9. Es geht wieder vorwärts (1971-72)
Die Bildung der Trainingszentren hatte sich inzwischen als folgerichtigen Schritt erwiesen. Das Training ausgewählter Sportler war effektiver geworden und bildete die Grundlage zur Bildung leistungsstärkerer Bezirksmannschaften. Immer mehr interne Wettkämpfe, bis hin zum Springen um die Weihnachtsgans in Magdeburg, fanden begeisterte Teilnehmer. Die Qualifizierung der Übungsleiter und Trainer hatte begonnen und Helmut Schulz aus Leipzig nahm sogar ein Sportstudium an der DHFK auf, welches er 1972 erfolgreich beenden konnte.
Die Fallschirmkonstrukteure in Seifhennersdorf hatten den Druck verspürt und intensiv an der Entwicklung eines verbesserten Ausbildungsfallschirms gearbeitet und auf dem RS-4/3 folgte der RS-4/3 C, er wurde zu einen der Standarttypen bis 1990. Es war eine sehr funktionssichere Konstruktion und bewährte sich auf den Flugplätzen. Bereits 1967 konzipiert, erhielt auch der RS- 8 1970 seine Musterzulassung und wurde ab 1972 für die Fortgeschrittenenschulung eingesetzt. Es war eine Rundkappe mit etwas eingezogenen Basisrand, was zu nahezu pendelfreien Sinken führte. Für den Vortrieb war eine große Öffnung über drei Bahnen angeordnet und zwei seitliche eingearbeitete Steuerschlitze sorgten für eine Volldrehung in 8 Sekunden. Wie bei den Sportfallschirmen erfolgte die Steuerung über Steuerleinen und Knebel. Der RS-8 wurde aus Polyamidseiden-Gewebe gefertigt, was den teuren Import des bisher verwendeten Baumwollmischgewebes erübrigte. Die Fallschirmerprobung wurde maßgeblich von einer Fallschirmsprunglehrergruppe um Karl-Heinz Hierer aus Halle unterstützt und dabei konnten mehrere Probleme der Neukonstruktion bewältigt werden. Mit den neuen Fallschirmen verschwand zunehmend der legendäre PD-47.
links: Helmut Schulz, Springer im BAZ Leipzig und später erfolgreicher Trainer im Trainingszentrum Halle sowie beim Fallschirm-sportclub Halle-Oppin.
Mitte: Die neuen Rundkappenschirme; zur Anfängerschulung wurde der RS-4/3C (hier im Vordergrund) eingesetzt, die Schulung der
fortgeschrittenen Jungs und Mädchen erfolgte dann mit dem wesentlich dynamischeren Fallschirm RS-8 (im Hintergrund).
Beide Schirme kamen aus dem Hause VEB BEWES Seifhennersdorf.
rechts: Karl-Heinz Hierer, geboren 1930 in Coswig, ehrenamtlicher Fallschirmsprunglehrer und vom Beruf E-Schweißer in Dessau.
Er hatte zusammen mit anderen Lehrern maßgeblichen Anteil an der Erprobung der neuen Schirmtechnik.
(Bildquellen: Bild 1 & 3 AEROSPORT unbekannt, Bild 2 Deutsche Fotothek)
(Bildquellen: Bild 1 unbekannt, Bild 2 Fliegerkalender 1986, Bild 3 + 4 Chronik zur Geschichte der GST 1952-84)
Mit den DDR-offenen Wettkämpfen startete die 7. Auflage des Frühjahrswettkampfes in Karl-Marx-Stadt und sah 47 Sportler am Start. Im Einzelzielspringen siegten Petra Plunert und Rainer Wilde. Beim Gruppenspringen sind Karl-Heinz Henke, Walter Greschner, Wolfgang Rieding und Claus Weißflog, sowie Barbara Karkoschka, Jutta Irmscher und Marie-Luise Rieding erfolgreich.
Ausgehend von einer Initiative der ungarischen Wehrsportorganisation wurde der sogenannte Komplexwettkampf der sozialistischen Länder ausgeschrieben und in Gödöllö mit der Teilnahme von sechs Ländern ausgetragen. Neben dem Einzel- und Gruppenspringen war ein 100m Freistilschwimmen, KK-Gewehrschießen und ein 3000 m Geländelauf zu absolvieren. Die DDR war durch eine Mannschaft aus Magdeburg, mit den Wettkämpfern Roland Kozian, Peter Skubowius, Horst Prellwitz und Ulrich Marotzke vertreten und belegt in der Gästewertung den 4. Platz.
links: Claus Weißflog, früherer Fallschirmsportler beim BAZ Leipzig, wechselte später zum SC Dynamo und wurde dort sehr erfolgreich.
Die Fallschirmsportler des BAZ Magdeburg stellten den Kader für den 1. Komplexwettkampf, eine Form des „Kräftemessens“, die bis
Ende der achtziger Jahre im Bündnis der sozialistischen Staaten durchgeführt wurde. V.l.n.r.: Ulrich Marotzke, Roland Kozian, Horst Prellwitz.
Nicht im Bild ist Peter Skubowius.
(Bildquellen: Bild 1 Claus Weißflog, Bild 2 Fliegerrevue 09´1972)
Auch in den klassischen Disziplinen wurde nun offiziell ein Wettkampf der sozialistischen Länder eingeführt. Gastgeber war der bulgarische Aeroclub, der im Sportzentrum Kasanlik dazu 67 Teilnehmer aus 6 Ländern empfing. Der 2. Platz im Gruppenspringen war die einzige Ausbeute für die DDR-Mannschaft. Der sowjetische Sportler Anatoli Ossipow stellte mit 6.5 s für einen Figurenkomplex eine neue Weltbestzeit auf.
Mit einer großen Flugveranstaltung, am neu erbauten Flugplatz Halle-Oppin, wurde ein modernes Sportzentrum der GST feierlich eingeweiht. Der Neubau war auf höchster Ebene als Ersatzinvestition für die Schließung des Flugplatzes Halle-Nietleben geplant worden. Dort entstand das Wohngebiet Halle-Neustadt mit über 900 Wohnungen. Halle-Oppin mit seinen großzügigen Anlagen und einem Wohngebäude wurde auch Heimstatt für den neu gebildeten Fallschirmsport-Club der GST. Die Aufgaben als Leiter übernahm Werner Schmidt, als Trainer fungierten Dieter Strüber, Karl-Heinz Wolf und Helmut Schulz, die zügig ihre Trainingsgruppen formierten. Damit hatten die GST-Sportler ähnlich gute Bedingungen für den Leistungssport wie die des SC Dynamo.
Flugplatz Halle-Oppin,
Zentrum des GST- Fallschirmleistungssports und der Ausbildung für die Fallschirmjäger-Laufbahn in der NVA
(Bildquelle: Gerd Wetteborn)
Die materiell technischen Bedingungen waren anfangs mit der zugeführten Fallschirmausrüstung und dem eigenen Absetzflugzeug ausreichend. Probleme bereiteten die eingeschränkten Luftraumfreigaben und die gleichzeitig am Flugplatz stattfindende Motor- und Segelflugausbildung. Mehrfach waren ausgelagerte Trainingszeiten an den Flugplätzen in Ballenstedt und Leipzig erforderlich, um besonders im Hinblick auf die WM in den USA nicht in Rückstand zu geraten.
Nach dem Rücktritt von Dieter Henze, erhielt Rolf Buchner von der Fallschirmsport-kommission die Berufung als neuer Hauptschiedsrichter, er nahm sofort die aufgestauten Herausforderungen an und organisierte die Weiterbildung der Schiedsrichter nach einem neu eingeführten Qualifizierungssystem.
Der „Alter“ und der „Neue“: Dieter Henze (linkes Bild) mit Brille und Rolf Buchner (rechtes Bild).
(Bildquellen: Bild 1 unbekannt, Bild 2 + 3 AEROSPORT)
Der DDR-offene Wettkampf in Gera, als Nachwuchsevent ausgeschrieben, wurde von 49 Sportlern als Leistungskontrolle genutzt. Annemarie Herrgeist aus Karl-Marx-Stadt und Dietrich Schade aus Erfurt erkämpften den Sieg im Einzelzielspringen. Das Gruppenspringen gewannen die Frauen und Männer des gerade erst gebildeten Fallschirmsport-Clubs der GST.
Der nun schon 8. Messepokal in Leipzig sah 50 Sportler und Gäste aus Brno/CSSR am Start. In der Traditionsdisziplin, dem Zielspringen, siegten Jutta Bangemann vom FSC-Oppin und Jürgen Rackwitz vom SC Dynamo. Das Figurenspringen gewannen Petra Plunert und Klaus-Peter Weidlich, beide vom FSC-Oppin. Auch die Siege im Gruppenspringen holten sich Petra Plunert, Jutta Bangemann, Monika Rudolph und Heike Rasch sowie Rainer Wilde, Klaus-Peter Weidlich, Peter Richter und Thomas Krauße vom FSC-Oppin.
Die Gold-Mädels des Fallschirmsportclubs der GST:
links: Die Siegerin im Zielspringen Petra Plunert,
Mitte: Petra Plunert, Monika Rudolph, Jutta Bangemann und Heike Rasch,
rechts: im Anflug zu ihrem Sieg im Zielspringen Jutta Bangemann
(Bildquelle: „FÜR DICH“ 131´1970)
Impressionen zur 6. DDR-Meisterschaft
links – Die Zweifache Meisterin vom FSC der GST Monika Rudolph.
Mittleres Bild – Der PTCH-8 aus der CSSR war neben seinem Vorgänger, dem PTCH-7, der meistgesprungene Fallschirm bei diesem Wettkampf.
Nur die Windspringer nutzten noch den RL-3/5 aus DDR-eigener Produktion.
rechts – Der Sieger aller Einzelwertungen Walter Greschner vom SC Dynamo nimmt die Gratulation seines Clubkameraden Wolfgang Rieding entgegen.
(Bildquellen: Bild 1 & 2 Fliegerrevue, Bild 3 Gerd Wetteborn)
Zum Zmatlik- Memorial reiste eine Mannschaft des SV Dynamo nach Horice in die CSSR. Die jungen Sportler um Wolfgang Rieding belegten den 1.Platz im Gruppenspringen. Die erste Riege des SC Dynamo nahm an einem Vergleich in Prostejev/CSSR teil und Walter Greschner konnte sich mit sechs Nullsprüngen ganz vorn behaupten.
Der 8. Adria-Pokal in Portoroz startete mit Teilnehmern aus 13 Ländern. Der Aeroklub der DDR war mit zwei Männer- und einer Frauenmannschaft vertreten. 7 von 10 möglichen Siegen kamen auf das Konto der DDR-Sportler. Barbara Karkoschka, Marie-Luise Rieding, Monika Rudolph und Heike Rasch siegten im Staffelspringen und dazu in den beiden Gruppenzielspringen aus 1000 und 1500m. Sie wurden mit dem Gewinn des Adria-Pokal gefeierte Sieger. Dazu noch ein zweiter Platz im Wasserzielspringen für Barbara Bürger. Auch die 2. Männermannschaft mit Andreas Partsch, Rainer Wilde, Klaus-Peter Weidlich und Thomas Krause siegten in beiden Gruppenspringen und sicherten sich damit den Adria-Pokal in der Gesamtwertung. Wolfgang Rieding holte sich dazu noch den Sieg im Wasserzielspringen. Dieser Erfolg in Jugoslawien war nicht zu toppen und erregte viel Beachtung in der Springerwelt.
Mit 7 Gold- und 2 Silbermedaillen beendeten die Fallschirmsportler der DDR als erfolgreichste Mannschaft diesen Wettkampf.
Die Männer konnten insgesamt 18 Nullscheiben mit nach Hause nehmen, die Damen neun.
Barbara Karkoschka (2. Bild von links) konnte zusätzlich noch ihren 2000. Fallschirmsprung absolvieren.
Der junge Andreas Partsch vom FSC Halle-Oppin zeigte auch international sehr gute Leistungen.
(Bildquellen: Bild 1& 3 unbekannt, Bild 2 & 4 Fliegerrevue, Bild 5 Irina Richter)
Die Nachwuchsarbeit fand immer mehr Beachtung und in Neuhausen wird der 1. DDR-offenen Jugendwettkampf ausgetragen. Teilnahmeberechtigt waren Sportler unter 23 Jahren, die noch nicht an DDR-Meisterschaften teilgenommen haben. Sieger wurden Gerd Felnagel vom TZ Leipzig und Jürgen Schulze aus Cottbus.
Am Flugplatz in Riesa wurden Versuche im Drachenschlepp unternommen. Eine Gruppe um Hartmut Koczemba, Klaus Tscharntke und Uwe Hübner hatten einen Sprungschirm RL-5/1 entsprechend ausgerüstet und Versuchsspringer Hartmut Koczemba startete über einen Autoschlepp zunächst auf einen Meter, dann über 30 bis schließlich auf 80 m Schlepphöhe. Später erfolgte sogar das Ausklinken auf der maximalen Schlepphöhe und eine ganz normale Landung.
Bilder von den Versuchen des Drachenschlepps
(Bildquellen: Heinz Großer)
Gleich zum Beginn des Jahres 1972 tagte die Internationale Fallschirmsportkommission in Paris. Hauptpunkte waren die Berichte der USA-Vertreter über ihre Vorbereitungen der 11. Weltmeisterschaft. Es gab viel Skepsis zum ausgeschriebenen Mammutprogramm und dem erstmaligen Einsatz von Hubschraubern zum Absetzen der Sportler. Querschüsse zum komplizierten Wettergeschehen kamen aus den eigenen Reihen der US-Medien. Nikolay Kaltschew aus Bulgarien erhielt die Berufung als Hauptschiedsrichter. Die Kommission bestätigte viele Neuregelungen für Rekorde und bildete eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der Sportregeln. Die UdSSR benannte den Kosmonauten Viktor Gorbatko als ihren neuen Vertreter in der CIP.
Nach der Entwicklung des BE-7 als Rettungsfallschirm stellten die Seifhennersdorfer ihre Weiterentwicklung BE-8 vor. Mit seiner Kappenauslegung hatte er ein nochmals verbessertes Öffnungsverhalten und zudem, durch eine Öffnung über drei Bahnen, einen steuerbaren Vortrieb. Interessante Details waren die Lufttaschen am Basisrand, der Baldachin über der Polöffnung und das unterschiedlich luftdurchlässige Kunststoffgewebe.
Das Wettkampfgeschehen von 1972 begann in Magdeburg mit 42 Männern und 12 Frauen am Start. Sieger im Einzelzielspringen wurden Beate Wunderlich und Günter Senst, beide vom SC Dynamo. Als Doppelsieger im Figurenspringen und der Gesamtwertung stiegen Marie-Luise Rieding und Roland Schleicher vom SV-Dynamo auf das oberste Treppchen.
Der mehrfache DDR-Meister, Walter Greschner, ist der erste DDR-Fallschirmsportler der 3000 Sprünge erreicht.
Der Wettkampf der sozialistischen Länder in Leipzig sollte erneut die Generalprobe für die bevorstehende Weltmeisterschaft werden. Die erfahrenen Organisatoren hatten vorbildliche Bedingungen am traditionsreichen Standort geschaffen, nur das Wetter spielte nicht mit. So konnten die erstmals eingesetzten Mi-4-Hubschrauer der NVA, die Springer nur zum Zielspringen auf die Absetzhöhe bringen. Während die UdSSR-Springer nahezu alle Siege für sich entschieden, war es lediglich Karl-Heinz Henke der die Silbermedaille im Einzelzielspringen erreichte.
Für die 7. Deutsche Meisterschaft der DDR in Gera hatten sich, ohne die Auswahlkader, 38 Sportler qualifiziert. Marie-Luise Rieding siegte in allen drei Einzelwertungen der Frauen. Roland Schleicher gewann das Zielspringen und die Gesamtwertung bei den Männern, während Claus Weißflog im Figurenspringen den 1. Rang erzielte. Die drei Juniorentitel gingen an Gerd Felnagel vom FSC-Oppin.
Erneut war Ungarn Gastgeber des 2. Komplexwettkampfes der sozialistischen Länder in Szolnok. Es beteiligten sich fünf Länder und die Ungarn brachten drei Mannschaften an den Start. Mit Ausnahme des Gruppenzielspringens, wo die CSSR gewann, gehen alle anderen Siege an die UdSSR. Die DDR-Vertretung aus Magdeburg konnte sich nicht im Vorderfeld platzieren.
Der Ausbildungsbetrieb an den GST-Flugplätzen war durch die Einführung weiterer 4 Ab-setzflugzeuge AN-2 gefördert, die aus der polnischen Produktion stammten.
Und dann war es wieder soweit, die nächste Weltmeisterschaft in den USA stand bevor. Zuvor hatte es im Zentralvorstand der GST, wegen des unbefriedigenden Abschneidens in Bled, Diskussionen um die Teilnahme gegeben. Der inzwischen erreichte Leistungsstand rechtfertigte jedoch die hohen finanziellen Anforderungen, noch dazu in harter Währung. Hinzu kam der konsequente Standpunkt der Leitung des SC Dynamo und die politische Situation nach der Visaverweigerung von 1962 durch die USA.
Die Visabeantragung erfolgte für jeden Einzelnen nach dem Ausfüllen eines langen Frage-bogens, es entstand der Eindruck in die USA einwandern zu wollen. Die Frage nach der Mitgliedschaft in einer kommunistischen Vereinigung wurde von den Betroffenen mit dem weniger verfänglichen „sozialistischen“ beantwortet. Nach geraumer Zeit waren die Visa in allen Reisepässen eingetragen.
Der DDR-Mannschaft gehörten Barbara Karkoschka, Heike Rasch, Jutta Irmscher, Monika Rudolph und Jutta Bangemann sowie Walter Greschner, Andreas Partsch, Karl-Heinz Henke, Klaus-Peter Weidlich und Rainer Wilde an. Als Trainer fungierten Dieter Strüber und erstmals Karl-Heinz Wolf als Trainer der Männer. Günter Schmidt war als internationaler Schieds-richter nominiert. Erneut leitete Horst Brändel die Delegation, der zugleich als Mitglied der WM-Jury tätig war. Dr. Wilke war als Medizinmann dabei und Hartmut Buch begleitet die Mannschaft als Journalist der Flieger-Revue.
Der lange Flug begann mit einer kurzen Reise nach Prag, dann zusammen mit den Mannschaften der UdSSR, CSSR, Ungarn, Polen und den Bulgaren, an Bord einer IL-62 zunächst zum Tankstopp nach Gander auf Neufundland und schließlich nach New York. Mit einer Inlandverbindung wurde das Ziel in Oklahoma angeflogen. Beim Aussteigen der erste Hammer, nahezu 40 Grad schlugen den Europäern entgegen, die ungeeignete Bekleidung sorgte sofort für Schweißperlen auf der Stirn. Mit typisch gelben Schulbussen wurde dann endlich Tahlequah erreicht. Wir waren im Land der Cherokessen angekommen und mindesten die Hälfte der Bevölkerung soll noch indianische Wurzeln haben. Auf dem Flugplatz emsiges Treiben, viele Mannschaften sind schon beim Trainingsspringen. Mit der Zahl der Trainingssprünge nahm es keiner so genau, jeder der wollte bekam ein Ticket. Auch unsere Mannschaft reihte sich am nächsten Tag in das Treiben ein.
Vor der offiziellen Eröffnung zogen alle Mannschaften, voran das Namensschild und die Landesflagge, in einer Parade durch die Hauptstraße von Tahlequah. Vorbei an Saloons und Holzhäusern mit dem Charme einer Westernstadt. Bestimmt die Hälfte der 10.000 Einwohner begrüßten die Gäste aus aller Welt. Das war bisher einmalig bei einer WM, aber ungemein stimmungsvoll. Besonders unsere Frauenmannschaft, mit ihren breitkrempigen Hütten, bekam viel Beifall und wurde in der Presse als schönstes Team betitelt.
Der Hauptschiedsrichter, Nikoley Kaltschew, nahm die Lehren der vorangegangen WM sehr ernst und prüfte mehrfach seine 15 Schiedsrichter und stellte sie auf die Bewertungen ein. Der Einsatz der vier Hubschrauber Bell-205, mit jeweils 10 Springerplätzen, war völlig problemlos. Die jungen Piloten hatten richtig Spaß an ihren Job, waren schnell auf Absetzhöhe und flogen enge Kreise zum gewünschten Absetzpunkt. Die geöffneten Fallschirme bildeten eine Perlenkette bis zur Landung. Damit war die Ära der Mannschaftspiloten zu Ende gegangen und wurde auch nicht wieder beim Einsatz von Flächenflugzeugen aktiviert.
Für die Teilnahme an den Wettkämpfen hatten sich insgesamt 145 Männer und 42 Frauen aus 31 Ländern eingefunden. Um den Besuchern am Wochenende mehr Fallschirme am Himmel zu bieten wurde mit dem Gruppenzielspringen begonnen, wobei die Reihenfolge nach der Auslosung erfolgte. Nach drei Runden gab es einen Zwischenstopp und Tage danach noch zwei Durchgänge bis zum Maximalprogramm. Völlig überraschend siegte die Männermannschaft der Schweiz, gefolgt von der UdSSR und der CSSR. Abgeschlagen die Mannschaft der DDR auf Platz 13. Bei den Frauen lief es wesentlich besser, sie erkämpften hinter Bulgarien und der CSSR die Bronzemedaille. Viel Diskussion gab es um einen Sprung von Heike Rasch, sie war in ein starkes Aufwindfeld geraden und landete nach acht Minuten „Flugzeit“, im Kampf gegen die Unbilden, immerhin noch bei 0,94m. Leider gab es noch keine Regeln für diese Situation.
Abgesetzt wurde aus der Bell UH-1 (Bell 205).
Links im Bild sieht am Heike Rasch, Jutta Irmscher und Jutta Bangemann zusammen mit Walter Greschner.
Im rechten Bild springt gerade Andreas Partsch ab.
(Bildquelle: Jerry Irwin (+))
Konzentration bei Jutta Bangemann vor dem Sprung, ein lächeln nach der Landung. Am Ende hieß es in der Gesamteinzelwertung Platz 12 für sie.
Jutta Irmscher (Bild rechts) wurde nach Platz 22 im Einzelzielspringen und Platz 12 im Figurenspringen insgesamt Zwanzigste.
(Bildquelle: Jerry Irwin (+))
Im Figurenspringen standen fünf Durchgänge im Programm. Es wurde streng gewertet und die Sprünge zusätzlich mit einer neuartigen Videotechnik aufgezeichnet. Eine große Hilfe für die Klärung von Streitfällen in der Schiedsrichterbewertung. Auch alle Teilnehmer konnten unter einem großen Zelt die Sprünge am Schirm verfolgen. Unangefochten wurden Marie- France Baulez mit 8,4s und Jean- Claude Armaing mit 7,1 s, beide aus Frankreich, Weltmeister im Figurenspringen. Ein Schock für die bis dahin sieggewohnten Springer der UdSSR. Die DDR-Männer schafften es nicht unter die ersten Zehn, Andreas Partsch erreichte Platz 13 und Walter Greschner den 14 Rang. Dagegen Freude bei den Frauen, Barbara Karkoschka erkämpfte sich die Bronzemedaille, Jutta Bangemann wurde siebte, Heike Rasch 11. und Jutta Irmscher 12. Die DDR-Frauen erreichten damit die beste Mannschaftsleistung der WM.
Noch größer der Jubel als Barbara Karkoschka als absoluter Weltmeister verkündet wurde. Heike Rasch schaffte es auf Rang fünf und Walter Greschner auf Platz sieben, alle anderen im vorderen Mittelfeld. Gesamtweltmeister der Männer wird Clayton Schoelpple aus den USA. Und nochmals Freude, die DDR-Frauen wurden hinter der UdSSR Silbermedaillengewinner in der Gesamtwertung. Als absolute Weltmeister der Männer ließen sich die Sportler der UdSSR feiern, das DDR-Team erreichte Platz 6.
Die Mannschaft der DDR kurz vor der Siegerehrung.
Absolute Weltmeisterin 1972 wurde Barbara Karkoschka (rechtes Bild).
(Bildquellen: Bild 1 www.ptsheritage.com, Bild 2 unbekannt, Bild 3 „Abenteuer Fallschirmspringen“)
Die eingesetzten Sportfallschirme waren keine große Überraschung, alle nutzten ihre erprobten Kappen mit leichten Verbesserungen. Es dominierten der Para-Commander Mark II, PTCH-8, Super-Olympic und Papillon sowie der UT-15, letztere mit einer Unzahl von Vortriebsöffnungen und Steuerschlitzen.
Die amerikanischen Veranstalter, unter Leitung von Jim Heaton, hatten eine gute Organisation geboten und bis auf kleine Mängel alles korrekt nach den Regeln der CIP durchgeführt. Noch nie gab es so viele Wettkampfdurchgänge mit insgesamt 5350 Sprüngen. Zudem wurde jede Pause oder Unterbrechung von vielen Freifallspringern zur Zuschauerunterhaltung genutzt. Es hatte sich herumgesprochen, dass in Thalequah ohne Bezahlung aus jeder Höhe gesprungen werden kann. Beim Sternspringen gelang sogar ein Rekord mit 27 Springern, die einen großen Ring in 1500 m Höhe „geflogen“ hatten.
Die Mannschaften hatten kleine Busse zur Verfügung und konnten damit die Umgebung erkunden, Badeseen besuchen oder den Illinois-River zu Kanufahrten nutzen. Beeindruckend ein Besuch des indianischen Naturtheater, Karl May hätte es nicht besser inszenieren können. Überraschend das Ende der Show, als die Wigwams geräumt waren, bestiegen die Indianer in Jeans ihre Cars und bogen auf den nächsten Highway ab. Unternehmen und Farmer hatten eine Art Patenschaft für die Mannschaften übernommen und die DDR-Vertretung war Gast einer Farm weit ab in der Prärie. Als es schon keine Straßen mehr gab, waren wir auf der staubigen Spur, am Ziel angekommen. Herzliche Begrüßung durch die Farmerfamilie, es gab natürlich Rips und gegrillte Maiskolben, dazu Hausmusik bis zum jüngsten Sohn am Rock der Mutter. Unsere Frauen retteten unsere Verlegenheit und deutsche Lieder bekamen viel Beifall. Erstaunlich die Unwissenheit der dortigen Menschen über die Verhältnisse in Europa.
Die Damenmannschaft der DDR in einem etwas ungewöhnlichen Outfit.
(Bildquelle: Dr. Dieter Strüber (+))
Der Empfang der Mannschaft in Schönhagen war nicht ganz so glücklich. Barbara Karkoschka hatte als Weltmeisterin einen gesponserten Fallschirm geschenkt bekommen und war ohne richtige Überlegung einem Kaufangebot aus der Schweiz gefolgt. Weder der Trainer noch der Mannschaftsleiter zeigten die notwendige Konsequenz. Es gab natürlich Ärger und Barbara musste ihre Scheine reumütig in die Kasse des SC Dynamo abgeben.
Gleich nach der USA-Reise folgte die DDR- Mannschaft einer Einladung nach Frankreich zum Ländervergleich nach Vichy, zu der parallel die Französische Meisterschaft ausgetragen wurde. Barbara Karkoschka sicherte sich im Figurenspringen den 2. Platz, während die Weltmeisterin, Marie-France Baulez, wegen eines falschen Komplexes, nur auf den 4. Rang kam. Bei den Männern war der Weltmeister Jean-Claude Armaing einfach nicht zu besiegen und wurde zudem noch Französischer Meister. Andreas Partsch und Karl-Heinz Henke folgten dicht auf. Im Zielspringen siegte recht souverän Barbara Karkoschka und sicherte sich damit die Gesamtwertung. Unsere Männer waren nicht unter den vorderen Platzierungen zu finden. Das Gruppenspringen viel dem Regen zum Opfer. Ein Schock für alle Beteiligten war das Verlassen der Mannschaft durch Monika Rudolph, die auch nicht in die DDR zurückkehrte. Genug Grund für die Staatssicherheit, die Biographien und Kontakte, noch genauer zu überprüfen.
Den Abschluss des Wettkampfjahres bildete ein Nachwuchswettkampf in Neuhausen mit 40 Sportlern. Sieger im Zielspringen wurde Christiane Sobczyk aus Magdeburg und Jörg Herre vom SC Dynamo.
Zu einem tragischen Verkehrsunfall, bei dem elf CSSR-Sportler den Tod fanden, kam es bei der Anfahrt zur Militärmeisterschaft in Bulgarien. In der Nacht und bei Nebel wurde der Mannschaftsbus auf einem unbeschrankten Bahnübergang von einem Zug erfasst. Zu den Opfern gehörten fast alle Mitglieder der CSSR-Nationalmannschaft. Darunter Lubas Majer, Vaclav Kumbar, Josef Pospichal und Jaroslav Jehlicka. Viel Mitgefühl unter den Fallschirmspringern der DDR, da zu den Verunglückten auch lange Freundschaften bestanden.
(Bildquellen: Bild 1 & 2 unbekannt)