Rest kriege ich nicht zusammen.

Wie das in der Praxis gelaufen ist, kann man dem sehr lebendigen Beitrag von Frank (Schoko) Gaevert im Kapitel 7 entnehmen.
1973- und nicht bereits 1967 wie von mir im Teil I fälschlich behauptet- endete die Ära des PD- 47 als Schülerschirm. Er wurde durch den RL-4/3c ersetzt, einem guten Produkt aus Seifhennersdorf, der DDR- Fallschirmschmiede.
Versuche den PD schon vorher durch den tschechischen PTCH-C oder den schon seit 1970 im Einsatz befindlichen RS- 8 zu ersetzen, waren gescheitert: Der PTCH war zu schlecht und der RS für die Anfänger zu schnell. So musste man auf einen neuen Schülerschirm, den RS 3/4c eben bis zu diesem Zeitpunkt warten. Der bewährte sich aber so gut, dass er auch heute noch in Gebrauch ist, was man an den Rundkappensprüngen im Rahmen des jährlichen Traditionstreffens sehen kann.

Da wir schon bei der Fallschirmtechnik sind: Mitte der 1960er- Jahre war in den USA mit dem Paracomander eine neue Art von Sportfallschirm mit deutlich verbesserten Leistungen auf den Markt gekommen, der in der Folgezeit häufig kopiert und verbessert wurde. Hatte der RL- 3/5 einen Vortrieb von 3m/s waren es beim Paracomander 5 bis 6 m/s und man konnte auch besser bremsen. Die wesentlichen Unterschiede zu den klassischen Schlitzschirmen waren: das Material (beschichtetes Nylon) und die Zentralleine. Letztere zog die Polöffnung nach unten und führte zu einem tragflächenähnlichen Profil. Zog man beide Steuerknebel durch, klappte die vordere Kappenhälfte nach oben und die Luft strömte teilweise auch nach vorn aus, was zum besseren Bremseffekt führte. Wegen des luftundurchlässigen Gewebes war es möglich, bei gleichem Sinken die Kappengröße zu reduzieren. Hatte der RL-3/5 noch 64m², waren es bei den Nachfolgemustern rund 10m² weniger. Schirme unterschiedlicher Kappengröße waren damals noch nicht üblich. Die Dicken hatten eben Pech und bombten eben döller ein, als die Leichtgewichte.

Da für uns 1973 das letzte Jahr mit RL- 3/5 war, soll dieser hier noch mal ausdrücklich gelobt werden, wie ich es bereits im Teil I schon gemacht habe. Seit 1966 hatte er mir treu gedient und mich fast ohne Störungen sicher auf den Boden zurückgebracht. Einmal bescherte er mir allerdings eine Außenlandung. Da man bei 600m zog, hing man erst bei 500m am offenen Schirm. Ich war bei diesem Sprung eh schon ein wenig weit draußen und wäre gerade noch so auf den Platz gekommen. Als aber der Ring abriss durch den die Steuerleine lief, musste ich eine Weile fummeln bis ich den Ausreißer wieder einfangen konnte und vergeigte dabei entscheidende Höhenmeter. So landete ich in den Kuscheln am westlichen Platzrand. Die Landung war weich, die Bergung allerdings schweißtreibend da die Kappe auf mindestens 5 oder 6 kleinen Kiefern hing und im Wald mindestens 30°C und Windstille herrschte.

Für den Fall von Waldlandungen gab es eine „Gentleman Agreement“ mit dem zuständigen Revierförster. Alles was zur Bergung umgelegt werden musste, konnte ohne Rücksprache aber mit der nötigen Sorgfalt gefällt werden. Als der Förster aber zwei Sprungschüler dabei erwischte, wie sie einen Baum in Brusthöhe abgeniedelten, weil sie zu faul waren, sich hinzuknien oder zu bücken, gruben die beiden Übeltäter unter ständigem Maulen am Schluss den Stubben aus. Das nahm schon das eine oder andere Stündchen Freizeit in Anspruch.

Was gab es sonst noch Bemerkenswertes? Im Juni fanden in Neustadt die VIII. DDR- Meisterschaften im Segelflug statt, im August die mit großem Aufwand zelebrierte Hochzeit Willi Krause und Astrid Wiese (Trauung im Rathaus, Springerspalier in voller Montur und große Fete im Klubraum), außerdem verabschiedete sich Marianne in diesem Jahr endgültig von der Springerei.
Hier muss erwähnt werden, dass Kalle- neben der Springerei- ein zweites Hobby hatte und noch hat- die Jägerei. Damals war er wohl der größte Wildschütz nördlich des 38. Breitengrads. Mit Schießgewehr auf dem Rücken, seinem bereits erwähnten Hund Hexe in einer kleinen Holzkiste auf dem Rücksitz des Motorrollers vom Typ „Berlin,“ versetzte er die Tiere in Wald und Flur in Angst und Schrecken. Sogar sein eigenes Automobil Wartburg 312 war vor seinen Schüssen nicht sicher. Nun fragt sich der unbedarfte Leser, welche Rolle der Autotyp in diesem Zusammenhang spielt. Eine ganz entscheidende: Der 312 hatte nämlich ein stark gewölbtes Dach. Eines Tages fuhr Kalle mit dem Pkw in oder durch den Wald, als er plötzlich ein lohnendes Ziel erblickte. Er raus aus der Kiste, Flinte auf dem Wagendach aufgelegt, „Bumm“ „Bumm“ gemacht und sich zwei Riefen ins Wagendach geschossen. Er hatte wegen „Feuereifer“ die Wölbung des Daches nicht berücksichtigt.

In jenem Jahr fand bei den Motorflieger übrigens eine große Verschrottungsaktion statt: Die Jak- 18 wurden eingestampft. Die Springer unter Kurts Kommando profitierten davon, indem sie die Triebwerke auseinandernahmen und nicht als billigen Mischschrott sondern als teureren sortenreine Aluguss usw. verhökerten. Die Einnahmen kamen der Vereinskasse zu Gute. Rümpfe, Flächen und Leitwerke wurden in die bekannte Sandkuhle gekarrt, mit reichlich Sprit übergossen und mittels Leuchtkugel abgefackelt. Da stehen wohl jedem heutigen Motorflieger die Tränen in den Augen, denn die Dinger waren flugfähig und würden heute weggehen wie Sauerbier. Aber so war das eben damals, weshalb weiß ich allerdings in diesem Fall immer noch nicht.

 

Kapitel 5: Neue Technik (1974)

Zu Saisonbeginn erwartete uns eine positive Überraschung. Neben neuen, handlicheren Ersatzgeräten vom Typ BE- 8 (heute würde man Brustreserve sagen) bekamen wir etliche PTCH-8 (s. Bild 27). Der PTCH-8 war die Antwort der Tschechen auf den Paracomander, mindestens so leistungsfähig wie dieser, wahrscheinlich sogar besser. Dass Dynamo und die GST- Auswahl inzwischen schon den noch besseren sowjetischen UT-15 sprangen, juckte uns nicht. Es war und ist normal, dass die Elite besser versorgt wird, als das Fußvolk.

Bild 26: Mit dem PTCH- 8 im Zielanflug, d. h. leicht angebremst. Ob es mit dem Nuller geklappt?
Wahrscheinlich nicht, aber zu mindestens dicht daneben.

Schon mit dem RL-3/5 konnte man ordentliche Zielsprünge hinlegen, mit dem PTCH erst recht.

Hier nun ein paar Worte zur damaligen Zielsprungtaktik: Im Gegensatz zu heute wurde mit dem Wind angeflogen. Jeder Springer hatte neben dem Stoppuhr-/Höhenmesserkasten eine Tabelle mit den Ausgangshöhen am 100m- Kreis für die verschiedenen Windgeschwindigkeiten auf dem Ersatzgerät. An diesem Ausgangpunkt für die Zielannäherung musste man mit Wind im Rücken und Nase zum Nuller mit angebremstem Schirm in der berechneten Höhe hängen. Man fuhr gerade drauf, gab Bremse nach oder zog an, je nachdem. Im Idealfall hatte man am Schluss den Hacken auf der Scheibe Das passierte uns Amateuren allerdings sehr selten. Landeentfernungen unter 2 oder 3m waren die Regel, eine ganze Nuller- Serie wie bei den Profis aber unmöglich. Das lag vor allem daran, dass die Korrekturen nicht sanft genug erfolgten und die Kappe unruhig wurde, so dass es am Schluss nicht 100%ig klappte; knapp vorbei ist eben auch daneben.

Wie das richtig zu laufen hatte, demonstrierten uns die Stars von Dynamo, dem Sportklub des VEB Horch und Guck, wie die Stasi im Volksmund auch genannt wurde. Die waren in jenem Jahr mal für eine Woche zum Training in Neustadt, unter ihnen auch Bärbel Buchholz, die zwei Jahre zuvor noch bei uns gesprungen war.

Die „Dynamos“ machten so ihre 10 Sprünge an einem normalen Tag. Sie schwebten bei idealen Bedingungen wie an der Schnur gezogen einer nach dem anderen ein und einer nach dem anderen traf den Nuller. Wir standen daneben und rissen vor Staunen den Mund auf.

Die Entwicklung zu immer schnelleren Schirmen hatte natürlich auch ihre negativen Seiten: Da bei Windgeschwindigkeiten bis 8m/s und mehr gesprungen wurde, die besten Schirme auch fast einen derartigen Vortrieb hatten wurde die Geschwindigkeit über Grund immer größer und man schlug ein wie eine V1. Die Reaktionszeiten wurden immer kürzer, die Verletzungsgefahr immer größer. Der Sandkasten war überlebenswichtig. Wenn man bei böigem Wind mal tatsächlich drüber fegte, gab es meist ein tolles Aua. So konnte es nicht mehr länger weitergehen. Der Gleiter und damit der Anflug gegen den Wind mussten kommen!

Im Mai 1974 waren Butschi Lachner, Hartmut und ich zu einem Zielsprungwettkampf in Magdeburg. Da für die Mannschaftswertung vier Mann erforderlich waren, bekamen wir noch einen Kumpel x aus Gera dazu. Vielleicht finde ich in der alten Fliegerrevue unsere damaligen Platzierungen. Ich habe in meinem Sprungbuch noch die damaligen Landeentfernungen: Im Einzel 2,30/2,28/ 3,97m also nicht so toll, in der Mannschaft mit 0,79/0,54/0,30 schon besser. Mehr war bei mir nicht drin (gehe zurück auf Bild 18).

Neben dem Zielspringen bestand der Fallschirmsport noch aus einer zweiten Disziplin, dem Figurenspringen, also dieser Folge aus Drehungen und Saltos die heut wohl völlig aus der Mode gekommen ist. Es gab 3 Komplexe, die man zeigen musste: Den Rechts- Komplex (RLSRLS), den Links- Komplex (LRSLRS) und den Kreuz- Komplex (LRSLS). Die Reihenfolge wurde ausgelost. Gesprungen wurde aus 2000m. Die Cracks spulten so einen Komplex in weniger als 7“ ab, ich steifer Bock hatte zu tun, unter der zulässigen Maximalzeit von 12“ zu bleiben, was mir aber auch nicht immer fehlerfrei gelang. Um eine gute Zeit zu erreichen, musste man vor allem schnell sein. Dazu zog man die Knie unter das Ersatzgerät und die Hände neben die Ohren. Das erklärt das für die alten GST- Springer typische Problem, die Beine im Freifall wirklich lang zu machen.
RW war- wie gesagt- noch kein Thema, wurde aber gelegentlich außerhalb des offiziellen Programms mal probiert. So haben wir 1973-mal einen ungelinkten 6er gemacht, der sogar funktionierte. Aber so richtig war das eben kein Thema, weil keine Wettkampfdisziplin.

Außer neuen Schirmen bekamen wir auch zwei neue Lehrer. Hartmut Beutler und Rüdiger (Otto) Schulz beendeten in dem Jahr ihren B- Lehrgang. Beide waren- wie die nächsten Jahre zeigen sollten- eine echte Verstärkung. Hartmut hatte zwar noch ein Jahr beim Fallschirmdienst abzureißen, wegen des engen Kontaktes mit seinem Chef Willi Krause, war das aber kein Problem, er wurde einfach freigestellt.

Es gab aber auch mal den einen oder anderen Verlust. Der vom Herbst betraf zwar die Motorflieger, blieb aber nicht ohne Folgen für die anderen Sparten des Flugsports. Es geht um den Abflug des Stralsunder Motorfliegers Bader, den ich im ersten Teil schon abgehandelt habe. Zwar hatte ich zu dem überhaupt keine Verbindung, sollte aber Ende 1975 trotzdem ein Opfer der daraufhin einsetzenden Überprüfungswelle werden. Der Fall Bader war dann aber schließlich auch eine der Ursachen für die im Jahr 1979 über den Flugsport in der DDR hereinbrechende Unglück der Zentralisierung.

Wegen der Nähe zum Platz der Iwans in Parchim musste man sich bei Sprungbetriebsbeginn mit denen abstimmen. Das erfolgte über ein Feldtelefon, das anfangs in der Flugleitung, später auch im SKP (Startkontrollpunkt) stand. Die Abstimmung lief aber in der Regel ohne Probleme, wahrscheinlich besser als wenn man sich mit unseren Leuten von den Luftstreitkräften hätte einigen müssen, die doch sehr auf die Einhaltung von irgendwelchen Vorschriften bedacht waren.

Gelegentlich kamen sie (die Iwans) mit einem Mi- 8 rüber und sprangen bei uns mit. Die guten Verbindungen überdauerten sogar die Wende, was die Generalreparatur der Antonow in den frühen 1990er- Jahren in Weißrussland beweist.

Am Schluss noch eine der üblichen Storys. Die „Führungskräfte“ verbrachten ihre Abende häufig im „Theodor Körner“, dem damals „ersten Haus am Platz“. Dort gab es gutes und aus heutiger Sicht preiswertes Essen und auch das eine oder andere Bierchen. Wegen dieser Bierchen übernahm ich als weitgehender Abstinenzler freiwillig meist die Funktion des Chauffeurs. Geparkt wurde natürlich auf dem Markt.

Da der damalige Oberdorfgendarm Degenhardt- im Volksmund nur „Säbelweich“ genannt- im Eckhaus am Markt wohnte oder dort das Revier war, musste man bei der Rückfahrt vorsichtig sein, er konnte ja hinter der Gardine lauern. Ich stieg allein ein, fuhr hinter die nächste dunkle Ecke wo sich dann der Rest in den Wagen drängte. Meist waren das so 8 bis 10 Personen. Irgendwie ging das. Allerdings konnte ich nur lenken, kuppeln und Gas geben, den Schaltknüppel musste jemand anderes bewegen.

Während die Kameraden und –innen es sich „bequem“ machen und wir mit 30 km/h in Richtung Platz fahren, ist noch auf die Tatsache hinzuweisen, dass ab etwa 1965 das Objekt polizeilich bewacht wurde. Das Wachkommando bestand aus drei älteren Herren sowie dem jüngeren Wachtmeister Boetefuer aus Klein Laasch, von dem noch gleich die Rede sein wird.

Als wir dann an jenem Abend mit dem LADA vor dem Tor ankamen, war der Diensthabende Ewert (wohnhaft in der Lieps- Siedlung) entsetzt. „Ihr könnt doch nicht mit 9 Mann im LADA fahren!“, darauf H. Pieske: indem er die Kofferklappe von innen öffnete: „Weshalb 9? 10!“

Es muss im Sommer 74 gewesen sein als der eben erwähnte Boetefuer heiratete. Bevor ich die Geschichte aber erzähle, muss ich erwähnen, dass sich um diese Zeit ein Oberleutnant namens Ihde von den Aufklärern aus Schwerin auf dem Platz aufhielt, um bei uns ein paar Sprünge zu machen. B. wollte also heiraten, was bedeutete, dass am Tag zuvor Polterabend anlag. Schon am Nachmittag herrschte zwischen den üblichen Verdächtigen (Lehrer, Lizenzer, Besatzung) beträchtliche Unruhe, da ein Besuch in Klein Laasch natürlich Pflicht war. So wurde ich gefragt, ob ich denn das Einräumen der Schirme nach Sprungbetriebsende überwachen und ein Auge auf die Sprungschüler werfen würde, die für den Abend ein Lagerfeuer in der Sandgrube geplant hatten. Als ich zustimmte, war die Truppe ruck- zuck verschwunden.

Es ging alles seinen gewohnten Gang, als bereits nach höchstens zwei Stunden Bernhard Maak, besser bekannt als „Hase“, mir mit einem komischen Gesichtsausdruck mitteilte, dass der Oberleutnant zurückgekommen wäre. Diese Nachricht riss mich nicht vom Hocker, denn was ging mich dieser dusslige Oberleutnant an. Das änderte sich aber schlagartig als ich ihn (den Oberleutnant) auf Drängen von Hase in Augenschein nahm. Wenn einer richtig voll ist, sagt man auch „er ist stocksteif“. Das sah ich hier in Natura. Ihde lag mit starrem Blick wie eine hölzerne Puppe auf dem Bett und war nicht vernehmungsfähig. Das ließ für den Rest der Truppe Schlimmes ahnen. Ich trommelte die Schüler zusammen und wir starteten mit allen verfügbaren Mopeds und Motorrädern in Richtung Elde-Brücke bei Klein Laasch.

Im Wald- es war inzwischen schon etwas schummrig geworden- trafen wir auf Stamsky den Magdeburger AN- Piloten und seinen Mechaniker, den ebenfalls erwähnten Christian Gelfert. Die beiden irrten scheinbar orientierungslos in der Kieferndickung herum, also wurden sie eingefangen, auf den Sozius gesetzt und nach Hause transportiert indem links und rechts jemand nebenherlief und den Besoffenen stützte.

Als wir über die Brücke kamen lagen an der Böschung zur Brückenrampe drei leblose Körper. Die ersten beiden waren offenbar Einheimische, uns also unbekannt, der Dritte war Karate mit bürgerlichem Namen Ullrich Galda (zurück zu Bild 19). Karate- der Spitzname spielte auf seine außergewöhnliche sportliche Leistungsfähigkeit an, so machte er eben mal so 300 Liegestütze- wurde auch aufgeladen und in der beschriebenen Art in Richtung Heimat befördert. Aber bereits nach wenigen Metern wurde er renitent, stieg vom Moped und wollte über eine dort an getüterte (auf Hochdeutsch: angekettete) Kuh Pferdsprung machen, um zu beweisen, dass er kein bisschen besoffen wäre. Er lief an, die Kuh machte einen Schritt vorwärts und er fiel der Länge nach in die Kuhscheiße.

Am Hochzeitshaus angekommen offenbarte sich der ganze Jammer. Der Rest der Truppe war so sinnlos besoffen, dass der Rücktransport Stunden erforderte. Am nächsten Tag war erst mal Pause, da das gesamte Leitungspersonal außer Gefecht gesetzt war. Später stellte sich dann heraus, dass der Wachtmeister Boetefuer doch nicht so dussslig war, wie man landläufig annahm. Um die Suffköppe möglichst schnell außer Gefecht zu setzen, hatte er dem selbstgemachten Obstwein- für sich allein schon tödlich- noch Primasprit zugesetzt. Das erklärte alles.

Der Oberleutnant machte uns noch mehr Ärger. Nicht genug, dass er sich betrank, er spannte uns mit Sabine „Schnattchen“ Koske auch eine Lehrerin aus, die er – wahrscheinlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen z. B. einer außergewöhnlichen Briefmarkensammlung- zur Mutterschaft und zum Eintritt in den Ehestand „überredete“. Auf dem Flugplatz erschein sie dann erst mal nicht wieder.

Zu Jahresbeginn 1974 hatte übrigens Ralf Brede mit der Ausbildung begonnen, der später auch für etliche Jahre hauptamtlicher FS-Lehrer war.