2. Erste Schritte in der DDR (1952-54)

Mit der Verschärfung der internationalen Lage und den Beginn des „Kalten Krieges“ wurde in allen damaligen „sozialistischen“ Ländern die Bildung von Wehrorganisationen nach dem Muster der sowjetischen Allunionsgesellschaft zur Föderation der Streitkräfte (DOSAAF) begonnen. In sichtlich an der DDR sollst Stalin, Anfang der fünfziger Jahre, persönlich Druck auf die Walter-Ulbricht-Führung ausgeübt haben, um die vormilitärische Ausbildung der Jugend zu beschleunigen.

Erich Honecker, als damaliger Chef der Freien Deutschen Jugend, stellte sich zunächst verdeckt gegen eine relativ selbständige Wehorganisation. Mit seinem Projekt „Dienst für Deutschland“ war er gerade kläglich gescheitert und sah weitere Felle davonschwimmen. Die ansonsten erlebnisarme FDJ hatte mit den bis dahin unter ihren Fittichen gebundenen technischen Sportarten wie Segelflug, Modellflug, Schießsport, Motorsport und Wassersport attraktive Aufhänger vorzuweisen.

Unter der Flagge, die Jugend fordert eine Wehrorganisationen, gab Honecker schließlich die Bildung einer derartigen Organisationen als sein Kind aus, aber zu einem Freund der GST wurde er nie. In Anbetracht der politischen Konflikte in der DDR, ein Jahr später kam es zu den Aufständen des 17. Juni, gab man der Wehrorganisation den recht zivil klingenden Namen „Gesellschaft für Sport und Technik“. Um die Spannungen mit der FDJ zu schlichten, sollten FDJ-Aktivs in den Grundorganisationen der GST bildet werden, aber das war nur Kosmetik ohne jeden inneren Gehalt. Mit dem Zentralvorstand in Halle, den Bezirks-und Kreisorganisationen sowie den Grundorganisationen begann 1952 die GST die ihr gestellten Aufgaben zur Wehrertüchtigung der Jugend umzusetzen. Auf der unteren Ebene sollte besonders die Anlehnung an Betriebe, Genossenschaften und Schulen gesucht werden. Für die Ausbilderschulung und Technikerqualifizierung wurden zentrale Schulen eingerichtet.

Abzeichen der GST

Die Gründung der GST, am 07.08.1952, war ein Beschluss der 2. Parteikonferenz der SED und eine Anordnung des Ministerrates vorausgegangen. Die GST war zunächst dem Innenministerium unterstellt, was wohl hauptsächlich auf die Zugehörigkeit des Jagdwesens, dem Hunde-, Pferde-und Taubensport sowie dem Modernen Fünfkampf zurückzuführen war. Nach der Ausgliederung dieser Sportarten wurden die sogenannten Wehrsportarten wie der Schießsport, Flugsport, Motorsport, Seesport, Nachrichtensport, der Flug-und Schiffsmodellsport, dem Ministerium für Nationale Verteidigung zugeordnet.

Im Gegensatz zur UdSSR, Polens oder der CSSR gab es in der DDR kein gewachsenes Fallschirmsportgeschehen. Während der Segelflug und der Modellflug als eine der neuen GST-Sportarten bereits über eine Entwicklung und Tradition verfügten, war der Fallschirmsport zunächst nur eine Überschrift. Sicher durch die einsetzende Propaganda inspiriert bildeten sich in kurzer Zeit zahlreiche Fallschirmsportgruppen. Die Führung übernahmen auf oft ehemalige Fallschirmjäger, die wie in anderen Ländern das Fallschirmspringen als Sport erkannten. Der damalige Vorsitzende der GST, Generalmajor Richard Staimer, dürfte als ehemaliger Spanienkämpfer diese Situation nicht gerade begrüßt haben. Aber Männer wie Werner Liebert, Horst Mroskowski, Georg Langer, Günter Heinze oder Udo Varchmin und andere zeigten sich loyal und gehörten zu den Pionieren des neuen Fallschirmsports.

Fallschirmsport ohne Fallschirme und Absetzflugzeuge, das war natürlich ein fragwürdiges Unternehmen. Als Ersatz wurden industriell gefertigten Bodenübungsgeräte wie Rhönräder, Pendelgeräte und Sprungmatten zur Verfügung stellt. In der neuen Zeitschrift „Flugsport“ gab es Anregungen und Bauzeichnungen für den Selbstbau von Sprungpodesten und weiteren Geräten. Alles ging darum, die jungen Mitglieder in Bewegung zu halten und mit etwas Technik zu beschäftigen. Auf Dauer war das allerdings nicht ausreichend und die Akteure träumten von anderen Erlebnissen. Die Unzufriedenheit in den Gruppen war beträchtlich und so sahen nicht nur den Bodengeräte in kurzer Zeit auch aus.

Ständige wurde von oben mit dem Zeigefinger gedroht. G. Wallner, als an Verantwortlicher in Zentralvorstand der GST für den Fallschirmsport eingesetzt, bemühte sich mit Artikeln in der genannten Zeitschrift, Grundlagenwissen über die Theorie des Fallschirmspringens zu verbreiten. Sogar Faltblätter aus Papiere sollten das Packen von Fallschirmen simulieren. Die Inhalte wurden dabei aus sowjetischen Übersetzungen und besonders der Fachfibel von A. N. Lukin geschöpft.

Zeichnungen aus dem Artikel „Ein PD-47 aus Papier“, veröffentlicht in der Zeitschrift „Flügel der Heimat“

Mit Lehrplänen für die Ausbildung von Fallschirmspringern und Programmen für die Qualifizierung von Lehrgruppenleitern, meist abgeschrieben von ausländischen Unterlagen, sollten neue Impulse und mehr Ordnung in das Geschehen gebracht werden. Übungen im Geländesport, Schießen und Kartenlesen war Teil der Programme.

Wie überall in der GST sollten mit der Vergabe von Leistungsabzeichen neue Anreize für die jungen Mitgliedern geschaffen werden. Das Fallschirmsprungabzeichen wurde für gute Ergebnisse in der Theorie-und Bodenausbildung vergeben.
Auf den Leitungsebenen erregten sich in die Funktionäre ständig über die mangelhafte politisch ideologische Bildung und Erziehung der Mitglieder. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Mehrheit der Ausbilder aber dafür keine Lehrbefähigung und Einstellung. Nur die Vorbildrolle des Ausbilders, oder des Instrukteur wie er genannt werden sollte, hatte seine Wirkung.

Eine Belebung brachte die Errichtung von Fallschirmsprungtürmen. Ein erster Turm wurde 1954 als Holzkonstruktion im Küchwald der damaligen Karl-Marx-Stadt eingerichtet. Ein Jahr danach erfolgte die Einweihung einer Sonderkonstruktion aus Stahl mit 72 m Höhe und eine Absprungplattform von 52 m auf der Peißnitzinsel bei Halle. Der Absprung nach 192 Treppenstufen war da schon eine Herausforderung an den Mut der Akteure. Aus Kostengründen und dem verfügbaren Material wurden schließlich ab 1956 sogenannte Einheitssprungtürme errichtet. Unter Verwendung polnischer Konstruktionsunterlagen ermöglichten die Stahl-und Holzkonstruktionen Absprünge von eine 20m-Plattform. Die 16 Türme in der Nähe der Bezirkszentren platziert waren zwar sehr pflegeaufwendig, verzeichneten aber eine rege Nutzung.

Sprungturm (Typ I) wie in Karl-Marx-Stadt
Sprungturm (72 m) in Halle
Einheitssprungturm hier in Frankfurt / Oder

In Halle gab es einige experimentierfreudige Fallschirmspringer, die mit einer Hundeführergruppe in Kontakt standen und kurzerhand mit Schäferhunden vom großen Turm sprangen. In eigens hergestellten Gurtzeugen waren die Hunde ohne größere Erregung bei der Sache und nach der Landung sofort wieder für die Fährtenverfolgung bereit.

784 Mitglieder wurden für 1956 an die Zentrale gemeldet, werde man den Statistiken über mehrere Meldeebenen so trauen kann.

Es reifte langsam die Überzeugung, dass ohne geeignete Ausbilder und dazu in ausreichender Anzahl, keine wirksamen Fortschritte zu erzielen war und gleich mit mehreren Lehrgängen sollte Abhilfe geschaffen werden. Den Auftakt organisierte Gerd Wallner und der Journalist Dieter Henze mit einer zentralen Schulung in Karl- Marx-Stadt. Auch im sportlichen Bereich war man versucht Fortschritte zu erreichen und die GST schickte eine erste Beobachterdelegation zu internationalen Wettkämpfen nach Bulgarien.

Es gefiel den jungen Fallschirmsportlern bei Demonstrationen präsent zu sein und als solche wahrgenommen zu werden. Einige hatten sogar Gurtzeugen aus vergangener Zeit „organisiert“ und Fallschirmkappen der RZ-Serie entfaltete. Das Schleifen des zarten Gewebes über Straßenbahnschienen und Kopfsteinpflaster setzte aber bald jeder Weiterverwendung ein jähes Ende.

Berliner Fallschirmsportler beim 2. Deutschlandtreffen 1954 in Berlin

Das internationale Fallschirmsportgeschehen war natürlich nicht stehengeblieben. 1954 hatte Frankreich die Weltelite zur 2. Weltmeisterschaft nach Saint Yan eingeladen. 29 Männer und zwei Frauen aus sieben Ländern waren am Start. Einzelzielsprünge aus 1500 m mit Verzögerung, 600 m somit Sofortöffnung und Stilspringen aus 1500 m, mit jeweils mehreren Durchgängen, standen im Programm. Sogar ein Wassersprung musste mit Ziellandung gemeistert werden. Die erstmals teilnehmende Mannschaft der UdSSR wurden Sieger, gefolgt von der CSSR und Frankreich. Die UdSSR-Mannschaft nutzte den bekannten Fallschirm PD-47 mit der quadratischen Kappe und den etwas besseren Steuereigenschaften. Später in der DDR sehr bekannte Namen wie Wassili Marjutkin und Valentina Seliverstowa, aus der UdSSR oder Joraslaw Jehlicka und Zdenek Kaplan aus der CSSR waren dabei sehr erfolgreiche Teilnehmer.